Jessica Chastain und Michael Shannon spielen Tammy Wynette und George Jones
Das war eine harte Nacht für George Jones. Eine schöne Frau liegt in seinem Bett, eine andere läuft nur im T-Shirt bekleidet durch sein Zimmer und stört sich wenig daran, dass da ein paar Leute in ihr kleine Lasterhöhle stürmen, um mit George Jones zu sprechen. Es sind die später 1960er Jahre und Musiker leben eben nach dem Motto Sex, Drugs & Rock'n'Roll. Prüderie ist hier fehl am Platze. Dass George Jones nebenbei noch verheiratet ist, wen wundert es?
Aber einen Augenblick. Rock'n'Roll? Okay, der Kerl, der da im Bett liegt, mag ein Country-Sänger sein, doch wer hat eigentlich festgelegt, dass Country-Musiker Heilige sein müssen, die morgens um 5.30 Uhr aufstehen und vor dem Komponieren auf ihrer Farm im heißen Süden Oklahomas erst einmal dem Sonnenaufgang entgegenreiten, um sich für ihr Tagwerk inspirieren zu lassen? Nein, dieser George Jones ist ein Klischeebruch auf zwei Beinen. George säuft, George hurt herum, im Tourbus schießt er auch schon einmal ein Loch in die Decke des Vans.
Darüber hinaus neigt er zu einer Art sarkastischem Nihilismus. Er sagt offen, was er denkt. Und meist denkt er daran, seinen Spaß zu haben. Das ist schließlich das, was ihm geblieben ist, denn seine erfolgreichsten Jahre liegen bereits hinter ihm. Oh, er hat einen guten Namen, er nimmt Platten auf und in der Provinz ist er ein Star, der weiß, was das Publikum von ihm erwartet. George Jones mag dem Alkohol ein wenig zu sehr zugetan sein, beim ersten Ton auf der Bühne aber zieht er sein Programm durch.
George & Tammy - Szenen eine Country-Ehe
So beginnt "George & Tammy", die Geschichte der durchaus denkwürdigen Ehe der Country-Legenden George Jones und Tammy Wynette. Unerwartet könnte man den Einstieg in die Geschichte nennen. George Jones' frühen Jahren werden im Verlauf der Serie kaum thematisiert. Hier und da werden frühere Erfolge angesprochen, sie bleiben aber kurze Dialogfetzen. Was eine dramaturgisch schlaue Idee darstellt, um sich ganz und gar auf die Geschichte von, ganz genau, George und Tammy fokussieren zu können.
Der Country-Fan weiß, wer George Jones gewesen ist. Seine Geschichte zu thematisieren würde nicht nur den Rahmen der auf sechs Episoden ausgelegten Miniserie sprengen. Sie ist für die Handlung in seiner epischen Breite auch vollkommen uninteressant. Alles, was man über George Jones wissen muss, präsentiert die erste Episode der Serie de facto bereits im (langen) Prolog. Er ist ein Country-Star, der seinen Zenit eigentlich bereits überschritten hat, er ist dem Alkohol und schönen Frauen zugetan, auf der Bühne ist er ein Profi. Dieser komprimierte Einstieg verzichtet nicht nur auf unnötiges Blabla, er ermöglicht vor allem auch Zuschauerinnen und Zuschauern den Einstieg, die mit Country Music wenig im Sinn haben. "George & Tammy" ist vielmehr die Geschichte zweier Menschen, die sich eher zufällig kennen- und lieben lernen….und manchmal auch hassen.
Schnitt - Tammy Wynette. Tammy Wynette, eigentlich Virginia Wynette Pugh, ist Mitte 20, Country-Sängerin und sie hat bereits einige, kleinere Erfolge vorzuweisen. Ihre Stimme ist klar, das Timbre einnehmend. Vor allem aber ist sie das genaue Gegenteil von George Jones. Tammy Wynette ist Mutter dreier Kinder, verheiratet ist sie mit Don Chapel (Pat Healy), der ihre Karriere anheizt und ihr Texte schreibt. Dass Don Chapel ihr zweiter Ehemann (gewesen) ist, wird erst in der zweiten Episode tatsächlich thematisiert. Don Chapel besteht auf ein traditionelles Eheleben. Sex, Drugs & Rock'n'Roll? Nicht im Hause Chapel, wo die Kinder bei Essen schweigen und ihre Hände sichtbar auf den Tisch legen müssen.
Don Chapel betrachtet Tammy Wynette als seine Kreation, denn er hat ihr den Weg nach Nashville geebnet. Ob dies der Wahrheit entspricht? Chapel sieht dies auf jeden Fall so und in Nashville ergibt sich für Tammy Wynette eine Chance. Ihr Talent hat sich herumgesprochen, sie ist eine disziplinierte Künstlerin, sie hat jene Form von bodenständiger Ausstrahlung, die das Zielpublikum liebt. Was ihr fehlt, ist so etwas wie - ein Auftritt mit George Jones. Der hat in der Szene nach wie vor einen guten Namen, das Publikum liebt ihn, seine Shows sind (in der Provinz) erfolgreich. Für eine Sängerin wie Tammy Wynette ist einer wie George Jones ideal, um weitere Erfahrungen sammeln zu können.
George & Tammy ist eine Liebesgeschichte
George Jones war 37 Jahre alt, als er Tammy Wynette kennenlernte. Michael Shannon, der in der Serie George Jones nicht nur sein Gesicht geliehen, sondern auch dessen Lieder intoniert hat, war bei Drehstart 47. Dass er äußerlich darüber hinaus kaum Ähnlichkeit mit dem echten George Jones aufweist, sei nur am Rande erwähnt. Jessica Chastain in der Rolle der Tammy Wynette mag vom Typ her der echten Tammy Wynette sehr nahekommen, mit Mitte 40 aber klaffen zwischen der realen Person und ihrer Darstellerin fast 20 Jahre Altersunterschied.
Daher sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Serie sich Erinnerungen von Tammy Wynettes Tochter Georgette Jones beziehen mögen, welche diese in einem Buch zusammengefasst hat. Ein sonderlich faktentreues Biopic aber ist "George & Tammy" überhaupt nicht. Wichtiger ist es der Inszenierung, Momente einzufangen, die die Geschichte der beiden Country-Legenden greifbar machen, um genau zu sein, ihre Liebesgeschichte.
Ein Essen, das das Leben veränderte
George und Tammy sind sich nicht unsympathisch. Im Gegenteil. George gibt sich Tammy gegenüber nett, freundlich - vor allem aber professionell. Sie ist eine Kollegin und so behandelt er sie. Mit Respekt. Es ist in der Inszenierung tatsächlich Tammy, die sich zum Nonkonformisten George hingezogen fühlt, der sagt, was er denkt und dem vor allem egal ist, was die Leute (in seinem Arbeitsumfeld) über ihn denken. George lebt sein Leben.
Es ist ein Essen, das etwas in ihrer professionellen Beziehung verändert. Tammy lädt George zum Essen in ihr Haus ein. Ihr Mann hat unlängst einen Song für George komponiert, den dieser in sein Repertoire aufgenommen hat. Ihre Arbeitsbeziehung beginnt eine eigene Dynamik zu entwickeln und die Einladung ist Tammys Art George für seinen Einsatz - für sie - zu bedanken.
Es ist eine denkwürdige Szene, die die Serie hier kreiert. Es ist ersichtlich, dass Don für George wenig Sympathie empfindet. Sein Haus, seine Regeln. Das gilt auch für George, der diese Regeln - etwa die Sache mit den Händen auf den Tisch - ironisch aufnimmt und sich wenig subtil darüber lustig macht. Was daraus erfolgt ist eine Eskalation, die die Animositäten, die Don für George empfindet, regelrecht explodieren lassen. Am Ende befindet sich Tammy mit George regelrecht auf der Flucht, ihre Ehe ist am Ende und das Abenteuer "George & Tammy" beginnt, das in den nächsten fünf Episoden die Geschichte einer Liebe erzählt, die Höhepunkte erlebt - und abgründige Tiefen.
Stilbruch in der zweiten Folge von George & Tammy
Ist die erste Episode im Grunde eine Komödie über einen Nonkonformisten, der eher zufällig die Liebe findet, kommt es bereits mit dem Einstieg zur zweiten Episode zu einem krassen Stilbruch: Tammy Wynette liegt in einer Klinik und erhält Elektroschocks. Was es mit diesen auf sich hat, erfahren wir zunächst nicht. Die Inszenierung legt denn auch erst einmal den Verdacht nahe, dass wir einen Blick in die Zukunft erhalten. Es ist bekannt (und wird hinreichend thematisiert), dass George und Tammy während ihrer Ehe nicht nur Bachblütentee konsumiert haben. Ist das also die Tammy der Zukunft? Spoiler (der allerdings bald aufgeklärt ist): Nein, es ist ein Blick in die Vergangenheit. Nach der Trennung oder der versuchten Trennung, von ihrem ersten Ehemann, hat ihre Mutter sie in eine Klinik einweisen lassen. Wer den Mann verlässt, ist halt verrückt.
Die Kunst der Serie besteht darin aufzuzeigen, dass die Liebe zwischen Tammy und George und den am Ende doch sehr unterschiedlichen Charakteren, auf Respekt beruht hat. Man wird am Ende der Serie sagen können, da haben sich zwei gesucht, die sich vielleicht nicht unbedingt hätten finden sollen, denn manch eine Turbulenz durchzieht ihre Beziehung im Laufe der Zeit. Doch ihre Begegnungen, im Guten, im Schlechten, finden stets auf Augenhöhe statt.
Stand by Your Man in der zweiten Episode
Steht die zweite Episode noch sehr im Zeichen der Beziehung der beiden Hauptfiguren (so etwa müssen sie darum kämpfen, überhaupt verheiratet zu sein, denn offenbar ist die Scheidung Tammys von ihrem zweiten Mann gar nicht rechtskräftig). Am Ende der Episode steht ein Happy End. Ohne zu viel von der Handlung verraten zu wollen, trägt der Titel bereits dieses Happy End wie eine Monstranz vor sich her: "Stand by Your Man" lautet dieser und wahrscheinlich ist es der Song, der auch jenseits der Country-Szene jener welcher ist, der für ein Aha-Erlebnis sorgen dürfte. Der Name Tammy Wynette? Da muss man als Nicht-Fan schon ein passionierter Oldie-Radiosenderhörer sein, um ihn direkt einordnen zu können. "Stand by Your Man" aber - den Song kennt jeder. Es ist jener Song, der aus diesen persönlichen Irrungen / Wirrungen heraus entsteht und Tammy Wynette nicht nur zum Durchbruch verhilft. Fortan ist sie der Star.
Heile Welt oder der Bruch einer Ehe?
Mit der dritten Episode beginnt für George und Tammy ein neues Leben. "Stand by Your Man" hat alles verändert. Die Provinzbühnen sind Geschichte. Das große Rampenlicht erleuchtet fortan ihre Welt. Samt jener Schatten, die es erzeugt. Ihre Auftritte finden gemeinsam statt. Der Fokus der Öffentlichkeit ist jedoch klar auf Tammy gerichtet. Sie ist das Licht.
Unterschiede ziehen sich an, heißt es ganz richtig. Und diesen Aspekt greift die Serie immer wieder auf. George Jones ist der Nonkonformist. Das wurde schon mehrfach erwähnt. Aber Tammy Wynette? George ist so etwas wie Tammys Befreiungsschlag. Er ist ein Mann, der nicht in Kategorien wie "Mann / Frau" denkt. Erstmals erlebt Tammy an der Seite von George Freiheit. Da ist keine Mutter, die sie in eine Klinik einweisen lässt, weil sie "wider die Natur der Frau" handelt. Da sind keine Männer, die in ihr einen Besitz sehen. Aber bei aller Liebe - sie ist nicht wie George. Sie ist strebsam, sie ist vielleicht sogar konservativ. Auf jeden Fall ist sie keine Lauttreterin. Ja, Unterschiede ziehen sich an. Und sie ergänzen einander. Doch irgendwann lassen sich die Unterschiede nicht mehr übersehen. George erlebt in Sachen Alkohol ein Auf und Ab. Er gibt seine Liebe fürs Hochprozentige für Tammy auf. Doch in ihrem Schatten zu stehen, nagt dann doch irgendwann an ihm. Nicht, weil er im Herzen eben doch ein Kerl ist, der nicht im Schatten einer Frau stehen kann. George ist, wie man umgangssprachlich sagt, eine Rampensau. Er liebt den großen Auftritt. Tammy könnte auch ein Thomas sein - es ist das Gefühl, im Background zu stehen, das ihn wieder zum Alkohol treibt, nicht das Geschlecht.
Der Bruch (und an diesem Punkt besteht Spoilergefahr) beginnt mit der vierten Episode. Georges Alkoholprobleme nehmen Ausmaße an, die er nicht mehr unter Kontrolle bekommt. Ein Blick zurück: Der George Jones der ersten Episode hat definitiv bereits ein Alkoholproblem, doch sobald er die Bühne betritt, ist er ein Profi. Inzwischen nennt man ihn den President of Country Music und Tammy die First Lady. Sie stehen auf dem Höhepunkt ihres Erfolges und das nicht nur in der Country-Szene. Doch der Alkohol macht diese Erfolge zunichte. Alle Bitten Tammys an George, sich helfen zu lassen, ignoriert er. Der bereits angespoilerte Bruch geschieht, als Tammy keine andere Wahl mehr sieht, George vor sich selbst zu schützen und die Schlüssel ihrer Autos versteckt. Es folgt eine Eskalation, inklusive Gewalt. Was folgt ist das Ende einer Ehe.
Moment, dies ist die vierte Episode einer sechsteiligen Reihe.
Das ist korrekt, die Geschichte als solche endet natürlich nicht, denn es folgt nicht nur eine Scheidung. Menschen leben weiter und irgendwann sind die beiden schließlich sogar wieder zusammen aufgetreten. In der Realität und auch die Serie berichtet davon. Sie berichtet davon, wie Verletzungen irgendwann vernarben (aber nicht verschwinden).
Kein einfaches Serienende - die Klage folgt auf dem Fuße
An dieser Stelle könnte nun ein Schnitt gesetzt werden mit dem Hinweis, dass eine brillante Schauspielerin und ein nicht weniger brillanter Schauspieler in sechs Episoden von der Liebe und den Schmerz einer Ehe im Rampenlicht berichten. Was davon der Realität entspricht, was der Fantasie? Die Porträtierten können darüber keine Auskunft mehr erteilen. Die Wahrheit wird vermutlich irgendwo in der Mitte zu finden sein. Das Showbiz als Spielort ist im Grunde nur eine Bühne. Die Geschichte von George & Tammy könnte auch an anderen Orten stattgefunden haben oder stattfinden. Die Bühne aber strahlt natürlich eine besondere Magie aus, die das Publikum als solche in den Bann zu reißen versteht. Darüber hinaus waren die beiden Hauptfiguren Prominente, was den Reiz erhöht. Im Kern aber bleibt die Serie von Showtime (in Deutschland wird sie als Paramount+-Original vermarktet) die intime Geschichte zweier Menschen, die einen Teil ihres Lebensweges zusammen gegangen sind. In guten Zeiten. Bis die schlechten irgendwann die guten Zeiten überwogen.
Leider lässt sich der Text damit nicht beschließen, denn nach dem Start der Serie haben die Erben von George Richey die Macher der Serie verklagt.
Bitte wer?
George Richey wird in "George & Tammy" von Steve Zahn dargestellt. Richey war Songschreiber, Session-Musiker, Produzent - und der fünfte Ehemann von Tammy Wynette (ihre vierte Kurzehe spielt in der Serie keine Rolle und dürfte in der Realität eher als eine etwas aus dem Ruder gelaufene Affäre betrachtet werden). In der Serie sieht besagter George Richey die Möglichkeit gekommen, Tammy Wynette für sich zu gewinnen. Richey hat mit George und Tammy zusammengearbeitet. In der schwierigen Phase nach der Trennung positioniert sich George Richey als Mann für alle Fälle im Leben der Tammy Wynette. Als sie jedoch seine Avancen nicht in der Art erwidert, wie er dies gerne hätte, beginnt er sein Wissen als "Überredungskunst" einzusetzen. Durch die Ehe mit George Jones hat auch Tammy Wynette gewisse Abhängigkeiten entwickelt...
Die Darstellung von George Richey ist nicht gerade positiv zu bewerten. Die Erben des Musikers bemängeln nun, dass diese Darstellung gar nichts mit der Realität zu tun habe und sein Name direkt beschmutzt würde. Tammy Wynette ist 1998 im Alter von nur 55 Jahren verstorben und mit George Richey war sie 20 Jahre lang, bis zu ihrem Tod, verheiratet. Zum Vergleich: Mit George Jones waren es nur sechs.
Was Realität ist und was Fantasie? Selten werden Fälle wie dieser in der Öffentlichkeit verhandelt. In der Regel ziehen sich die beauftragten Anwälte irgendwann in Hinterzimmer zurück und handeln einen Kompromiss aus, mit dem beide Seiten leben können. Der geneigten Zuschauerschaft bleibt nur das große Rätselraten, was denn nun der Realität entspricht und was der Fantasie der Autoren.
Fazit: Mögen sich Wahrheit und Dichtung nie wirklich auseinanderhalten lassen, ist "George & Tammy" ein packendes Biopic über zwei ihre Zeit prägende Stars der Country-Szene. Der Blick hinter die Kulissen des Star-Seins in den frühen 70ern, dürfte auch für solche Zuschauerinnen und Zuschauer interessant sein, die mit der Musik eher wenig anfangen können.