Um den Zuhörer gleich vollständig zu verwirren, lässt Lovett sein neues Meisterwerk mit einer klassischen Big-Band-Nummer starten, die noch dazu keine Eigenkomposition des Grammy-prämierten Songwriters ist. Außerdem singt der Band-Leader nicht einmal. "Tickle Toe" aus der Feder des Jazz-Saxophonisten Lester Young geht ab, wie zu besten Swing-Zeiten, nicht jedoch ohne mit furiosen Gitarren- und Fiddle-Soli auch Country-Geister zu beschwören.
Vom Großstadt-Swing führt Lovett den geneigten Hörer in den tiefsten Süden mit dem Gospel-Epos "I Will Rise Up/Ain't No More Cane". Dunkel und gefährlich loten Lovett und sein hervorragender Chor die Gefilde zwischen Blues, Soul und Gospel aus - mit Gänsehaut-Faktor. Ebenfalls im Gospel-Terrain angesiedelt ist "Make It Happy". Allerdings mit diametral entgegengesetztem Feeling. Wo "I Will Rise Up/Ain't No More Cane" mit jeder Strophe bedrohlicher zu werden scheint, wird "Make It Happy" immer verspielter, fröhlicher und funkiger. Selten wurden zwei Seiten einer Medaille effektvoller ausgeleuchtet.
Mit "All Downhill" präsentiert sich Lovett, wie ihn Country-Fans lieben. Mit Pedal-Steel, Honky-Tonk-Piano, flott-fröhlichem Groove und dem typisch lakonischen Lyle Lovett-Humor warnt er seine Fans vor allzu positivem Denken und mahnt zur Vorsicht: "I've been up so long on this lucky star / It could be all downhill from here."
Ebenso obligatorisch wie der augenzwinkernde Humor bei Lovett, ist ein Loblied auf seine Heimat Texas: Das epische "South Texas Girl" ist ein trauriger Waltz, in dem Lovets literarisches Ich eine rührende Kindheitsgeschichte aus dem Lone-Star-State erzählt - in bester "Storytelling"-Tradition eines Guy Clark, der sogar das Intro und Outro des Songs besorgt.
"Up in Indiana", ein Song über eine 22-jährige Schönheit namens Rose, erfährt auf "It's Not Big It's Large" gleich eine Doppelbehandlung: Einmal interpretieren Lovett und Band die Nummer als flotten Country-Rocker mit Line-Dance-Potential, ein weiteres Mal wird der Titel als Blue-Grass-Nummer verarztet. Von so versierten Spezialisten wie Sam Bush, Bela Fleck, Jerry Douglas und Victor Krauss. Von Zweitverwertung kann hier nicht die Rede sein, eher von einer Win-Win-Situation.
Und die gilt für das gesamte Album, sowohl für Lovett und seine Musiker, als auch für den Fan. Selten fanden musikalisches Können, Witz, Spielfreude so kompakt auf einem Album zusammen. Hinzu kommen hervorragende Songs, schlaue, hintergründige Texte, ausgefuchste Arrangements und eine unglaubliche Genrevielfalt. Mit all diesen Zutaten präsentiert sich Lyle Lovett einmal mehr in Bestform - sehr zum Wohle seiner Fans.
Es gibt dieses Album von Lyle Lovett in zwei Ausgaben. Einmal normal mit einer CD und 12 Tracks, dann aber auch in einer Deluxe-Edition mit einer Bonus-DVD.
Fazit: Hervorragendes Album, bei der Lyle Lovett einmal mehr beweist, wie breit gefächert das Country-Genre sei kann. Unterhaltsam, gescheit und musikalisch auf höchstem Niveau. Ein Leckerbissen, nicht nur für Fans.
Label: Lost Highway/Curb (Warner) | VÖ: 20. März 2009 |
Titelliste
Links
CD | |||
01 | Tickle Toe | 07 | Up in Indiana |
02 | I Will Rise Up/Ain't No More Cane | 08 | Alley Song |
03 | All Downhill | 09 | No Big Deal |
04 | Don't Cry a Tear | 10 | Make It Happy |
05 | South Texas Girl | 11 | Ain't No More Cane |
06 | This Traveling Around | 12 | Up in Indiana |
DVD | |||
01 | Ain't No More Cane | 04 | Up in Indiana |
02 | All Downhill | 05 | Alley Song |
03 | Don't Cry a Tear | 06 | South Texas Girl |
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