Eine durchaus schwere Bürde, die der Mann aus Nashville, Tennessee, mit sich herumträgt: Sohn des Krawall-C & W-Rockers Steve Earle, der ihm wiederum den "Townes" reindrückte, frei nach dem Mentor und Vorbild des Vaters, Townes Van Zandt. Ein tragisches, manisch-depressives Genie, das seit frühester Jugend unter der zerstörerischen Macht von illegalen Betäubungsmitteln sowie Hektoliter-weise Alkohol stand. Van Zandt starb mit gerade mal 52.
"Keine guten Vorzeichen für ein langes Dasein auf diesem Planeten", meinte Justin Townes Earle vor einigen Jahren mal im Interview mit des Billboard-Magazin. "Überall Kriminalität und Sucht und Wahnsinn. Ich kann von Glück sagen, dass ich zumindest bislang lebend aus meiner ureigenen Nummer rausgekommen bin."
Tatsächlich gleicht die Biografie von Justin Townes Earle einer ähnlichen Achterbahnfahrt wie der seines Erzeugers: Vom Vater zweijährig verlassen, wuchs er mit der Mutter auf, die regelmäßig Job und Wohnung wechselte. Zwölfjährig beschloss er, bei Daddy einzuziehen, nachdem dieser seine Suchtprobleme überwunden hatte. Die bekam relativ bald der Filius, ihn überfielen gleichfalls Probleme mit der Polizei, Knastaufenthalte, schließlich Einweisung in eine Rehabilitationsklinik. "Zum Glück habe ich eine recht kräftige Stimme, ständig Ideen für neue Songs - und eine Gitarre, an der ich mich immer festhalten konnte", konstatierte er im Gespräch mit Billboard stoisch. "Ansonsten wäre ich vollkommen duschgeknallt."
The Saint of Lost Causes ist variantenreich
Trotz allen Irrsinns im Alltag hat Justin seit 2007 konstant neue Alben eingespielt und veröffentlicht - das jüngste Werk namens "The Saint of Lost Causes" ist bereits die neunte Produktion.
Es ist vermutlich seine beste, da in sich stimmigste, abwechslungsreichste. Wohl weil sein Privatleben mittlerweile geregelt verläuft. Der wilde Kerl mit den großformatigen Tattoos überall am Körper ist 2013 in den Hafen der Ehe eingefahren, 2017 kam Tochter Etta St. James Earle auf die Welt. Benannt übrigens nach der Blues-Ikone Etta James. Der Kleinen ist "The Saint of Lost Causes" übrigens gewidmet. "Vielleicht ist es der gesegnete Umstand, ein Kind zu haben, dass ich mich wieder mehr in der Welt umgeschaut habe und diese Eindrücke in Texte zu pressen", lässt Justin Towne Earle über seine Plattenfirma ausrichten.
Tatsächlich ist die aktuelle Scheibe musikalisch so variantenreich wie nie zuvor bei dem "ewigen Underdog". Lupenreiner Country á la Charlie Poole, das Melancholische von Hank Williams kämpft sich durch, Johnny Cash blinzelt ebenfalls vorbei und eben auch Steve Earle. Was der Junior nicht so gerne hört, denn "mein Vater konnte ein ziemlicher Arsch sein", konstatierte er bei Billboard schonungslos. "Er war kein Mann, den man als Jugendlicher unbedingt gerne zum Vater hat." Inzwischen kommen die beiden Wilden halbwegs miteinander aus.
Inhaltlich beackert Justin dieses Mal ein weites Feld, zusammen gehalten von der Klammer "USA von heute". Es geht um Vergebung, um einen Mann mit Geldsorgen, um eine Mutter, die von Erlösung aus ihrem prekären Leben hofft. "Am Ende schaue ich bei allen zwölf Liedern durch die Augen meines Heimatlandes", steht im Waschzettel seines Labels zu lesen. "Weil ich an die Idee von Amerika glaube, selbst wenn das einem die derzeitige Regierung nicht leicht macht. Es ist die Vision, dass jeder bei uns willkommen ist und ein Recht darauf hat, hier zu sein. Genau darum geht es mir."
Fazit: "The Saint of Lost Causes" von Justine Towns Earle ist ein gelungenes modernes Country Rock-Werk, das durchaus in die Fußstapfen von Über-Helden wie Johnny Cash oder Hank Williams tritt. Wenn auch nicht in jedem der ein Dutzend Songs.
Label: New West / PIAS (roughTrade) | VÖ: 24. Mai 2019 |
01 | The Saint of Lost Causes |
02 | Ain't Got No Money |
03 | Mornings in Memphis |
04 | Don't Drink the Water |
05 | Frightened by the Sound |
06 | Flint City Shake It |
07 | Over Alemada |
08 | Pacific Northwestern Blues |
09 | Appalachian Nightmare |
10 | Say Baby |
11 | Ahi Esta Mi Nina |
12 | Talking to Myself |