Und wer bis jetzt noch kein Fan von Steve Earle, dem (jetzt) bärtigen, bärbeißigen, unangepassten, dazu noch bekennenden Kommunisten, vor allem aber grandiosen Songschreiber und Sänger ist - mit dem neu aufgelegten Erstlingswerk könnte man das schnell werden. Schließlich bietet er auf diesem, von Tony Brown und Emory Gordy produzierten Album, alles, was Modern-Country ausmacht: tolle Songs von einem tollen Sänger - und gute Laune fürs Autoradio im Übermaß.
Würde auf dem Cover nicht groß "Steve Earle" stehen, man würde den schlanken, gut frisierten, glattrasierten und dazu ein bisschen schüchtern dreinblickenden Musiker nicht erkennen. Zu sehr hat sich in den letzten Jahrzehnten das Bild des bärtigen Finsterlings eingeprägt, den Steve Earle zumeist gibt. Zumindest optisch. Wer das Glück hat, mit ihm ein Interview zu führen, berichtet von einem gut gelaunten, charmanten Gesprächspartner.
Nun, Anno 1986 war Steve Earle also ein gut aussehender Country-Newcomer. Ein sehr gut aussehender sogar. Ein Mann mit Charisma, mit einem so lässigen Grinsen im Gesicht, wie es selbst Hollywood-Beaus nicht besser hinbekommen. Doch auch damals war da noch etwas anderes: etwas Nachdenkliches und Geheimnisvolles. Diese Ambivalenz aus massentauglicher Optik und unberechenbarer, fast an den großen Johnny Cash erinnernde Gefährlichkeit, machte den Reiz von "Guitar Town" aus.
"Guitar Town" hat nichts an Reiz verloren
Das Album bildet den Schlusspunkt einer echten Glückssträhne, die Steve Earle so gegen Mitte der 80er Jahre hatte. Zunächst nahm er Demos mit dem Tontechniker Emory Gordy auf, der wiederum stellte den Kontakt zu Produzenten-Ass Tony Brown her - und der wiederum mochte seinen Sound und konnte das Album, mehr oder weniger gegen den Willen der Plattenchefs, als eine Art Privatprojekt von Brown durchboxen. Ärger wird der Produzent aber kaum von der Ledersessel-Abteilung des Labels bekommen haben: "Guitar Town" stürmte die Country-Charts und hielt sich über ein Jahr in der Country-Bestenliste.
Glück hatte Steve Earle aber auch, weil im Jahr 1986 wieder ein anderer Wind durch die Straßen von Nashvilles Music Row wehte. Nach einigen Jahren des "Urban Cowboy"-Hypes mit Pop-gefälligen Songs, besann man sich in der Music City USA wieder der Werte und Roots des Country-Genres. Nutznießer waren - unter anderen - Dwight Yoakam und Steve Earle, die sich damals nicht nur äußerlich, sondern auch musikalisch sehr ähnlich waren.
Das Schönste an "Guitar Town" ist aus heutiger Sicht aber wohl, dass Steve Earle mit seinem Debüt gleich einen zeitlos schönen Evergreen des Genres setzte. Songs wie der gut gelaunte Opener und Titeltrack (mit der wundervollen Bariton-Gitarre von Richard Bennett), das herrlich groovende "Hillbilly Highway", das druckvoll rockende "Good Ol' Boy (Gettin' Tough)" oder das nun tatsächlich an den frühen Johnny Cash erinnernde "Think It Over" gehören mit zum Schönsten der zeitgenössischen Country-Literatur. Damals - und auch noch heute.
Als Bonus zum Geburtstagsfest hält die zweite CD einen bislang unveröffentlichten Konzertmitschnitt einer Show im Park West, Chicago, aufgenommen am 15.August 1986. In den 19 Titeln präsentiert er die Songs von "Guitar Town" plus Tracks wie "Sweet Little '66", "No. 29" sowie Bruce Springsteens legendäres "State Trooper". Keine Frage, Frontman und Band waren an diesem Sommerabend in Chicago blendend drauf.
Fazit: Zum 30. Jahrestag präsentiert die Plattenfirma Steve Earles Debüt "Guitar Town" akustisch runderneuert und mit einem bislang unveröffentlichten Konzertmitschnitt. Gute Idee - volle Punktzahl für das Package!
Label: MCA Nashville (Universal) | VÖ: 28. Oktober 2016 |
Disk 1 - Original Album | |
01 | Guitar Town |
02 | Goodbye's All We've Got Left |
03 | Hillbilly Highway |
04 | Good Ol Boy (Gettin' Tough) |
05 | My Old Friend The Blues |
06 | Someday |
07 | Think It Over |
08 | Fearless Heart |
09 | Little Rock 'n' Roller |
10 | Down The Road |
Disk 2 – Live at Park West, Chicago, Il. Aug. 15, 1986 | |
01 | Guitar Town |
02 | Sweet Little '66 |
03 | Goodbye's All We've Got Left To Say |
04 | Hillbilly Highway |
05 | My Old Friend The Blues |
06 | Good Ol' Boy (Getting' Tough) |
07 | Someday |
08 | Think It Over |
09 | Little Rock 'N' Roller |
10 | State Trooper |
11 | The Week Of Living Dangerously |
12 | Angry Young Man |
13 | Nowhere Road |
14 | Fearless Heart |
15 | I Love You Too Much |
16 | San Antonio Girl |
17 | The Devil's Right Hand |
18 | Down The Road |
19 | No. 29 |