Sogar hierzulande hat die Band seit ihrem dritten, 2012 erschienenen Album "The Whippoorwill", genügend Fans, um ihre CDs in den Bestenlisten zu platzieren: Ihre letzten vier Alben landeten alle in den Top 50, ihr letztes, "Find a Light" schrammte 2018 mit Rang 21 sogar haarscharf an den Top 20 vorbei. Vielleicht gelingt ihnen das Kunststück ja dieses Mal - mit den zehn rasierklingenscharfen Songs von "You Hear Georgia". Die Chancen dürften gut stehen. Zum einen, weil sie mit Jamey Johnson und Allman-Brother Warren Haynes zwei prominente Gaststars präsentieren. Zum anderen, weil kein Geringerer als Dave Cobb die Regie übernahm.
"You Hear Georgia" - der Sound von Georgia
"You Hear Georgia" könnte man glatt als Konzeptalbum bezeichnen. Der Titel ist dabei natürlich Programm. So dreht sich mehr oder weniger alles inhaltlich um den an Tennessee angrenzenden Südstaaten-Staat. "Im Titeltrack geht es darum, dass der Süden missverstanden wird", sagt Sänger Charlie Starr über die Grundidee der CD. Die Menschen hätten Vorurteile gegenüber jemanden mit Südstaaten-Slang: "Das kann dazu führen, dass man nicht miteinander auskommt." Gegen diese Art von Diskriminierung spielt Blackberry Smoke auf "You Hear Georgia" an: wuchtig, ruppig, selbstbewusst aber auch sensibel und dazu stets eingängig.
Schon der Opener ist ein Statement: "Live It Down". Lebe es aus. Ein Song, der ein Ausrufezeichen hinter dem Titel verdient hätte - so fulminant und entschlossen steigen Blackberry Smoke in das Album ein. Man könnte sagen: volles Brett. Sehr hart, sehr blues-rockig. Wer bei dem über vierminütigen Song an Led Zeppelin oder, vermutlich noch eher, an Aerosmith denkt, liegt nicht falsch. In keiner Beziehung. Der Track hat alles, was erdigen Blues-Rock auszeichnet. Und alles im Überfluss. Da Starr überdies in den hohen Lagen an Steven Tyler erinnert und Gitarrist Paul Jackson an Joe Perry denken lässt, verstärkt noch die Aerosmith-Ähnlichkeit. Aber: Von einer Kopie ist Blackberry Smoke so weit entfernt, wie ein Redneck von einem Veggie-Burger.
Im nachfolgenden Titeltrack betreibt die Band - wie schon erwähnt - songgewordene Imagepflege: "You hear Georgia, when I open my mouth" lässt Starr in der ersten Zeile zu grandiosen, wuchtig-trägen Southern-Rock-Klängen verlauten. Motto: Ich habe zwar einen heftigen Slang, bin deshalb aber längst nicht doof. Ein Bekenntnis zur Provinz. Ein Statement für Toleranz. Vor allem aber: ein großartiger Southern Rocker mit hymnisch-schönen Refrain, raffinierten Breaks und jubilierenden Slide-Gitarren-Melodien.
Das alles gilt weitgehend auch für das nachfolgende "Hey Delilah". Nur: Irgendwoher kennt man diesen synkopierten Groove, dieses Gitarren-Riff und vor allem die Gesangsmelodie im Refrain? Kurz nachgedacht. Bingo! Hier lässt das "Dixie Chicken" von Little Feat herzlich grüßen. Der Song ist in seiner ganzen Anmutung, Tempo und Melodieführung so sehr an den Feat-Klassiker Jahrgang 1973 angelehnt, dass Songwriter Lowell George dafür eigentlich posthum Tantiemen bekommen sollte.
Blackberry Smoke bieten auf "You Hear Georgia" Southern- und Country-Rock der Premium-Klasse
Auch im nächsten Song, "Ain't the Same", sollte man einen bandexternen Komponisten urheberrechtlich bedenken. Wen? Das war für den Autor dieser Zeilen gar nicht so einfach. Es hat gedauert. Selbst mehrere Songanläufe waren nicht hilfreich, diese eingängige, dabei vernebelt-vertraute Melodie zu identifizieren. Nach ein, zwei Tagen aber war es soweit: Na klar, "Crocodile Rock". Erschienen 1972 und damit einer der ersten Hits von Elton John. Natürlich haben Starr & Co. den Track nicht plump kopiert, aber die Melodie ausgeliehen, das haben sie schon.
Wer weiß. Vielleicht geht es auch gar nicht anders. Schließlich konsumieren auch Musiker und Songschreiber ihr ganzes Leben lang Musik. Manche Töne bleiben im Unterbewusstsein hängen und fließen bei einer Songwriting-Session einfach mit ein. Kann passieren. Passiert immer wieder. Dass Blackberry Smoke aber nicht auf fremde Song-Federn angewiesen sind, zeigt die Band in den weiteren sechs Tracks von "You Hear Georgia". Und auch, dass sie musikalisch geschmeidig und unberechenbar sind: "Lonesome for a Livin'" hält beispielsweise einen astreinen, gleichzeitig an Willie Nelson und Hank Jr. erinnernden Country-Song bereit. Rau, rustikal, im gediegenen Dreiviertel-Takt angelegt und mit Jamey Johnson als Gaststar.
Nach dieser viereinhalbminütigen Verschnaufpause legt die Band wieder richtig los: mit "All Rise Again". Wer hier an die Allman Brothers Band in Höchstform denkt, liegt richtig. Nicht nur deshalb, weil hier Warren Haynes, Gitarrist und Songwriter der Allmans, kräftig mitmischt. Vor allem in den Slide-Passagen fühlt man sich an den legendären Duane Allman erinnert. Das Wechselbad der Dynamik und Stile prägt auch für die weiteren Tracks: "Old Enough to Know" bietet ruhigen, akustischen Country-Folk, "Morningside" und "All Over The Road" harten und herzhaften (Southern) Rock und mit "Old Scarecrow" lassen sie das Album mit exzellenten Bluestönen ausklingen.
Fazit: "You Hear Georgia" - wenn Georgia so klingt, sollte man schleunigst Reisepläne schmieden! Blackberry Smoke gelingt gemeinsam mit Produzent Dave Cobb erneut der große Wurf: Southern Rock, Country und Blues vom Feinsten.