Im Steigflug: die Old Crow Medicine Show aus Nashville
Die aus Nashville stammenden Krähen haben in den frühen 2000er Jahren also einen bilderbuchmäßigen Start hingelegt. Vor allem aber überzeugten das achtköpfige Akustik-Ensemble mit jeder nachfolgenden CD-Feuilleton und Kritik. Das Publikum dagegen: mal so mal so. Mal war der Traditional-Act im Steigflug, mal ging es in den Charts rapide bergab. Ihre sieben Alben umfassende Album-Chronik zeigt deshalb ein zick-zack-mäßiges Wechselbad des Erfolges. Nachdem ihr letztes, 2018 erschienenes Album "Volunteer", immerhin von Nashville-Hit-Produzent Dave Cobb in Szene gesetzt, mit einem 14. Rang in den Country- und einem ernüchternden 100. Platz in den amerikanischen Pop-Charts enttäuschte, haben die alten Krähen offenbar Kriegsrat gehalten. Wohin soll's gehen? Was tun? Vielleicht mal neue Töne anschlagen?
Man weiß es nicht, man war ja nicht dabei. Aber Fragen dieser Art wurden bandintern mit ziemlicher Sicherheit verhandelt. Klar, eine Band ist ein Unternehmen. Und ein Unternehmen ist von wirtschaftlichem Erfolg abhängig; Aufwand und Ertrag müssen im Einklang stehen. Mit ihrem achten Album (und siebten Studio-Album) "Paint This Town" versuchen Old Crow Medine Show jedenfalls wieder Wind unter ihre Flügel zu bekommen - und gehen dafür tatsächlich in die Vollen. Anstatt der ansonsten dominierenden Akustik-Instrumente, wie Banjo, Fiddle, Gitarre und Kontrabass, schieben sich jetzt plötzlich E-Gitarren und wuchtigen Drums ins Klangbild. Die Folge: "Paint This Town" ist teilweise ein echtes Heartland-Rock-Album im Stile von Tom Petty, John Mellencamp oder John Fogerty.
Das macht schon der an die rockigen Phasen von Bob Dylan erinnernde Titelsong deutlich. Ein hervorragender Track. Eingängig, zupackend, starke Refrain-Melodie, super Stimmung. Natürlich wollen OCMS nicht ihre alten, treuen Fans nicht gänzlich vergraulen, was weder schlau noch sinnvoll wäre. Schließlich hat die Band exzellenten akustischen Americana so gut wie kaum ein anderer Act drauf – wovon man sich schon im nächsten Song, "Bombs Away", überzeugen kann. In dem enorm schnellen Titel servieren sie wieder mal ein Feuerwerk an Fiddle und Banjo, laden sie das akustische Genre mit richtig Power auf.
"Paint This Town" bietet weiten stilistischen Radius
Das nachfolgende "Gloryland" (keine Sorge, es handelt sich dabei nicht um eine Neuaufnahme des Gospel-Klassikers) fällt als Symbiose der ersten beiden Songs aus und bietet damit rustikalen, druckvollen Folk-Rock (erneut an Bob Dylan erinnernd). Dass die Band auch astreinen Vintage-Rock 'n' Roll im Repertoire hat, belegen sie mit dem zünftigen, "Lord Willing And The Creek Don't Rise" - sehr flott, sehr old-fashioned aber auch sehr gelungen. Man sieht, man hört: Die Herren von Old Crow Medicine Show haben ihre musikalische Spannweite bei "Paint This Town" erweitert. Keine üble Entscheidung. Denn so hält das Album immer wieder überraschende Momente parat, wie die erstklassige Folk-Ballade "Honey Chile", das schon fast punkig-speedige "Used to Be a Mountain", den urigen Bluegrass von "Deford Rides Again" oder die Klavier- und Banjo-Hymne "New Mississippi Flag". Mit dem wuchtigen Folk-Rock "John Brown's Dream" und dem - dem Titel alle Ehre machenden - "Hillbilly Boy" beenden Old Crow Medicine Show ihr neues Album.
Fazit: Neben Folk und Americana servieren Old Crow Medicine Show auf "Paint This Town” auch Heartland- und Folk-Rock - und sind damit auf vielversprechendem Kurs.
Label: ATO / PIAS (roughTrade) | VÖ: 22. April 2022 |
Deford Rides Again
01 | Paint This Town |
02 | Bombs Away |
03 | Gloryland |
04 | Lord Willing and the Creek Don't Rise |
05 | Honey Chile |
06 | Reasons to Run |
07 | Painkiller |
08 | Used to be a Mountain |
09 | Deford Rides Again |
10 | New Mississippi Flag |
11 | John Brown's Dream |
12 | Hillbilly Boy |