"Need You Now", ihr zweites, 2010 erschienenes Album, hat die Weichen für die Karriere gestellt. Das Album, vor allem aber der Titelsong. Diese sehnsüchtige, gleichzeitig schwermütige und romantische Ballade, schlug die Hörer genreübergreifend in ihren Bann. Die Folge: Country war endgültig im Pop angekommen. Oder etwa: zu Pop mutiert?
Darüber streiten sich die Experten bis heute leidenschaftlich. "747" wird die Diskussionen weiter beflügeln. Profitieren davon dürfte Lady Antebellum, und so weiter im Pop und Country punkten. Dass ihnen das mit dieser CD gelingen wird, dürfte feststehen. Denn erneut gelingt ihnen dieser typische Mix aus aufgekratzten Rock- und Pop-Songs und verträumten Folk- und Country-Melodien. Kurz: pures Crossover.
Im Gegensatz zu früheren Alben drücken Lady Antebellum bei vielen Songs das Arrangement-Gaspedal voll durch. Mit beiden Beinen. Schon der Opener "Long Stretch of Love" fährt ein tonnenschweres Soundkonzept auf: es drückt, es treibt, es pulsiert, es knistert. Die Riffs, die Beats, die Keyboards. Spätestens im Refrain haben sie und ihre erlesene Studio-Begleitung einen Wall-of-Sound gemauert, über den Phil Spector noch neidisch wäre. Ohne das viele Klimbim ginge der Titel als Fleetwood-Mac-Song zu "Rumours"-Zeiten durch. So aber - ist es Lady Antebllum Anno 2014.
Tja, die Zeiten ändern sich. Davon erzählt auch das anschließende "Bartender". Es geht so los, wie es vor ein paar Jahren mal hip und innovativ war: Ein tuckender Drum-Computer und Rock-Riffs sorgen für eine gewisse HipHop-Atmo, ein zirpendes Banjo setzt den Gegenpol. Dann die Country-Stimme von Hillary Scott und volles Sound-Brett beim Refrain - in dem sie etwas von "what I really needed now" singt. Eine sicher nicht unbeabsichtigte Reminiszenz an die eigene Glanztat, ohne aber an "Need You Now" heranreichen zu können. Na ja, so oder so ähnlich sind gleich einige der 14 Songs der Deluxe Edition aufgebaut. Das mag auch daran liegen, dass das überfliegende Dreigestirn bei bemerkenswert vielen Titeln ihre Songschreiber-Finger im Spiel hatten. Am stärksten ist das Trio immer dann, wenn es zu überraschen weiß. Das gelingt ihm beispielsweise bei dem putzmunteren, mit Rasierklingen Riffs ausgestatteten Gut-Drauf-Rocker "Freestyle", erneut ein musikalisches Eigengewächs.
Oder wenn es in die andere Richtung, in ruhige Folk-Gefilde geht. "Down South" ist dafür ein gutes Beispiel. Ein Song mit herrlichen Melodien und, ein weiterer Pluspunkt der Band, exzellenten Harmony-Vocals. Dass im Refrain wieder alle Arrangement-Register gezogen und die Volume-Regler nach oben gedreht werden ist: typisch Lady Antebellum. Eine Ausnahme bildet hierfür "One Great Mystery", ein süßer, niedlicher Song. Kelly interpretiert das Rührstück voller Klein-Mädchen-Romantik hingebungsvoll. Überhaupt haben Lady Antebellum ein Herz für ihre jungen Käufer. Das wird auch in dem sehr romantischen, sehr dramatischen Pupertäts-Soundtrack "Damn You Seventeen" deutlich.
Erwachsener fällt "She Is", ein leidenschaftliches Liebeslied, mit starken Leadvocals von Charles Kelly aus. So ziemlich am CD-Ende trumpft dann noch der Titeltrack auf. Ein etwas düsterer Titel mit synkopierten Tom-Tom-Grooves und - logo! - explodierendem Refrain. Ein guter Song, aber weniger wäre auch hier mehr gewesen.
Die Deluxe-Version bietet als Bonus drei Songs: "Slow Rollin'", "All Nighter" und "Falling For You". Aber auch dieses Trio ist nach dem bewährten Muster gestrickt: ruhige Strophe, Vollgas im Refrain.
Fazit: Die Fans der Band werden die CD lieben. Denn das Trio liefert genau diese Art von Songs, die man von ihm erwartet - leichtbekömmliches Pop-Country-Crossover, ohne allzu viel Tiefgang. Ein Nachfolger für das magische "Need You Now" ist wieder nicht dabei.
Label: Capitol Nashville (Universal) | VÖ: 03. Oktober 2014 |
Titelliste der Deluxe-Version
01 | Long Stretch of Love | 08 | She Is |
02 | Bartender | 09 | Damn You Seventeen |
03 | Lie With Me | 10 | 747 |
04 | Freestyle | 11 | Just A Girl |
05 | Down South | 12 | Slow Rollin' |
06 | One Great Mystery | 13 | All Nighter |
07 | Sounded Good At The Time | 14 | Falling For You |