"J.T." ist ein musikalischer Abschied von Steve Earles Sohn Justin Townes
Kaum jemand, der Steve Earle in den frühen 80er Jahren gekannt hat, hätte wohl darauf gewettet, dass er, der hemmungslose Junkie, das geradezu biblische Alter von 65 Jahren erreichen wird. Hat er. Er ist sogar wohlauf und seit vielen Jahren so clean wie ein tugendvoller Jesuitenpriester. Vielleicht aber hat er seine Sucht-Disposition seinem 1982 geborenen Sohn Justin Townes weitervererbt. Wer kann das schon sagen? Fest steht aber, dass sowohl Vater als auch Sohn schon mit elf, zwölf Jahren mit Drogen in Berührung kamen und dass sie beide schon in jungen Jahren bei härtesten Stoffen landeten. Am 20. August 2020 war es schließlich eine Überdosis aus Kokain und weiteren Opiaten, die Leben von Justin Townes beendeten. Mit gerade mal 39 Jahren.
Die Country-Welt ist seitdem um einen talentierten Sänger und Songschreiber ärmer. Steve Earle aber verliert mit ihm, wie er zitiert wird, den "Menschen, den er am meisten geliebt hat." Man kann und will es sich nicht vorstellen, wie es den Musiker bei den Aufnahmen zu "J.T." gebeutelt haben muss. Hören lässt sich diese emotionale Ergriffenheit indes nicht immer. Im Gegenteil. Das liegt vor allem daran, dass Steve Earle zunächst einmal zehn Songs von seinem Sohn interpretiert: Songs wie den beschwingten Opener "I Don't Care", bei dem Bluegrass-Fiddlen aufgeigen und das Pedalsteel fröhlich schimmert. Oder das urige "Ain't Glad I'm Leaving", das herzerfrischenden Americana anbietet. Oder: Das gut gelaunte und gefühlvolle "Maria", bei dem es die rauen, seit Jahrzehnten überstrapazierten Stimmbänder von Steve Earle mit ungewöhnlich eingängigen Harmonien zu tun bekommen, sowie Balladen wie das bittere und leider auch prophetische "Turn Out My Lights", den fröhlichen Country-Blues von "Champagne Corolla" oder das getragene, düstere, gegen Ende infernal anschwellende "The Saint of Lost Causes". Alleine schon die Songtitel lassen das Junkie-Elend von Justin Townes Earle erahnen.
Man hört aber auch, dass Justin Townes zwar möglicherweise die Suchtempfänglichkeit von seinem Vater geerbt hat - sicher aber dessen Songwriter-Talent. Seine rustikalen Country- und Americana-Kompositionen - wie auch "Far Away in Another Town" und "They Killed John Henry" - zeichnen sich durch traditionelle, robuste Gangart, sorgfältige Melodieführung und poetischen Tiefgang aus, in Nashville längst rare Qualitäten. Umso tragischer erscheint es, dass seine Liebe zu Koks & Co. offenbar doch noch größer war als zur Musik.
Rührend und berührend: Steve Earle mit "J.T."
Während Steve Earle die zehn Song-Hinterlassenschaften seines Sohnes gemeinsam mit seiner Band The Dukes interpretiert, wird es beim letzten Track der CD intim. "Last Words", das ist zunächst nur Steve Earle mit Akustik-Gitarre und Gesang - und einem Text, der niemanden kalt lassen kann. "Das letzte Mal haben wir uns am Telefon gesprochen", singt er da, lakonisch, frei von Sentimentalität und trotzdem herzergreifend, "und dann haben wir aufgelegt und du warst weg. Das Letzte was ich gesagt habe war 'ich liebe dich', und deine letzten Worte an mich waren: 'ich liebe dich auch.'" Earle hat dieses raue Adieu in minimalistische Akkorde verpackt und mit knarzig-düsteren Geigen versehen. So unkitschig, dass es weh tut. Doch wer genau hinhört, der spürt in dieser musikalischen Verzweiflungstat auch einen Schimmer Hoffnung. Dass es dem suchtgeplagten Sohn jetzt womöglich besser geht? Oder dass der physische Justin Townes zwar nicht mehr unter uns weilt, dass er aber im Herzen seines Vaters und seiner Fans weiterlebt. Mit "J.T." gibt er ein starkes Lebenszeichen.
Fazit: Wie lässt sich ein Schicksalsschlag besser aufarbeiten als mit Musik? Steve Earle verabschiedet sich mit "J.T." so rührend wie berührend von seinem 2020 verstorbenen Sohn Justin Townes.
Label: New West / PIAS (roughTrade) | VÖ: 19. März 2021 |
01 | I Don't Care |
02 | Ain't Glad I'm Leaving |
03 | Maria |
04 | Far Away In Another Town |
05 | They Killed John Henry |
06 | Turn Out My Lights |
07 | Lone Pine Hill |
08 | Champagne Corolla |
09 | The Saint of Lost Causes |
10 | Harlem River Blues |
11 | Last Words |