Chris Thile - Laysongs

CD Cover: Chris Thile - Laysongs

Chris Thiles neues Album "Laysongs" verdient sich den Begriff "Soloalbum" mit jeder Note

Von Chris Thile darf man vor allem eines erwarten: hohe Qualität. Wie und mit wem der 1981 im kalifornischen Oceanside geborene Sänger, Mandolinen-Ass und Komponist seine Virtuosität allerdings gerade auslebt, ist: eine Wundertüte. Man weiß nie so genau, wohin die Reise geht. Aber man darf sich sicher sein, dass sie mit einem ganz besonderen Hörerlebnis verbunden ist. Das war genau genommen schon immer so bei ihm.

Nun gut, vielleicht noch nicht gerade, als er mit acht Jahren (mit seinem Vater Scott) die Band Nickel Creek gründete. 1993 erschien das Debüt der Familienband, ein Jahr später brachte Chris Thile, wohlgemerkt als 13-Jähriger, sein erstes Solo-Album heraus ("Leading Off").

Mehr solo geht nicht: Chris Thile auf "Laysongs"

Nach dem Nickel Creek-Ende 2007 folgten weitere Solo-Alben und die Gründung einer weiteren, ganz auf Roots-Experimente spezialisierten Band: die Punch Brothers. Sechs Alben und eine EP hat die Formation zwischen 2008 und 2018 veröffentlicht und - so nebenbei - mit ihren grenzüberschreitenden, mitunter respektlosen, immer aber auf höchstem Niveau angesiedelten Klängen das Feuilleton für Roots-Musik begeistert: kein Kultur-Redakteur eines angesehenen Mediums, der sich nicht als Punch Brothers-Fan ausgegeben würde!

Wie beeindruckend das Standing in der Musikszene von Chris Thile ist, zeigt sich natürlich auch in vier gewonnenen Grammys. Wer weiß, vielleicht wären es schon weitaus mehr, hätte er seine Karriere so verwaltet, wie es Allison Krauss macht. Sie bleibt sich ihrem Genre treu - und bleibt damit Klassenbeste. Thile dagegen sucht stets die neue Herausforderung. Neue Grenzen, die es zu überwinden gilt, neue Kooperationen, die neue Klänge ermöglichen. Getreu seiner Masterclass-Serie "Music is Life is Music" betrachtet er die Musik als organisches Wesen, das lebt, das sich ändert und verändert. Zusammenarbeiten mit Musikern wie dem Klassik-Cellisten Yo-Yo Ma, dem Jazz-Pianisten Brad Mehldau oder mit den kreativ-verrückten Coen-Brüdern (Soundtrack zu "Inside Llewyn Davis") loteten seinen, aber auch den Horizont seiner Fans stets weiter aus.

Nun steht mit "Laysongs" weiteres Ausloten an. Eine Perspektiv-Verlängerung, für die sich Chris Thile dieses Mal keine Verstärkung genommen hat. Nur er. Nur Stimme, Mandoline - und überbordende Kreativität und Virtuosität. Schon alleine jetzt dürfte klar sein, dass wir es mit "Laysongs" mit keinem Album von der Stange zu tun haben. Nein, ganz im Gegenteil. Das in einer Kirche in Upstate New York aufgenommene Werk fordert von seinem Hörer einiges ein. Es ist maximal weit von gefälliger Song-Literatur entfernt, es bricht mit konventionellen Hörgewohnheiten und vermutlich auch mit gängigen Song-Strukturen. So breiten die neun Tracks von "Laysongs" einen Klang-Kosmos aus, der allemal gewöhnungsbedürftig ist. Jeder Song, jeder Takt kann eine neue Überraschung bieten: Kopfstimme, atonale Wendungen, vertrackte Rhythmik, an Free-Jazz denken lassende Passagen. Aber auch: berührende Melodien und Inhalte. Und natürlich so mancher Mandolinen-Lauf in Lichtgeschwindigkeit.

"Laysongs": Roots-Avantgarde?

Wer diesen Klang in einer Kategorie ablegen möchte, muss wohl erst eine definieren. Vielleicht wäre Roots- oder Folk-Avantgarde geeignet. Wer weiß? Wie man Chris Thile kennt, dürfte ihn das aber kaum interessieren. Ihm geht es stets nur um die Macht der Töne und Inhalte - und was er mit den neun, größtenteils über vierminütigen Songs anbietet, verströmt erstaunliche Wucht. Erstaunlich deshalb, weil er eben solo, ganz auf sich gestellt ist. Für einen Künstler dürfte es kaum eine höhere Hürde geben, womit wir wieder beim "Ausloten" wären.

Schon die Songauswahl von "Laysongs" sagt: keine Schubläden! Nicht mit mir! So spannt er einen Bogen von Buffy Sainte-Maries Adaption eines Leonard Cohen-Gedichts ("God is Alive Magic is Afoot") über einen von Hazel Dickens geschriebenen Bluegrass-Klassiker ("Won't You Come And Sing For Me") bis zu Klassik-inspirierten Motiven (Bartók-Sonate und Bach Partina für Violine). Herzstück der CD ist das dreiteilige "Salt (in the Wounds) of the Earth", wofür C.S. Lewis' "The Screwtape Letters" Pate standen.

Am eingängigsten fällt das von Chris Thile geschriebene "Dionysus" aus. In dem knapp fünfminütigen Track über den griechischen Gott des Weines und der Fruchtbarkeit erlaubt sich Thile auch mal halbwegs konventionelle Blues-Akkorde und fast schon gefällige Folk-Melodien. Für den Einstieg in diese außergewöhnliche CD deshalb vielleicht keine schlechte Wahl.

Fazit: Ausnahmemusiker Chris Thile bietet auf "Laysongs" im Alleingang Roots- und klassisch inspirierte Musik auf hohem Niveau. Keine leichte Kost! Aber ein Hörerlebnis der besonderen Art.

Label: Nonesuch (Warner) VÖ: 4. Juni 2021
01 Laysong
02 Ecclesiastes
03 God Is Alive Magic Is Afoot
04 Salt (in the Wounds) of the Earth, Pt. 1
05 Salt (in the Wounds) of the Earth, Pt. 2
06 Salt (in the Wounds) of the Earth, Pt. 3
07 Sonata for Solo Violin, Sz. 117: IV. Presto
08 Dionysus
09 Won't You Come and Sing for Me
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