Kurzer Rückblick: Im Herbst spielt Doug Seegers, so wie er das jeden Tag macht, an einer Straßenecke in Nashville. Er spielt um Trinkgeld, um ein paar Kröten, die ihm die Passanten in den aufgeklappten Gitarrenkoffer werfen. Damit verdient er sich seinen Lebensunterhalt, viel braucht er nicht, viel bekommt er nicht, er ist obdachlos. Als der schlaksige Kerl aus New York seine eigene Komposition "Going Down The River" anstimmt, entdeckt ihn die schwedische Musikerin und TV-Journalistin Jill Johnson - und ist sofort hin und weg von seiner Stimme und Musik. Sie dreht einen kleinen Beitrag über Seegers und spendiert ihm eine Aufnahmesession in Johnny Cashs legendärem "Cabin"-Studio. Der Rest: ein filmreifes Kapitel Country Music - "Going Down The River" erobert die schwedischen iTunes-Charts, Platz 25 in den US-Country-Charts, beim hinterhergeschickten, nach seinem Durchbruch-Song betitelten Album bietet ihm Country-Königin Emmylou Harris die Mitarbeit an.
Doug Seegers - das wahr gewordene Musik-Märchen
Eigentlich zu schön um wahr zu sein. Doch manchmal werden, frag nach bei Doug Seegers, Märchen zur Wirklichkeit. Und diese Wirklichkeit fügt jetzt ein weiteres Kapitel in der erstaunlichen Karriere des geläuterten Spätstarters auf - sein zweites Album "Walking On the Edge of the World".
Wie der Albumtitel von "Walking On the Edge of the World" verdeutlicht, hat Seegers - trotz Charterfolgen, gewonnener Reputation und schmucker Wohnung in der Music City - die dunklen Tage seiner Biografie nicht vergessen. Wie könnte er auch. Schließlich war er ganz unten: verarmt, drogensüchtig, obdach- und mittellos. Tiefer geht's kaum mehr. Doch, das verriet er kürzlich im Gespräch mit CountryMusicNews.de, eines Tages fand er zu Jesus; schwor Drogen und Alkohol ab und begann damit ein neues Leben.
Das sieht man, und das hört man auch. Auf "Walking On the Edge of the World" präsentiert sich der 64-jährige Newcomer hörbar gereift, wesentlich selbstbewusster und dazu auch eindeutig glücklicher, als auf seinem Debüt. Auch wenn der Albumtitel dunkle Töne und rabenschwarze Inhalte vermuten lässt - so dunkel, so schwarz ist das alles gar nicht, was Doug Seegers auf dem neuen Song-Dutzend auffährt. Eher das Gegenteil. Man nehme nur den super-schmissigen Rock 'n' Roll von "Mr Weavil", eine exzellente Gute-Laune-Nummer mit swingendem Groove, Bläsersatz und einer wuchtigen Orgel. Schon alleine diese Kurzbeschreibung deutet vermutlich an, dass Doug Seegers bei "Walking On the Edge of the World" nicht mehr mit Mini-Budget auskommen muss. Nein, da ist auch mal das richtig große Besteck drin.
Wie muss er sich wohl dabei fühlen, wenn beim großartigen Opener und Titelsong Top-Musiker wie Al Perkins (Lap Steel), Chris Donohue (Bass) und Gitarrist und Produzent Will Kombrough einen Sound à la Tom Petty anrühren? Es muss eine neue, aber auch eine umwerfende Erfahrung für ihn sein - und das hört man auch in seinem hingebungsvollen Vortrag. Der Mann singt, als gäbe es kein Morgen. Doch das Gefühl dürfte er von früheren Drogen-Tagen nur zu gut kennen...
Noch mehr in die Vollen greifen Seeger und Kombrough bei dem lässigen Swing von "Zombie". Eigentlich ein lupenreiner Jazz-Song, wäre da nicht das countryfizierte Timbre von Seegers. In dem Track besingt er in recht eindeutigen Worten seine Drogen- und Suff-Zeit, ohne dabei aber mit dem mahnenden Zeigefinger zu wedeln. Sehr sympathisch! Das gilt auch für den nachfolgenden, swingenden Country-Gospel "Will You Take The Hand of Jesus", bei dem zwar jede Menge religiöse Begeisterung versprüht wird, der aber dennoch nicht missionarisch wirkt. Hier erinnert der vom Saulus zum Paulus gewordene Sänger fast an Alan Jackson.
Mit "Walking On the Edge of the World" geht das Happy End weiter
Beim nächsten Track fällt einem eine andere Referenz ein: JJ Cale. Ähnlich wie der leider verstorbene Country-Blueser aus Oklahoma zieht Doug Seegers bei "She's My Baby" alle Coolness-Register. Natürlich hält auch sein zweites Album wieder zwei Duette mit den lieb gewordenen Freunden parat: Bei dem Gospel "Far Side Banks of Jordan" teilt er sich erneut das Mikro mit Emmylou Harris - und treten dabei in die Fußstapfen von Johnny Cash und June Carter, die den Song einst aufnahmen - und bei der Jim Lauderdale-Kompostion "If I Were You" macht er mit Buddy Miller, seinem Kumpel aus alten Austin-Tagen, gemeinsame Sache. Kann da was schiefgehen? Natürlich nicht. Den intimsten Moment auf "Walking On the Edge of the World" bietet Seegers allerdings am CD-Ende: "Don't Laugh At Me", ein Track aus der Feder von Steve Seskin und James Shamblin, zeigt Seegers so, wie er die meiste Zeit seiner Karriere, seines Lebens zu sehen und hören war: nur er und seine Gitarre.
Fazit: Nein, Doug Seegers ist nicht rasend schnell zu einem Star geworden - er war es wohl schon immer, nur dass niemand davon Notiz genommen hat. Sein Happy-End geht mit der zweiten CD weiter.
Label: Capitol (Universal) | VÖ: 2. September 2016 |
01 | Walking On The Edge of the World |
02 | From Here to the Blues |
03 | Zombie |
04 | Will You Take The Hand of Jesus |
05 | She's My Baby |
06 | How Long Must I Roll |
07 | Before The Crash |
08 | Give It Away |
09 | Far Side Banks of Jordan (mit Emmylou Haris) |
10 | If I Were You (mit Buddy Miller) |
11 | Mr. Weavil |
12 | Don't Laugh At Me |