
"Billy the Kid" fühlt sich wie ein verfilmter Wikipedia-Eintrag an, ist aber sehr erfolgreich
"Billy the Kid" ist in diesem Reigen der Schnelllebigkeit eine Ausnahmeerscheinung. MagentaTV hat die Rechte an den ersten beiden Staffeln der vom US-Streamer Epix produzierten Serie erstanden. Es ist offensichtlich, dass MagentaTV endlich aus dem Schatten der großen Konkurrenten heraustreten will. Als Telekomtochter verfügt man von Hause aus über beste Verbreitungsmöglichkeiten und dennoch spielt man im Reigen von Netflix und Co. maximal in der zweiten Liga.
Mit den Ablegern der Serie "The Walking Dead" versucht die Telekomabspielstation gerade, das Horrorfilmpublikum für sich zu begeistern; Westernfans werden nun mit "Billy the Kid" beglückt.
Paramount+ hat mit seinen Westernserien wie "1883" vorgemacht, dass es durchaus einen Markt für markantes Männerkino im Bildschirmformat gibt. Da diese Serie in den USA erfolgreich ist, hat sich MagentaTV entschieden, "Billy the Kid" ein warmes Plätzchen im Telekom-Stream zu kredenzen. Eine Serie, die Erwartungen unterläuft, indem sie nämlich eher langsam des Weges kommt. Um genau zu sein, entwickeln die ersten Episoden ein Tempo wie zwei Kontinentalplatten, die aufeinander zudriften, was nicht unbedingt einem Formel-1-Rennen entspricht. Tatsächlich geschieht nicht allzu viel in den ersten Episoden, und daher ist es erstaunlich, dass die Serie, siehe die Drei-Episoden-Regel, offenbar genug Interesse für sich hat erzeugen können, sodass Epix nach dem Ende der ersten Staffel direkt eine zweite Staffel in Auftrag gegeben hat, die ebenfalls von MagentaTV gestreamt wird.
Wie hieß Billy the Kid eigentlich?
Bevor es zur Serie geht, sei ein Blick auf den realen Billy the Kid geworfen. Der wurde als Henry McCarty vermutlich am 23. November 1859 in New York City geboren. Henry McCarty? Heißt er nicht William H. Bonney? Das ist der Name, der in den meisten Filmen (und es gibt über 30 Filme) die sich seinem Leben widmen, als sein Name genannt wird. Das ist auch korrekt. William H. Bonney ist der Name, unter dem er im Westen agierte. Es ist aber nur ein Alias, denn sein Geburtsname lautet Henry McCarty. Warum er seinen Namen gewechselt hat, ist nicht bekannt. Vermutlich, da er wegen kleinerer Vergehen bereits eine Vorgeschichte an der Ostküste hatte und sich beim Umzug in den Westen von seiner Vergangenheit trennen wollte. Vielleicht aber auch, weil Bonney einfach cooler klang als McCarty. Man weiß es schlicht nicht.
Ob er in New York City geboren wurde, selbst daran gibt es durchaus Zweifel. Möglich, dass er eigentlich in Indiana das Licht der Welt erblickt hat. Was unzweifelhaft bekannt ist: Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und kam früh mit dem Gesetz in Konflikt. Nach dem Tod seiner Mutter zog er in den Westen und wurde als Viehdieb und Revolverheld bekannt. Seinen erster Mord verübte er im Alter von 18 Jahren im Jahre 1877. Bei einem Streit in einem Saloon in Arizona tötete er einen Mann namens Frank P. "Frankie" C. Berichten zufolge war der Konflikt aus einem Streit um ein Kartenspiel entstanden. Der Mord ist geschehen und der Nachname des Opfers ist tatsächlich nicht vollständig überliefert. Diese Tat markierte den Beginn von Billys gewalttätigem Leben und seinem Aufstieg zur Berühmtheit im Wilden Westen.
Warum er zur Legende wurde und nicht nur als Fußnote wie so viele andere endete? Nach seinem Mord wurde er verhaftet, doch er brach mit Geschick und einer Portion Kaltschnäuzigkeit aus dem Gefängnis aus und führte die Justizbehörden vor. Die Chuzpe, mit der er vorging, inspirierte die Journaille seiner Zeit. Man darf sich den Journalismus der 1880er Jahre nicht als eine allzu seriöse Sache vorstellen: Sensationsberichte, oft übertrieben oder sogar erfunden, prägten die Berichterstattung. Billys Geschichte brachte Auflagen. Ein jugendlicher Killer aus ärmlichen Verhältnissen, der die Justiz durch seinen Ausbruch derart narrte? Das verkaufte sich gut.
Dann scheint Billy the Kid tatsächlich Charisma gehabt zu haben. Unter all den (im wahrsten Sinne) dreckigen Outlaws war er offenbar eine halbwegs gepflegte Erscheinung, die nicht allzu unsympathisch auf die Menschen wirkte. Es entstand ein Kult um diesen jungen Straftäter; heute würde man ihn einen Medienstar nennen, denn es waren die Zeitungen, die ihn zu diesem Star avancieren ließen. Einen Star, der ihnen allerdings auch Futter bot: Durch seine Mitwirkung im Lincoln-County-Rinderkrieg in New Mexico, einem gewalttätigen Konflikt zwischen rivalisierenden Ranchern, bei dem er auf der richtigen Seite stand (wenn man in einem Konflikt, bei dem sich rivalisierende Rancher gegenseitig abschlachten, auf einer richtigen Seite stehen konnte). Das wiederum führte zu einer weiteren Legendenbildung, zu Romantisierung, zu Überhöhungen.
Aus dem Banditen wurde schnell ein Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit, ein Robin Hood gar, der niemals die Armen bestohlen hat. Sein früher Tod am 14. Juli 1881, als er von Sheriff Pat Garrett erschossen wurde, verstärkte diesen Mythos. Die dramatischen Umstände seines Lebens und Sterbens, gepaart mit der Sensationsgier der Medien, sorgten dafür, dass Billy the Kid nicht nur als Gesetzloser, sondern als Symbol für den Wilden Westen und dessen widersprüchliche Werte in die Geschichte einging.
Der erste Mord
Die Serie "Billy the Kid" beginnt mit dem Zusammentreffen von Billy und "Frankie" C. Zumindest bietet dieses Zusammentreffen den Rahmen, denn tatsächlich sind es nur wenige Szenen, die die beiden zu Beginn und zum Ende teilen. Es ist auch kein Kartenspiel, bei dem die beiden zusammentreffen. Es ist vielmehr eine Spelunke, in der Billy Frankie gegenübertritt. Bevor es zum Showdown zwischen den beiden kommt, springt die Geschichte zurück - etwa acht oder neun Jahre.
Billy ist das Kind irischer Einwanderer. Seine Mutter ist eine starke Frau. Das muss sie sein, denn Billys Vater ist ein mit dem Leben hadernder Mann. Es ist offensichtlich, dass er an Depressionen leidet. Doch diese Krankheit ist in den 1870er Jahren noch unbekannt. Billys Mutter muss also für die Kinder sorgen und ihren Mann, der nicht in der Lage ist, sich den Herausforderungen eines Lebens in einem ärmlichen Einwandererumfeld zu stellen. So stirbt Billys Vater eines Tages. Er schläft ein und wacht nicht mehr auf. Fortan ist die Mutter gezwungen, ihr Leben alleine zu bestreiten. Auf der Suche nach einer besseren Zukunft begeben sie sich in den Westen.
Es ist löblich, dass die Serie sich tatsächlich Zeit nimmt, eine Vorgeschichte zu erzählen und das Leben der irischen Einwanderer etwas näher zu beleuchten. Das geschieht ohne Romantisierung, aber auch nicht als eine Elendstragödie. Die Erzählung findet ihre Mitte und das ist eigentlich recht angenehm. Der Tod des (liebenden) Vaters, die Mutter, die sich den Herausforderungen stellen muss… Es ist, wie es ist. Lakonisch könnte man die Inszenierung nennen. Diese ruhige Erzählweise erfordert jedoch Sitzfleisch, denn die Erzählgeschwindigkeit ist langsam und bietet keine schnellen Highlights.
Dann beginnt eben doch schon die Romantisierung der Hauptfigur. Billy wird von Anfang an als viel zu nett dargestellt. Dies schwächt die Glaubwürdigkeit der Charaktere und macht es schwierig, sich mit ihren Konflikten zu identifizieren, die bald auftreten. Billy wird als ein Opfer äußerer Umstände dargestellt, als ein Junge, der ohne sein eigenes Zutun bald mit Gewalt konfrontiert wird und auf diese Gewalt nur antwortet. Selbst wenn die erste Episode am Ende in die "Gegenwart" des Jahres 1877 zurückkehrt und Billy Frankie C. erschießt, gibt er ihm noch edel die Chance, einfach die Waffe wegzulegen. Der Mythos Billy the Kid wird nicht in Frage gestellt; im Gegenteil, er wird gleich mit der ersten Episode manifestiert.
Sauber, aber ohne Höhen
Was folgt, ist eine handwerklich saubere, aber auch einfache Abarbeitung mehr oder weniger bekannter Aspekte aus der Biografie von Billy the Kid. Der britische Showrunner der Serie, Michael Hirst, "behauptet" Komplexität durch die zwei Ebenen zu schaffen, auf denen die Story erzählt wird: einer Ebene, die im Jahr 1877 beginnt, und einer, die aus der Kindheit Billys berichtet. Indem er zwischen den Zeitebenen springt, verwischt er letztlich nur, dass er in Wahrheit eine Geschichte erzählt, die sich brav von A nach B nach C bewegt. Hirst hat im Grunde genommen diese Geschichte in der Reihenfolge ihres Geschehens geschrieben und dann die Kapitel etwas durcheinandergebracht, um zwei Zeitebenen zu erzeugen, deren Handlungen sich bei genauer Betrachtung jedoch selten aufeinander aufbauen.
Es ist also nicht so, dass ein Geschehen, das 1870 stattfindet, sich zwangsläufig in einem Geschehen des Jahres 1877 widerspiegeln würde.
Hirst hat wenig Interesse daran, die Figur zu dekonstruieren, kritisch zu hinterfragen oder aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Ja, er nimmt sich viel Zeit für das Kind - the Kid. So sympathisch und nachdenklich, wie dieses Kind rüberkommt, arbeitet er von Anfang an an dem Sockel für Billy. Ihn von diesem Sockel zu stürzen oder zumindest den Sockel mit einer kritischen Erklärtafel zu versehen, geschieht nicht.
Fazit: Im Grunde genommen ist die Serie die Verfilmung eines etwas lang geratenen Wikipedia-Beitrags. Sie bietet eine Zusammenstellung von bekannten Ereignissen und Anekdoten über Billy the Kid, ohne dabei größere Überraschungen oder neue Perspektiven zu liefern. Die Schauspieler liefern solide Leistungen, und bei einem eher mittleren Budget beschränkt sich die Serie auf wenige Spielorte, die sie dann recht angenehm in Szene setzt. "Angenehm" ist allerdings auch ein Euphemismus für "bieder". Dennoch zieht der Mythos von Billy the Kid offenbar auch im Jahr 2024 noch, wie der Erfolg in den USA zeigt.