Wie er sich so auf dem Cover seines zweiten Albums "Southern Symphony" aus einem Cabrio lehnt, wie er cool nach Nirgendwo blickt, die Haare zur Götz-Alsmann-Tolle aufgetürmt, mit Dreitagebart, Jeans-Hemd und der am T-Shirt baumelnden Ray Ban, denkt man nicht unbedingt an einen Musterknaben. Ist er vermutlich auch nicht. Oder etwa doch? Werdegang und Privatleben lassen in jedem Fall an einen ernsthaften Menschen denken.
Ein paar Beispiele gefällig? Russell Dickerson aus Union City, Tennessee, macht nicht nur Musik, weil er eine gute Stimme hat. Er hat an der Belmont University Musik studiert, brav seinen Abschluss gemacht und kurz darauf seinen ersten Künstlervertrag unterschrieben. Schon 2011, er war gerade mal 24 Jahre alt, ging er im Vorprogramm von David Nail auf Tour. Weitere Opening-Act-Engagements folgten - unter anderem für Groß-Kaliber wie Thomas Rhett, Billy Currington, Lady Antebellum und Darius Rucker.
Derart gerüstet, ging er 2017 ins Studio, um sein Debüt-Album "Yours" aufzunehmen. Die CD landete auf dem mehr als respektablen fünften Rang der US-Country-Charts. Noch besser konnten sich die drei Single-Auskopplungen in den Ranglisten behaupten: alle drei kamen sie unter die Top 5 der Country-Songs, alle drei eroberten Platz eins der Airplay-Charts. Vor allem der Titelsong des Albums schlug ein, wie die viel zitierte Bombe: Doppel-Platin, 430.000 verkaufte Einheiten. Zahlen, die eines klar machen: wir haben es mit einem neuen Country-Star zu tun. Diesen Status gilt es jetzt mit seinem zweiten Album "Southern Symphony" zu untermauern. Tja, und wie gelingt das am besten? Ein bewährter Hit-Produzent, ein Bündel eingängiger Songs und der eine oder andere Star-Gast-Auftritt wären sicher nicht der falsche Ansatz…
Mit "Southern Symphony" untermauert Russell Dickerson seinen Star-Status
Mit einem Bachelor in Music-Diplom in der Tasche muss man das Russell Dickerson sicher nicht erzählen. Der smarte Musiker weiß das natürlich ganz genau. Und so holt sich der 33-Jährige für sein zweites Album nicht nur einen guten und fähigen Produzenten, sondern mit Dann Huff einen Mann hinter den Pult-Reglern, der die letzten 20 Jahren in Nashville ganz entscheidend geprägt hat. Nach wie vor ist der dazu großartige Gitarrist vielleicht erste Wahl, wenn es darum geht, den gemeinsamen Nenner von traditionellen Werten und hippen, pop-tauglichen Klängen zu suchen. So viel vorab: in den meisten der zehn Tracks finden sie ihn auch.
Beispielsweise gleich mal im Opener. "Never Gets Old" ist ein sonniger Country-Rocker der, nicht gerade originell, die unverwüstlichen Dinge des Lebens verhandelt: ein Live-Club mit guter Band, barfuß am Strand laufen, ein eiskaltes Bier (ausgerechnet "Corona") und - die Liebe zu seiner Frau (Dickerson heiratete bereits mit 26 Jahren). Musikalisch sind die simplen Weisheiten in Gute-Laune-Akkorde und Party-Feeling verpackt.
Ohnehin ist bei dem Album klar, dass Russel Dickerson nicht gewillt ist, irgendwelche heiße Eisen anzupacken. Es findet sich im Verlauf kein einziger Song, der sich auch nur halbwegs kritisch, mit den gerade in den USA stattfindenden gesellschaftlichen oder gesundheitlichen Problemen auseinandersetzen würde. Im Gegenteil. Russell Dickerson besingt eine heile Welt. Eine Welt, in der die alten Werte und Tugenden ihren festen Platz haben. Also: die Liebe ("All Yours, All Night", "Love You Like I Used To", "Honey", "Waiting For You"), die Heimat ("Home Sweet", "Southern Symphony") der Glaube ("Come to Jesus") und natürlich das Feiern ("Never Gets Old", "It's About Time"). Ein vierblättriges Inhalts-Kleeblatt, mit dem man garantiert nirgendwo aneckt. Schon gar nicht in Nashvilles' Music Row.
Auch musikalisch gehen Dickerson und Huff keine Experimente ein. Sie rühren einen süffigen, mit allen aktuellen Zutaten gemixten Sound-Cocktail an, an dem das Mainstream-Radio sicher Geschmack finden wird. Modern frisierter, mit zwingenden Hooklines ausgestatteter Country-Pop à la "Home Sweet", "Forever For A Little While" oder das mit HipHop flirtende "All Yours, All Night" sollten deshalb gute Airplay-Einsätze einfahren. Wie so häufig bei Dan Huff-Produktionen, zeichnen sich auch die neuen Dickerson-Songs immer wieder durch "leise erste Strophe - tosender Refrain" aus. "Love You Like I Used To" und "Waiting for You" stehen für dieses Rezept stellvertretend.
Gegen Ende der CD kommt dann aber doch noch etwas Abwechslung auf: "Honey" kredenzt absolut hitverdächtig Southern-Rock-Elemente mit AC/DC-Riffs, Banjo-Klängen und Ohrwurm-Refrain; "Southern Symphony", der Titeltrack, beschwört schon fast in akustischer Roots-Manier den Moral-Kodex der Südstaaten und bei "It's About Time" macht Russel Dickerson gemeinsame Sache mit seinen Buddys Tyler Hubbard und Brian Kelley, den zwei Spaßvögeln von Florida Georgia Line. Und wir wissen: Wo die beiden Auftauchen, ist für Trübsinn kein Platz. It's Party-time!
Fazit: Russell Dickerson besingt auf "Southern Symphony" die heile Südstaaten-Welt - und bietet dabei grundsoliden, von Dann Huff perfekt produzierten Country-Pop.
Label: TRiple Tigers (Membran) | VÖ: 18. Dezember 2020 |
01 | Never Get Old |
02 | Home Sweet |
03 | All Yours, All Night |
04 | Love You Like I Used To |
05 | Forever For A Little While |
06 | It's About Time (mit Florida Georgia Line) |
07 | Honey |
08 | Southern Symphony |
09 | Come to Jesus |
10 | Waiting For You |