Es war kommerziell ein Knüller - künstlerisch aber durchaus umstritten. Schließlich trieb Glen Campbell hier den Schulterschluss mit gefälligem Weichspüler-Pop auf die Spitze. Schon alleine die Coverfotos des in Hollywood gemeinsam mit LA-Studio-Elite eingespielten Albums machen klar, dass es hier eine andere Art von Country zu hören gibt: eine elegante, eine geschniegelte, eine von allen staubigen Roots befreite Version. Campbell posiert darauf dümmlich grinsend in einem weiß-silbernen Wild-West-Outfit auf einem weißen Gaul. Wer den legendären Lucky-Luke-Band "Der weiße Reiter" kennt, wird Ähnlichkeiten feststellen - allerdings ironiebefreit. Die Fotos werden ihm, wenn es seine Alzheimer-Erkrankung noch zulässt, deshalb vermutlich heute peinlich sein. Für die Musik muss sich der begnadete Sänger und Songschreiber aber keinesfalls schämen.
Natürlich verströmen die meisten Titel kaum mehr Country-Feeling, als ein Lady Gaga-Album. Doch die Songs haben ihren eigenen Reiz: Titel wie der autobiografisch gemeinte Opener "Country Boy (You Got Your Feet in L.A.", das lässig groovende "Comeback", der herrlich überzuckerte Blue-Eye-Soul von "Count On Me" oder die wundervoll kitschige Ballade "I Miss You Tonight" - alle aus der Feder des Produzenten-Teams - versprühen eine lässige Leichtigkeit, der man sich nicht entziehen kann. Klarer Fall von Easy Listening. Musik, die nicht aneckt, nicht anecken will, die nicht wehtut und die nicht mehr Tiefgang vorgibt, als die leichte Kost mitbringt - die aber den Hörer sofort in eine leichte, positive, sonnige Gefühlswelt entführt. Nach zwei, drei Tracks schnippen die Finger automatisch mit, macht sich ein Grinsen im Gesicht breit. Die Rhythmen gleiten so entspannt dahin wie der Cumberland-River im Sommer, Geigen sorgen für Glitzer und Kitsch, die eingeworfenen Gitarrenlinien lassen aufhorchen. Großes Ohren-Kino!
Bevor der weiße Cowboy den vielzitierten, vielgerühmten Titeltrack aus der Feder von Larry Weiss anstimmt, gibt er bei dem Smokey Robinson-Klassiker "My Girl" noch den braven, dann doch zu farblosen Soul-Crooner. Über "Rhinestone Cowboy" aber muss man kein Wort mehr verlieren. Der Song ist eine Ikone, ein Meilenstein der Musikgeschichte - und ein Evergreen, über den man sich auch 40 Jahre nach Veröffentlichung freut, wenn er - wie so oft - im Radio gespielt wird. In den nachfolgenden Titeln macht sich der weiße Reiter natürlich auch nicht mehr schmutzig. Er präsentiert pompöse Balladen ("I'd Build a Bridge", "We’re Over"), einen niedlichen Folk-Walzer ("Pencils For Sale") und ein von Randy Newman komponiertes Klavier-Rührstück ("Marie").
Zum runden Geburtstag spendierte man der CD noch fünf Bonus-Tracks: Neben Remixen von "Country Boy (You Got Your Feet In L.A.") und "Rhinestone Cowboy" - den beiden Hit-Single-Auskopplungen des Albums - greift er bei "Record Collector's Dream" noch mal tief in die Pop-Schatulle, das flotte "Coming Home" war einst als Single in Japan erfolgreich und die harmonisch anspruchsvolle Danny O'Keefe-Kompostion wäre auch dem Original-Album gut zu Gesicht gestanden.
Fazit: Nie war Glen Campbell mehr im West-Coast-Pop verankert, als auf diesem Album. Gefällige Songs, lässige Arrangements und Campbells fantastische Stimme machen das Album dennoch zum Meilenstein.