Mit "Rock My Heart" wird das Pferde-Mädchen-Filmgenre endlich erwachsen - als wenn "Seabiscuit" auf "Das Schicksal ist ein mieser Verräter trifft".
Für die Teenagerin Jana (Lena Klenke) könnte jeder Atemzug der letzte sein: Die eigentlich lebensfrohe Schülerin leidet unter einem angeborenen, schweren Herzfehler und im Gegensatz zu ihren Eltern (Annette Frier und Michael Lott) denkt die junge Frau gar nicht daran, sich für eine riskante, aber möglicherweise lebensrettende Operation zu entscheiden. Jana will ihr Leben genießen, solange es noch geht. Als sie eines Tages durch einen Zufall auf den heruntergekommenen Rennstall von Trainer Paul Brenner (Dieter Hallervorden) trifft, erhält sie prompt eine neue Aufgabe: Der Vollbluthengst Rock My Heart scheint einzig und allein ihr zu vertrauen und das, wo Jana doch eigentlich gar keine Erfahrungen mit Pferden hat. Doch Brenner, für den ein Sieg beim bald anstehenden Derby die Rettung seines verschuldeten Hofes bedeuten würde, braucht nicht lange, um Jana von einer irrwitzigen Idee zu überzeugen: Sie soll beim großen Rennen mit Rock antreten und ihren Hengst zum Sieg führen. Doch ist Janas schwaches Herz dieser Aufgabe gewachsen?
Die zweite Karriere des Dieter Hallervorden
In Hollywood geben sich Schauspieler in höherem Alter gern einer zweiten Karriere als Actionstar hin. Der in den Siebzigerjahren als Komödiant berühmt gewordene Dieter Hallervorden hingegen geht seit einigen Jahren den entgegengesetzten Weg. 2013 feierte er mit seiner Hauptrolle als alternder Marathonläufer in der Tragikomödie "Sein letztes Rennen" ein herausragendes Comeback im ernsten Schauspielfach, das ihm gleichsam den Weg in eine zweite Leinwandkarriere ebnete. Ob in Til Schweigers "Honig im Kopf", der plattdeutschen Migrationskomödie "Ostfriesisch für Anfänger" oder nun eben "Rock My Heart - Mein wildes Herz" - seit einiger Zeit hat sich Hallervorden als grantelnder Greis etabliert, der den Didi von damals längst vergessend gemacht hat.
Doch die sich so austauschbar anhörende Prämisse des Jugenddramas "Rock My Heart - Mein wildes Herz" ist nicht bloß auf die starke Präsenz eines Dieter Hallervorden angewiesen. Hanno Olderdissen ("Familie verpflichtet") hat einen Film gedreht, der im Anbetracht des anhaltenden Pferde-Mädchen-Film-Hypes Gefahr läuft, vorverurteilt zu werden. In Teilen erkennt man zwar auch hier Versatzstücke aus "Ostwind" oder "Wendy" wieder, doch am ehesten lässt sich "Rock My Heart - Mein wildes Herz" noch als Mischung aus "Seabiscuit" und "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" beschreiben. Und als solche funktioniert der überraschend tragische Film verdammt gut.
Von wegen Reiterhofabenteuer
Auch in "Rock My Heart - Mein wildes Herz" geht es in gewisser Weise darum, wie ein Mädchen und ein unzähmbares Pferd unzertrennliche Freunde werden. Doch wir sprechen an dieser Stelle direkt eine Warnung aus: Für das typische Pferdemädchen-Publikum, das sich sonst eher an "Bibi & Tina", "Wendy" oder "Ostwind" erfreut, ist dieser Filmbeitrag hier einfach eine Spur zu realistisch.
Nicht jede erzählerische Entscheidung lässt "Rock My Heart - Mein wildes Herz" auf ein ecken- und kantenloses Happy End hinauslaufen, denn die Protagonistin im Film ist nun mal schwer krank - da können im Alltag, im persönlichen Umfeld und trotz diverser Fortschritte im Hinblick auf das Pferdetraining auch schon mal Rückschläge geschehen, auf die ein Publikum unter zwölf Jahren einfach nicht vorbereitet ist.
Drehbuchautor Clemente Fernandez-Gil ("Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss") traut sich was, wenn er wichtige Hauptfiguren absolut unvermittelt sterben lässt, den Diskussionen über den Sinn und Unsinn der riskanten Operationen ebensoviel Zeit einräumt wie dem Training und bei aller Pferderomantik immer wieder betont, was für ein hartes Business der Galoppsport doch ist. Unfälle, der sachgemäße (an den Grenzen zur Tierschutzwidrigkeit befindliche) Gebrauch der Gerte, die gestrengen Auflagen bei der Prüfung zur Amateurrennreiterin - all das findet in "Rock My Heart - Mein wildes Herz" seinen Platz und hat verkitschten Pferderennmärchen damit viel voraus. Auch wenn das bedeutet, dass man - sollte man den Rennsport bislang nur aus derartigen Filmbeiträgen kennen - anschließend ein wenig desillusioniert den Kinosaal verlässt.
Mut machend, ohne die Realität aus den Augen zu verlieren
Doch "Rock My Heart - Mein wildes Herz" ist kein theoretischer Lehrfilm. Trotz dieser sehr ernsten Aspekte dominiert hier ein Gefühl von Hoffnung und Zuversicht. In einem besonders berührenden Moment fasst "Fack ju Göhte"-Star Lena Klenke die Situation wie folgt zusammen: "Da ist dieses verrückte Pferd unter mir mit 'nem riesigen Herzen was nur für mich schlägt." Und genau so ist es: Während Jana durch das Pferd neuen Lebensmut gewinnt, ihr Trainer Paul Brenner leidenschaftlich Hoffnung schöpft und Janas aufopferungsvoll von Annette Frier und Michael Lott (kennen sich beide noch aus der ProSieben-Serie "Alles außer Sex") verkörperte Eltern hoffen, dass sich all das positiv auf Janas Lebenswillen auswirken wird, wird man als Zuschauer Zeuge, wie die Geschichte in ihrer Verbindung aus realistischem Schmerz und optimistischem Märchen ihre volle Kraft entfaltet.
Hinzu gesellen sich außerdem "Bibi & Tina"-Schwarm Emilio Sakraya als Janas treuer Weggefährte Sami, Milan Peschel ("Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen") als vom Schicksal gebeutelter, seinen Lebensmut jedoch nicht verlorener Ex-Jockey Steckel und Johann von Bülow ("Mein Blind Date mit dem Leben") als sachlicher, um Persönlichkeit bemühter Facharzt, der zwischen seiner jungen Patientin und den Eltern zu vermitteln versucht. Lediglich aus inszenatorischer Sicht scheint Hanno Olderdissen seiner lebensechten Geschichte nicht ganz zu vertrauen: Der inflationäre Gebrauch von gefühlsduseliger Radiopopmusik und reißerischen Zeitlupen passen dann doch eher zu einem "Ostwind", als zu diesem ansonsten so beispielhaft echten Jugenddrama.
Fazit: "Rock My Heart - Mein wildes Herz" kombiniert auf eine absolut authentische Weise das Drama um eine Todkranke mit einem hoffnungsvoll-optimistischen Pferdefilm, das überrascht, mitreißt und die aufgesetzte Hintergrundmusik gar nicht bräuchte, um zu Tränen zu rühren. Die fantastischen Darstellungen im Ensemble und der realistische Umgang mit dem Metier des Pferderennsports runden den starken Gesamteindruck ab.