Ist "Cowboy Carter" von Beyoncé ein Country-Album oder nicht?
Zunächst muss man Beyoncé attestieren, dass sie keine dumme Frau ist. Wer sich so lange und so erfolgreich im Musikgeschäft halten kann, muss sich schon auskennen und wissen, wie man im Gespräch bleibt.
Beyoncé wurde mit 32 Grammys ausgezeichnet (Rekord) und gehört mit einem Vermögen von 440 Millionen US-Dollar zu den reichsten Musikern der Welt. Sie liegt nur einen Platz hinter Taylor Swift und wird daher auch ein Auge darauf haben, was die ehemalige Country-Sängerin so macht.
Da ist auch schon der Unterschied: Taylor Swift hat es geschafft die Country-Szene an sich zu binden, obwohl sie schon seit Jahren Pop-Musik macht. Während in Deutschland die Country Music eine untergeordnete Rolle spielt, ist sie in den USA äußerst erfolgreich, kann Zuwächse verzeichnen und stellt immer wieder Rekorde auf. Ist es also verwunderlich, dass Beyoncé ein Stück vom Country-Kuchen abhaben möchte?
Nun behaupten viele Country-Fans hierzulande "Cowboy Carter" sei kein Country-Album. Diese Diskussion ist so alt, wie das Genre selbst. Johnny Cash, Garth Brooks, Shania Twain, Keith Urban und Texas Lightning mussten sich schon damit rumschlagen. Heute würde doch nicht ernsthaft jemand behaupten, dass Johnny Cash kein Country-Sänger gewesen sei. Aber selbst Beyoncé sagt nicht, dass es ein Country-Album sei, sie selbst nennt es einfach ein Beyoncé-Album. Das aus gutem Grund, denn um erfolgreich zu sein, muss man im Gespräch bleiben.
In den USA wird die Musikerin gefeiert, weil sie mit ihrem neuen Album "Cowboy Carter" eine Pioniertat vollbringe: Als schwarze Frau wage sie sich in die Hochburg der konservativen, weißen Männer. Doch das ist eine Pseudokühnheit.
Allein das Cover lässt schon mehrere Schlüsse zu: Auf dem Cover reitet sie im Damensitz auf einem Schimmel, trägt einen weißen Cowboyhut und schwenkt die Flagge der Vereinigten Staaten. Das kann man als Persiflage oder Patriotismus lesen - so kann jeder einen Punkt für sich verbuchen.
Der Albumtitel "Cowboy Carter" bezieht sich auf Beyoncé selbst; Carter ist ihr zweiter Familienname, seitdem sie mit dem Rapper Jay-Z verheiratet ist. Beyoncé steht also in keinem Verwandschaftsvehältnis zur Carter Family.
Beyoncé als Grenzüberschreiterin
Zum Marketing gehört auch eine kalkulierte, aber massentaugliche Provokation und die hat bei Beyoncé perfekt funktioniert: Alle großen amerikanischen Zeitungen veröffentlichten über die Sängerin lange Artikel, in denen es weniger um ihre Musik als vielmehr um die Kultur der USA im Ganzen geht. Zusammengefasst lautet der Tenor: Beyoncé, als schwarze Künstlerin, wagt sich mutig ins Feindesland der weißen Hochburg der Country Music vor, in die einfältige Welt der Hinterwäldler, Hillbillys und Rednecks. Man bewundert ihren Mut und feiert sie als Brückenbauerin oder infiltrierende Guerillakämpferin. Selbst der amerikanische Rolling Stone widmete ihr diverse Artikel zur Albumveröffentlichung.
Als Beweis wird Beyoncés Auftritt von 2016 mit The Chicks während der CMA Awards angeführt. Der Auftritt wurde von den Country-Fans kühl kommentiert, was wiederum für alle als Beleg ihrer Courage interpretiert wurde.
Das scheint sie selbst aber so empört zu haben, dass sie bei der Ankündigung ihres Albums schrieb: "Es ist inspiriert von einer Erfahrung, die ich vor Jahren hatte, als ich mich nicht willkommen fühlte." Beyoncé spricht auch von der Überwindung der Begrenzungen, die ihr auferlegt wurden. Das Album war also als Rache angelegt.
Dazu passt auch der Sturm im Wasserglas, als "Texas Hold 'Em" veröffentlicht wurde. Circa zwei Tage nach der Bekanntgabe am 12. Februar 2024 schrieben wütende Fans, dass Country-Radio-Sender den Song nicht spielen wollten und prangerten Rassismus an. Früher einmal durfte Radiosender selbst entscheiden, was sie spielen und was nicht ohne gleich als Rassisten beschimpft zu werden. Hinzu kam, dass Beyoncés Plattenfirma, Columbia Nashville, zu dem Zeitpunkt den Song noch nicht einmal zu den Radiosendern geschickt hatte. Waren es Country-Fans, die sich empörten, dass "Texas Hold 'Em" nicht gespielt wurde und war das bewusst gesteuert?
Ist "Cowboy Carter" ein Country-Album?
Eigentlich hat "Cowboy Carter" oberflächlich nichts mit Country Music zu tun, abgesehen von ein bisschen Banjo, einem kurzen Sample ("Smoke Hour" mit Willie Nelson) und einer Cover-Version des Dolly Parton Hits "Jolene" (Dolly Parton selbst hatte zwei Jahre vor der Veröffentlichung, in einem Interview mit Trevor Noah, den Wunsch geäußert, dass Beyoncé "Jolene" aufnehmen solle). Es geht doch vielmehr um das Etikett des Überraschenden: Beyoncé veröffentlicht ein Country-Album, als um eine kreative Auseinandersetzung mit dem Genre. Das halten ihr Country-Music-Kritiker vor und auch das wurde als Bestätigung genommen, wie puristisch und engstirnig Country-Leute mit ihrer angeblich engen Auffassung von Country Music eben seien.
Das zeigt doch auf, wie verquer die ganze Diskussion ist. Country Music ist schon längst keine Hinterwäldler Musik mehr! Da hilft es auch nicht, dass im Netz eine Hank Williams-Version von "Texas Hold 'Em" per Künstlicher Intelligenz erstellt wurde, die als echte Country Music verkauft wird. Nashville als das Zentrum der Country Music ist eine boomende, bunte Stadt mit einer Musikszene, in der sich Country Music schon längst auf das eine oder andere genreübergreifende Tête-à-Tête eingelassen hat oder will jemand ernsthaft behaupten, dass Cowboy Troy lupenreine traditional Country Music gesungen hat oder Dolly Partons "Rockstar"-Album immer noch Musik von den Appalachian Mountains ist?
Wer den Lower Broadway in Nashville links liegen lässt, findet in den kleinen Klubs der Nebenstraßen Bands, die Country mit Heavy Metal, Blues, Hip-Hop und Jazz vermischen und kein Mensch fühlt sich in der Music City USA provoziert. Jeder sucht sich einfach die Stile, die ihm gefallen. Die angebliche Country-Rebellin Beyoncé und ihre "progressiven" Anhänger klagen eine Biederkeit ein, die sie umso billiger angreifen können, als sie schon längst nicht mehr existiert. Genaugenommen hat sie nie existiert.
Country Music war schon immer schwarz
Beyoncé überschreitet Grenzen und prangert Klischees an, bekräftigt diese aber indirekt, indem sie einen Gegensatz konstruiert von rebellischen schwarzen Frauen contra eine Country-Bastion konservativer weißer Männer, den es für diejenigen, die sich wirklich mit der Musik auseinandersetzten, nie gab.
Jeder in den USA, den es interessiert, weiß, dass die ersten Cowboys schwarze Sklaven waren, das Banjo auf afrikanische Saiteninstrumente zurückgeht und Country auch im Blues wurzelt - bestes Beispiel ist der Father of Country Music Jimmy Rodgers, der in den 1920ern Songs wie "The Brakeman’s Blues" veröffentlichte. Auch der zuvor erwähnte The Singing Kid Hank Williams, der 1959 mit 29 Jahren starb, lernte das Gitarrenspiel von Rufus Payne, einem afroamerikanischen Bluesmusiker, der ihn tief prägte.
Die Rolling Stones, Bob Dylan und auch Elvis haben Country Music gespielt, der schwarze R’n’B-King Ray Charles veröffentlichte schon 1962 "Modern Sounds in Country and Western Music" und "Modern Sounds in Country and Western Music Volume Two", die beide in den USA jeweils mit Gold ausgezeichnet wurden. Das war damals, im Gegensatz zu heute, kühn.
Die Person of Color Linda Martell, die ebenfalls auf "Cowboy Carter" mitwirkt, landete bereits 1969 einen Country-Hit. In den 1980ern gab es Cowpunk, eine Melange von Country und Punk. Ebenfalls auf Beyoncés Album wirkt Post Malone mit, der seit Jahren Hip-Hop, Grunge und Country verwebt. Was ist mit Charley Pride, der unzählige Hits hatte? Auch in der jüngsten Geschichte gibt es People of Color, die Country Music machten. Manche sind durchgestartet, wie Kane Brown, andere, wie Rissi Palmer, nicht. Das hat also gar nichts mit Hautfarbe zu tun, sondern mit der Musik und ob die den Leuten gefällt.
Es gibt jüdische Country-Sänger wie Kinky Friedman, der sich schon vor zwanzig Jahren für die Schwulenehe, die Legalisierung von Marihuana und die Abschaffung der Todesstrafe einsetzte. Apropos Marihuana - ist Willie Nelson schon vergessen? Unvergesslich ist auch das ironische Video des schwarzen Rappers Lil Nas X von 2018 mit seinem Country-Hit "Old Town Road" mit Billy Ray Cyrus an seiner musikalischen Seite.
Gemessen an solchen Country-Pionieren wirkt "Cowboy Carter" recht brav und klingt also eher nach dem Gegenteil seines Anspruchs, nach lediglich inszeniertem Mut. Auch die Kontroverse ist kalkuliert. Von Tabubruch kann keine Rede sein und falls puristische Radiostationen Beyoncés Songs nicht spielen, kann sie auch das als Bestätigung ihres Rebellentums feiern. So gewinnt Beyoncé sowieso.
Das ist das Traurige am Kulturkampf in den USA: Zurzeit werden gerade - von beiden Seiten des politischen Spektrums - wieder Fronten verhärtet, die sich in einem jahrzehntelangen Prozess langsam aufgeweicht hatten. Die Rechten polemisieren gegen ethnische oder sexuelle Minderheiten, die Linken beschwören einen imaginären Block aus provinziellen, tumben, Weißen, die einen ebenso imaginären Klischee-Country hören. Es ist eine künstliche Debatte, die reflexartig auf die künstliche Provokation eines ziemlich künstlichen Albums folgt und stellvertretend für das banale Schwarz-Weiß des amerikanischen Kulturkampfs steht. Zum Glück ist die Wirklichkeit der USA vielschichtiger und bunter.
Ist "Cowboy Carter" nun ein Country-Album oder nicht?
Ganz ehrlich - wen interessierts? Geschmäcker dürfen und sollen verschieden sein und Millionen von Menschen wird das Album gefallen und ebenfalls Millionen von Menschen werden das Album nicht mit der Kneifzange anpacken. In erster Linie geht es um die Musik und die gefällt nun einmal oder auch nicht. Wer aber das Album preist, als ein Album das Grenzen überschreitet, sollte seine Meinung vielleicht noch einmal überdenken und sich einfach zurücklehnen und die Musik genießen.