Wer also mit "Single Mothers" vertraut ist, wird auf "Absent Fathers" keine großen Überraschungen erleben. Der Grundtenor ist weiterhin düster und melancholisch, und die schonungslos offenen lyrischen Ergüsse vermitteln stellenweise den Eindruck einer Therapiesitzung. Zeilen wie "Du wirst mein Herz nicht noch einmal brechen" oder "Ich habe für dein törichtes Herz und für deine verzweifelten Bedürfnisse gelitten" lassen sich im Opener "Farther From Me" finden. Eine wenig subtile Anklage an Vater Steve Earle, wie sie sich auch schon im Titeltrack des Vorgängeralbums finden lässt. Einzig die verhältnismäßig lockere musikalische Untermalung inklusive Blues-Gitarre und munter polterndem Bass lenkt ein wenig von der Schwere der Thematik ab. Doch eines stellt der 33-jährige Künstler gleich zu Beginn zur Schau: seine Musik ist nicht nur eigenwillig, sie ist auch manchmal schwer zugänglich.
Nichtsdestotrotz hat es schon seinen Grund, warum Justin Townes Earle als eines der Aushängeschilder der Americana/Folk/Alternative Country-Szene gilt. Denn seine oftmals schrullig wirkende Musik hat einen eigenartigen Charme an sich. "Why" ist dafür ein gutes Beispiel. Die Steel-Guitar gniedelt, das Schlagzeug donnert, der Bass hämmert - und darüber legt sich Earles leicht nöliger Gesang, der eher durch Ausdrucksstärke als durch Stimmgewalt überzeugt. Der Song über eine verflossene Liebe ist weder aufregend noch strotzt er vor revolutionärem Einfallsreichtum, aber irgendwie hat er trotzdem etwas Besonderes an sich.
Manchmal schießt Earle allerdings auch über das Ziel hinaus, wie etwa bei "Least I Got the Blues", das so arg wehleidig daherkommt, dass es schon nervig wird. "Slow Monday" fällt später in die identische Kategorie. Viel besser ist da "Call Ya Mama", bei dem der Singer-Songwriter ein wenig aus sich rauskommt und so für ein grooviges und griffiges Highlight sorgt. Nachdem das gelungene, emotionale "Day and Night" dann wieder ein wenig Ernüchterung hervorruft, verlässt Earle seine Komfortzone der Tristesse für einen Ausflug in ungewohnte Gefilde. "Round the Bend" vereint gekonnt Elemente aus Rock und Blues zu einem Ganzen, das Biss hat und Laune macht. Auch der Soul scheint es dem aus Nashville stammenden Künstler angetan zu haben, wie das butterweiche "When the One You Love Loses Faith" beweist.
Getreu dem Titel des Albums kehrt Earle kurz vor Torschluss scheinbar noch einmal zur Vaterproblematik zurück. "Jemand wird dafür bezahlen, wie du gelogen hast", heißt es im Refrain des flotten und angriffslustigen "Someone Will Pay". Nach so viel Frust und Traurigkeit ist es durchaus beruhigend, dass das sechste Studioalbum des unkonventionellen Musikers mit einer positiven Note endet. Bei "Looking for a Place to Land" gibt Earle zu verstehen, dass er die schwierigen Zeiten hinter sich gelassen hat, und Halt bei seiner Frau (Hochzeit 2013) gefunden hat. Gut so!
Fazit: Nicht jeder Song auf "Absent Fathers" zündet, doch die ansprechenden Titel sind glücklicherweise in der Überzahl. Insgesamt liefert Earle eine passende und konsequente Fortsetzung des düsteren Vorgängeralbums "Single Mothers".
Label: Vagrant (rough trade) | VÖ: 9. Januar 2015 |
Titelliste
01 | Farther from Me | 06 | Round the Bend |
02 | Why | 07 | When the One You Love Loses Faith |
03 | Least I Got the Blues | 08 | Slow Monday |
04 | Call Ya Momma | 09 | Someone Will Pay |
05 | Day and Night | 10 | Looking for a Place to Land |