Die jüngeren Semester unter unseren Lesern werden mit dem Namen Garth Brooks womöglich gar nicht so viel anfangen können. Garth wer? Zur Erinnerung: der wuchtige Sänger und Entertainer aus Oklahoma war es, der Ende der 80er Jahre die Country Music wieder salonfähig gemacht hat. Er hat den Nashville-Sound aus seiner Isolation geholt, ihn mit Pop- und Rock-Einflüssen aufgepeppt - und ihn damit erst für ein junges Großstadtpublikum attraktiv gemacht. Vor Garth Brooks stand Country nicht selten für Redneck-Borniertheit und reaktionäre Weltanschauung; für ein klischee-beladenes Genre, für das sich mehr oder weniger ausschließlich ältere Herren in Lastwägen begeistern konnten.
Garth Brooks hat die Country Music neu erschaffen
Das hat sich Anno 2020 natürlich gründlich geändert. Country ist heute vielleicht sogar die stilistisch durchlässigste und musikalisch weltoffenste Stilrichtung in der populären Musik. Nicht alleine wegen Garth Brooks. Aber doch zu seinem guten Teil. Um seinen Stellenwert in der Musikgeschichte einordnen zu können: Zu seiner Hochzeit in den 90er Jahren verkaufte Garth Brooks mehr Alben als Michael Jackson oder Madonna. Er war tatsächlich: der König. Und für viele seiner Getreuen ist er bis heute der King des Country.
Vor allem Live ist der vielfache CMA Entertainer of the Year-Gewinner ein Ereignis. Er versteht es wie kaum ein zweiter, eine Menschenmasse in einer Arena zu elektrisieren: Weil er zum einen der geborene Showman ist. Und weil er sich trotz ungefähr 200 Millionen verkaufter Alben eine bodenständige Natürlichkeit bewahren konnte. Charaktertugenden, die seiner Musik stets zugutekamen - und immer noch kommen, wie er jetzt mit "Fun" beweist.
"Fun". Fun? Ausgerechnet jetzt, wo ein Virus weltweit wütet, wo Menschen gesundheitlich oder unter Quarantäne leiden, wo viele wirtschaftlich vor dem Ruin stehen und wo es nicht einmal mehr möglich ist, mit Freunden in einer Kneipe ein Bier zu trinken. Wo bleibt da bitteschön der Spaß? "Den hatte ich während der ganzen Sessions", sagte Garth Brooks kürzlich einem amerikanischen Fernsehsender, "ich ging in das Studio, spielte mit meiner Band diese Musik und alles war irgendwie gut. Wir hatten bei den Aufnahmen unglaublichen Spaß." Über "Fun" sagt er weiter, dass es sein bisher "fröhlichstes Album" sei - und dass es genau zum richtigen Zeitpunkt komme: "Trotz allem dürfen wir das Lachen und die Freude am Leben nicht verlernen." Wie recht er hat…
Dennoch ist "Fun" kein Album, das Schenkelklopfer an Schenkelklopfer, Party-Song and Drinkin'-Song reiht. Ganz und gar nicht. Zum einen würde eine einzige Stimmungslage kein 14 Songs starkes Album tragen. Zum anderen war Garth Brooks schon immer ein Sänger, der auch mal Missstände anprangerte und den Finger in gesellschaftliche Wunden legte. Stromlinienförmige Angepasstheit war jedenfalls nie das Ding studierten Betriebswirten aus Tulsa, Oklahoma. Deshalb findet sich auf "Fun" auch ein Track, der "Where The Cross Don't Burn" heißt - und ganz klar Stellung gegenüber dem Ku-Klux-Klan bezieht. Für seinen großartig klingenden Beitrag zur "Black Lives Matter"-Bewegung hat sich Garth Brooks keinen geringeren als Charley Pride, den ersten afroamerikanischen Country-Star, ins Studio geholt. Ein Duett, das ein Zeichen setzt und Hoffnung macht.
Mit "Fun" erhebt Garth Brooks wieder Ansprüche auf den Country-Thron
Mit "The Road I'm On" gelingt ein ziemlich perfekter Einstieg in die CD: Ein gut gelaunter, perfekt geölter Country-Rocker mit Melodien, die an die frühen 90er Jahre denken und von Freiheit und Highways träumen lassen. Keine Frage, man kann hier den von Garth Brooks angesprochenen Session-Spaß mit jedem Ton hören. Das gilt noch mehr für die Single-Auskopplung "All Day Long", geschrieben von Brooks, Mitch Rossell und Bryan Kennedy. Auch wenn es bei dem Song um Bier, Tanzen, Musik und – wenn's sein muss - eine kleine Keilerei geht, ist "All Day Long" kein typischer Party-Song. Er reicht darüber hinaus. Es geht um das Leben an sich, um den Wert des Daseins, um die Freuden, die man hier auf Mutter Erde erleben darf und soll. "Could do this night life all day long" singt er - und lässt uns damit von zukünftiger Post-Corona-Normalität träumen.
Ins gleiche Horn bläst "Dive Bar". Als Duett-Partner hat er sich mit Blake Shelton eine amtlich bestätigte Party-Koryphäe an die Seite geholt. Resultat: ein so köstlicher wie charmanter Party-Kracher. Fun? Aber Hallo! Doch das Album bietet, wie schon erwähnt, auch Zwischentöne und nachdenkliche Momente. "Stronger Than Me" ist so einer. Die Country-Ballade gehört zweifellos zu den schönsten Songs aus dem Garth Brooks-Repertoire der letzten zehn, 15 Jahre. Ein absoluter Volltreffer!
Das lässt sich auch über das tiefgehende Liebeslied "The Courage of Love" sagen. In diesem akustischen, sehr traditionell angelegten Outfit läuft Garth Brooks gesanglich zu absoluter Top-Form auf. An wen er bei dem Song denken muss, ist natürlich kein Geheimnis: Es ist seine Ehefrau, Country-Star Trisha Yearwood. Gemeinsam mit ihr macht er sich auf "Fun" an einen Lady-Gaga-Hit: an "Shallow" aus dem Kinoerfolg "A Star Is Born". Optisch mögen Lady Gaga und Bradley Cooper, die Original-Interpreten, ja die Nase vorne haben. Stimmlich aber geht der Punkt klar an Team Brooks/Yearwood.
Fazit: CEr war der King des Country - und er hat immer noch Anspruch auf den Thron: Garth Brooks zeigt mit seinem zwölften Studio-Album "Fun", was moderne Country Music alles ausmachen kann.
Label: Pearl (hier nicht veröffentlicht) | VÖ: 20. November 2020 |
01 | The Road I'm On |
02 | That's What Cowboys Do |
03 | All Day Long |
04 | Shallow (mit Trisha Yearwood) |
05 | Dive Bar (mit Blake Shelton) |
06 | Amen |
07 | The Courage of Love |
08 | I Can Be Me With You |
09 | Message in a Bottle |
10 | Stronger Than Me |
11 | Easy Livin' |
12 | Where The Cross Don't Burn (mit Charley Pride) |
13 | Party Gras (The Mardi Gras Song) |
14 | Live Again |