Wir hatten das Vergnügen, den schwergewichtigen Country-Act mehrfach zum Interview zu treffen und stießen dabei auf zwei höchst sympathische, lockere und intelligente Künstler. Vor diesem Hintergrund setzt der Autor dieser Zeilen die, wenn es sie denn gäbe, rosa Hörbrille beim Check des neuen Albums auf.
Gleichnamiges Album, Mut zum Risiko: "Brothers Osborne"
Ist dieser Sympathie-Bonus nötig? Nun ja, hm... so eine Besprechung ist ja immer subjektiv. Der eine mag bestimmte Sachen und Sounds, der andere weniger. Beginnen wir mit den positiven Seiten des elf Songs umfassenden, von Mike Elizondo (u.a. Shery Crow, Dr. Dre) produzierten Albums. Da wäre gleich mal der Opener zu nennen: John, TJ und Songschreiber-Ass Casey Beathard haben "Who Says You Can't Have Everything" geschrieben - und damit einen Volltreffer gelandet: Ein runder Song. Mit ziemlich klassisch-countrymäßigen Harmonien, die auch mal an Brooks & Dunn erinnern. Ein positiver, Mut machender Track mit einem, selbst für Nashville Anno 2023, ungewöhnlich hippen Sound.
Letzteres gilt auch für das nachfolgende "Nobody's Nobody", eigentlich aber: für fast alle Titel von "Brothers Osborne". Der neue Produzent hat, das steht ziemlich schnell fest, die beiden Brüder in neue Klang-Gefilde überführt. Da tuckert schon mal ein Synthesizer eine spacige Melodie, pocht, wenn nicht Paul McCartney-Drummer Abe Laboriel Jr. zu den Stöcken greift, ein Drum-Computer und die Gitarren-Sounds von John sind noch abgefahrener denn je. Bei "Nobody's Nobody", das die zwei Osbornes mit ihrem Produzenten und Kendell Marvel schrieben, geht das gut: ein Song, der Country-Feeling und Großstadt-Hipness auf einen Nenner bringt. Eine spannende Mixtur.
So ähnlich ist auch "Might as Well Be Me" angelegt. John, TJ, Corey Crowder und Julian Bunetta haben hier im Teamwork einen Song geschmiedet, der mit seiner Hochstrom-Dynamik an die synthetischen Blues-Klänge von ZZ Top, während deren "Afterburner"-Ära erinnert. Ein Mitgröl-Song, ein Party-Kracher, ein potentieller Hit, bei dem Johns fulminantes Gitarren-Solo für das Glanzlicht sorgt. Nach so viel Energieverbrauch müssen auch mal Kraftkerle wie die Brothers Osborne durchschnaufen: "Sun Ain't Even Gone Down Yet" kommt da als entspannter Country-Rocker gerade recht.
Ergänzen sich perfekt: TJ und John von Brothers Osborne
Im Chill-Modus bleiben die zwei auch noch beim anschließenden "Goodbye's Kickin In" - ein entspannter, souliger Track, mit Motown-Vibes, Vintage-Ahaaa-Frauenchor, federndem 70er-Jahre-Groove, Disco-Geigen und - erneut - Johns funky-filigraner Gitarren-Arbeit. Auch wenn die Komposition keinen Innovationspreis gewinnen wird: der Song lässt sich gut hören. Besonders originell kommt auch nicht "Love You Too" daher. Zumindest zunächst nicht. Wenn der Track aber in den Refrain einbiegt, geht harmonisch die Sonne auf. Auch in diesem Song (bei dem erneut ihr Produzent mitschrieb und ein paar Synthies einstreute) bekommt John Gelegenheit, sein bravouröses Solo-Spiel unter Beweis zu stellen.
Ein Sonnenaufgang lässt sich beim anschließenden "New Bad Habit" indes nicht ausmachen. Wohin man auch hört: es bleibt düster. Und kalt. Hier ging die Versuchsordnung mit dem Country-Act und dem neuen Sound doch etwas schief. Warum? Weil der Uptempo-Track mit seinem Tom-Tom-Gewitter, den vielen unterkühlten synthetischen Klängen und TJs Keller-Stimmer eine hibbelige, wenig positive Stimmung kreieren. Klar, es rockt. Es hat Drive. Und wer weiß, nach dem 20. Hördurchgang wird man diesen verwegenen Titel doch noch liebgewinnen.
Bei "We Ain't Good At Breakin Up" dürfte das deutlich schneller klappen. Immerhin schrieb bei dieser kraftvollen Liebes-Ballade Miranda Lambert nicht nur mit, sie teilte sich auch mit TJ das Mikro. Dennoch, das Glanzlicht der CD setzt ein anderer Song: "Back Home", den die beiden gemeinsam mit Lee Miller verfassten. Es ist, dem Drum-Computer im Intro zum Trotz, ein Country-Song reinsten Wassers. Inhaltlich (man kann es sich bei dem Titel denken) sowieso, aber auch musikalisch verzichten sie hier auf Gimmick und Firlefanz. Eine schöne Akustik-Gitarren-Melodien, ein entspannter Rhythmus, ein gewinnender Refrain ... tja, zu Hause ist es eben doch am schönsten.
Bevor das Album mit der souligen und wirklich schönen Klavier-Ballade "Rollercoaster (Forever and a Day)" so gefühlvoll wie gelungen ausklingt (TJ zeigt hier echte Crooner-Qualitäten), sorgt das Brüderpaar noch mal für kurze Irritation: Mit "Ain't Nobody Got Time For That" präsentieren sie einen Disco-Knaller in schon fast "Saturday Night Fever"-Manier. Jaren Johnston (The Cadillac Three) und Lee Miller hatten ausgerechnet hier ihre Autoren-Finger mit im Spiel.
Fazit: TJ und John machten ihr Privatleben öffentlich - und mutig gingen sie auch ihr viertes, gleichnamiges Album an: "Brothers Osborne" ist ihr bislang experimentellstes und vielschichtigstes Werk.
Label: EMI Nashville (Universal) | VÖ: 15. September 2023 |
Disk 1 | |
01 | Who Says You Can't Have Everything |
02 | Nobody's Nobody |
03 | Might as Well Be Me |
04 | Sun Ain't Even Gone Down Yet |
05 | Goodbye's Kickin' in |
06 | Love You Too |
07 | New Bad Habit |
08 | We Ain't Good at Breaking Up |
09 | Back Home |
10 | Ain't Nobody Got Time for That |
11 | Rollercoaster (Forever and a Day) |