Na ja, stimmt ja eigentlich. Die beiden Grammy-dekorierten Singer/Songwriter gehören schließlich seit mehreren Dekaden zu den besten ihrer Zunft. Seit, so heißt es, rund 30 Jahren kennen und schätzen sich die beiden. Die aus Dakota stammende Shawn Colvin habe dann einfach mal bei ihrem Kumpel Steve Earle angefragt, ob sie ein paar gemeinsame Shows spielen wollten. Sie wollten. Aus den paar Shows sind ein paar Tourneen geworden. Und aus den Tourneen dieses jetzt erschienene gemeinsame Album "Colvin & Earle".
"Colvin & Earle" besticht durch rauen Americana
Als Produzenten haben sie sich schnell auf Americana-Guru Buddy Miller einigen können, ein gemeinsamer Freund der beiden. Wie bei Künstlern dieser Klasse - und dieser Haltung - üblich, verwendete man nicht sehr viel Zeit in Millers Tonstudio. Die Aufnahme-Sessions gingen innerhalb weniger Tage über die Bühne, das allermeiste wurde live - gemeinsam mit einer top besetzten Backing-Band - in Nashville eingespielt. "Wir haben insgesamt nur vier Overdubs gebraucht", sagte Steve Earle kürzlich in einem Interview. Vier Overdubs. Das müsste man mal Lady Antebellum oder Taylor Swift sagen ... Doch Shawn Colvin und Steve Earle sind freilich aus einem anderen Holz geschnitzt. Es ist knorriger, rauer, garantiert nicht glattpoliert. Auch das ist Teil ihrer Haltung, ihrer Gesinnung.
Die Initialzündung für "Colvin & Earle" eröffnet den zehn Titel starken Songreigen: "Come What May" ist, das verraten die beiden Künstler, der erste gemeinsam geschriebene Song von Shawn Colvin und Steve Earle - ein Track in bester Americana-/Folk-Tradition. Dynamisch, kraftvoll, wenige Akkorde, eingängige Melodie, schnörkellose Arrangements und ein Text, bei dem sich ein Hinhören allemal lohnt. Schon dieser Song hat das Zeug zum Klassiker. Obwohl die beiden den kompletten Song gemeinsam singen, mag Earle ihn nicht als "Duett" bezeichnen. "Es singen sich einfach zwei Menschen gegenseitig an", so seine Definition des gesanglichen Paarlaufs. Noch robuster, sperriger und traditioneller fällt das nachfolgende "Tell Moses" aus, ein temperamentvoller Roots-Gospel mit grandiosem Refrain und Text.
Shawn Colvin und Steve Earle bringen auf "Colvin & Earle" vier Songs aus fremder Feder
So könnte es weitergehen. Tut es aber nicht. Denn mit "Tobacco Road" präsentieren die beiden Songschmiede einen Titel - von insgesamt vier - aus fremder Feder. Der Blues-Klassiker, Jahrgang 1960, geschrieben von John D. Loudermilk, blüht in dieser hemdsärmeligen, rockenden Version neu auf und setzt ein Glanzlicht der CD. Dem Blues-Urgestein schicken die zwei Nonkonformisten einen weiteren Musik-Meilenstein hinterher: den gut abgehangenen Rolling-Stones-Schmachtfetzen "Ruby Tuesday". Steve Earle legte Wert auf einen Stones-Song, da er angeblich das Gitarrespielen zu alten Stones-Songs gelernt habe. Nun ja, "Ruby Tuesday". Das Intro klingt so verblüffend nach dem Original und dem jungen Mick, dass man raffiniertes Sampling vermuten könnte. Was in der Strophe noch funktioniert, scheitert allerdings im Refrain: Bei dieser an ein Kinderlied denken lassenden Melodie erinnern die beiden Songwriter-Genies fast an eine beliebige Rolling-Stones-Coverband.
Man fragt sich ohnehin, warum diese zwei kreativen Überflieger gleich vier Fremdkompositionen auf das Album draufpacken (gelungen: ihre Version "You Were On My Mind"). Als Grund geben sie dafür an, dass sie eben erst sechs richtig gute Songs gemeinsam geschrieben hätten. Doch selbst diese klingen noch frisch und unverbraucht, noch fast in der Rehearsal-Phase. Man nehme nur den letzten Song der CD: das leicht chaotisch anmutende "You're Still Gone"; und auch das nur etwas mehr als zwei Minuten dauernde "Happy & Free" lässt nicht auf allzu großen Probeeifer schließen. Was allerdings nicht für "You're Right, I’m Wrong" gilt, die erste Single-Auskopplung der CD. Hier erinnern Colvin & Earle doch glatt an Fleetwood Mac zu "Roumours"-Zeiten. Vor allem Shawn Colvin ähnelt in ihrem Gesang an die junge Stevie Nicks. Es ist der sicher geschmeidigste Titel der CD - vielleicht aber auch der Beste.
Fazit: Die zwei haben sich zwar nicht gesucht, aber - nach 30-jähriger Freundschaft - dann doch gefunden. Shawn Colvin und Steve Earle beleben mit "Colvin & Earle" ihre langen Karrieren.
Label: Fantasy / Concord (Universal) | VÖ: 10. Juni 2016 |
01 | Come What May |
02 | Tell Moses |
03 | Tobacco Road |
04 | Ruby Tuesday |
05 | The Way That We Do |
06 | Happy and Free |
07 | You Were On My Mind |
08 | You're Right (I'm Wrong) |
09 | Raise The Dead |
10 | You're Still Gone |