Doch auch jetzt hat man immer noch das Gefühl, dass sie es kaum erwarten kann, ihre kraftvolle Südstaaten-Röhre wieder von der Leine zu lassen. Man nehme nur den zweiten Song von "Playing with Fire" - das zunächst als leiser Folk-Song beginnende "Unlove You". Über zwei Minuten bleibt die Single-Auskopplung in ruhigen Gewässern, um dann aber umso mehr auf die Tube zu drücken: Regler nach oben, Pathos angeknipst, Stimme auf Overdrive. Es wäre auch ohne diese Extra-Schippe gegangen, denn der Song versprüht echten Charme.
Dann Huff produzierte "Playing with Fire"
Die Machart kommt dem Kenner der Materie bekannt vor. Rascal Flatts legen nahezu jeden Song nach diesem Muster an. So überrascht es auch nicht, dass sich Jennifer Nettles für "Playing with Fire" mit dem hitgeschmückten RF-Produzenten Dann Huff zusammengetan hat. Dynamik ist seine Passion. Er bekommt nie genug davon. Was man als Hörer aber nicht unbedingt immer teilen muss. Denn dieses "ruhige Strophe, donnernder Refrain"-Konzept wirkt, kommt es bei jedem Song zum Tragen, schon etwas ermüdend. Nun ja, es gibt auf "Playing with Fire" tatsächlich Ausnahmen...
Dazu gehören aber weder der sehr gut gelaunte Country-Pop von "Hey Heartbreak" noch die nicht weniger kecke, mit einem betrunkenen Honky-Tonk-Piano ausgestattete Revue-Nummer "Drunk In Heels". Selbst das sehr leise, sehr verhalten angelegte "Stupid Girl" dreht in der zweiten Song-Hälfte mit einem derartigen Dezibel-Sturm auf, dass man Sorge um die Lautsprecher-Membrane hat. Vielleicht ja bei "Three Days In Bed"? Sehr, sehr leiser Beginn. Jennifer Nettles flüstert fast. Holly Williams schrieb den Song, in dem es offenbar um ein amouröses Abenteuer in Paris geht. Ein Akkordeon darf da natürlich nicht fehlen. In diesem, mit leichten Chanson-Akzenten ausgestatteten Track hält Jennifer Nettles tatsächlich mal ihr Temperament im Zaum - eine Wohltat. Eine Erholung für die Ohren.
Es ist schon klar, dass daraus keine Gewohnheit wird. Das verkündet schon das anschließende, tatsächlich süße "Sugar" mit aufgekratzten Harmonien, Ohrwurm-Melodien und hyperaktiven "Huhs" und "Heys".
In den Cover-Fotos von "Playing with Fire" gibt die vormals frech-kurzhaarige Jennifer Nettles jetzt die blondmähnige Diva. Mal posiert sie schmollmundig in Highheels und schwarzem Glitzer-Mini, mal mit verwegenem Augenaufschlag, das nächste Mal bedeutungsschwanger nach Nirgendwo blickend oder - lässig und keck - mit einem Streichholz zwischen den weiß blitzenden Zähnen. Ja, sie hat das Zeug zur Diva. Aber zu einer Diva, mit der man Pferde stehlen kann. Ihr Image ist definiert.
Jennifer Nettles - die Country-Diva mit Jeans-Jacke
Wie gut das Temperamentbündel mittlerweile das dramatische Fach bedienen kann, belegt sie in der von ihr gemeinsam mit Brandy Clark und Shane McAnally (Kacey Musgraves) geschriebenen Bombast-Ballade "Starting Over". Ein Song, so wuchtig und überladen, wie ein Michael-Bay-Film. Das anschließende "Salvation Works" verspricht da erst mal mit ruhigen Folk-Klängen Erholung - doch mittlerweile kennt man ja die galoppierende Dynamik des Teams Nettles & Huff.
Dass Jennifer Nettles in der amerikanischen Glamour-Welt angekommen ist, zeigt sich im letzten Song von "Playing with Fire": In dem fröhlichen "My House", bei dem sie sich das Mikrofon mit keiner Geringeren als mit Latino-Königin Jennifer Lopez teilt. Die beiden Ladies haben den Song - unterstützt von drei weiteren Song-Schmieden - selbst geschrieben. Und sie setzen mit unwiderstehlichen Melodien und feurigen Tex-Mex-Bläsern einen gelungenen Schlusspunkt der CD. Die Party geht weiter.
Fazit: Jennifer Nettles reift zur Diva. Doch auf "Playing with Fire" kombiniert sie das kleine Schwarze noch mit Jeans-Jacke. Ein Album das Laune macht, dem aber Produzent Dann Huff zu sehr seinen vertrauten Stempel aufdrückt.
Label: Big Machine (Universal) | VÖ: 20. Mai 2016 |
01 | Playing with Fire |
02 | Unlove You |
03 | Hey Heartbreak |
04 | Drunk in Heels |
05 | Stupid Girl |
06 | Three Days in Bed |
07 | Sugar |
08 | Chaser |
09 | Starting Over |
10 | Salvation Works |
11 | Way Back Home |
12 | My House (mit Jennifer Lopez) |