Tanya Tucker: mit 64 auf dem Höhepunkt ihres Könnens
Vielleicht ist es so. Nicht weniges spricht dafür. Zum einen verfügt die aus Seminole, Texas, stammende Sängerin nach über 50 Karrierejahren eine unvergleichliche Stimme. In ihr schwingt ihr ganzes bewegtes Leben mit: Ihre Tiefschläge und Flops, ihre Affären (u.a. mit Glen Campbell, Merle Haggard und Don Johnson), ihr Outlaw-Image. Das alles hat ihr eine rauchige, charismatische und unvergleichliche Stimme eingebracht (und nicht, wie es im CD-Waschzettel wenig schmeichelhaft heißt, eine "verwelkte").
Ein anderer Grund für ihren späten Höhenflug liegt in der Zusammenarbeit mit ihren beiden jungen Sidekicks: Shooter Jennings und Brandi Carlile bringen dem Country-Urgestein nicht nur den nötigen Respekt entgegen; sie verfügen auch über die visionäre Vorstellungskraft, um Tanya Tucker in ein neues, dennoch voll und ganz ihr entsprechendes Klanglicht zu rücken. Es gelingt ihnen auf "Sweet Western Sound" vortrefflich. Damit erinnert diese generationsüberspannende Kooperation glatt an das Spätwerk von Johnny Cash, als er mit Rick Rubin gemeinsame Sache machte.
Im Gegensatz zu Team Cash/Rubin entfernen sich Tanya und ihre zwei jungen Mitstreiter aber so gut wie nie von den Roots. Nein, sie bringen die Country-Ursuppe zum Kochen. Mit den bewährten Mitteln, die das traditionelle Gewerbe hergibt und schon immer bereithielt - glaubwürdige Songs über das (einfache) Leben, rustikale Arrangements und zeitlos schöne Melodien.
Den Auftakt für den zehn Titel starken Song-Reigen übernimmt eine Ode, eine Huldigung an die Interpretin: "Tanya" heißt das knapp einminütige A-Cappella-Stück von Billy Joe Shaver. Der 2020 verstorbene Country-Rebell interpretiert es wohl auch selbst (der CD-Waschzettel gibt hierüber leider keine Auskunft). Diese kleine Pretiose macht klar, in welcher Liga Tanya Tucker in Nashville spielte und spielt, mit wem sie klarkommt, wer ihre Geistesbrüder und -schwestern waren und sind. Es sind nicht die makellosen Glamour-Acts, sondern eher die rauen Gesellen wie Shaver. Oder die Unangepassten wie Shooter und Brandi.
"Sweet Western Sound" bringt die Country-Ursuppe zum Kochen
Im zweiten Track, der eigentlichen Album-Eröffnung, interpretiert Tucker die Tim und Phil Hanseroth-Komposition "Kindness". Man muss da gar nicht mal bis zu dem schwelgerischen Refrain warten, um zu wissen: hier ist jemand richtig Großes am Werk. Hier singt jemand nicht aus dem Kopf und schon gar nicht aus der Brieftasche heraus, sondern aus vollem Herzen. Das spürt man, das lässt niemanden kalt.
So großartig geht es mit "Breakfast in Birmingham" weiter. Ach was, der Song toppt sogar noch das vorher gehörte. Denn zu der grandiosen Melodie (Brandi Carlile) weist der Track auch exzellente Songwriting-Poesie auf. Für die ist – Trommelwirbel, Tusch - kein Geringerer als Elton John-Texter Bernie Taupin verantwortlich. Wow! Wenn das mal nicht ein Team der Extraklasse ist. Für das Sahnehäubchen sorgt Brandi Carlile als stimmkräftige Duett-Partnerin. Volle Punktzahl!
Das gilt auch für die nachfolgende, von Shooter Jennings meisterhaft geschriebene Ballade "Waltz Across a Moment". Eine Klavierballade übrigens, mit eher im Pop angesiedelten Harmonien und damit erneut auf Elton John verweisend. Einmal in Moll unterwegs, schlägt sie auch beim nachfolgenden "Ready as I'll Never Be" balladeske Töne an. Den Song hat die Veteranin gemeinsam mit Carlile komponiert, genau wie das muntere "The List".
Etwas modernere Country-Töne schlägt sie in dem gefühlvollen "Letter to Linda" an, das sie mit Shooter Jennings schrieb. Ein weiterer Song-Volltreffer. So bleibt es auch für den Rest der CD: das sehnsuchtsvolle "City of Gold", das so nachdenkliche wie zuversichtliche "That Wasn't Me" und - als finaler Track - das nostalgisch-schöne "When the Rodeo is Over (Where Does the Cowboy Go)" vermählen perfekt Roots-Musik mit zeitgemäßen Country-Vibes. Zwei Daumen hoch für Tanya Tucker.
Fazit: Der Titel ist Programm: Auf "Sweet Western Sound" präsentiert Tanya Tucker zehn melodiöse Tracks der Extraklasse - so traditionell wie zeitgemäß. Volle Punktzahl für die Ikone!
Label: Fantasy / Concord (Universal) | VÖ: 2. Juni 2023 |
Disk 1 | |
01 | Kindness |
02 | Breakfast in Birmingham (mit Brandi Carlile) |
03 | Sitting Alone |
04 | Waltz Across a Moment |
05 | Ready as I'll Never Be |
06 | The List |
07 | Letter to Linda |
08 | City of Gold |
09 | That Wasn't Me |
10 | When the Rodeo is Over (Where Does the Cowboy Go?) |