Und so geht es auf "A Sailor's Guide to Earth" weiter. Auf die Ballade "Breakers Roar" folgt das grandiose "Keep It Between The Lines" - endlich mit jaulenden Rock-Gitarren und knackigen Soul-Bläsern. Sie stammen, wie bei der Hälfte der Songs auf Sturgill Simpsons drittem Album, von den Dap-Kings aus New York City. Die neun Musiker haben sich zu einer der führenden Retro-Soul-Funk-Bands des Landes gemausert, und sich vor allem als Begleitcombo der Sängerin Sharon Jones einen Namen gemacht.
"A Sailor's Guide to Earth" ist eine richtige Soul-Platte geworden - von Sturgill Simpson selbst produziert
"As soon as I open my mouth, it’s going to be a country song", sagt Sturgill Simpson, der Singer/Songwriter aus Kentucky, über "A Sailor's Guide to Earth". Und natürlich hat er noch den klassischen Country-Swagger in der Stimme, sein breiter Südstaaten-Akzent ist "as Country as it gets" und erleichtert das Verständnis seiner mit philosophischen Überlegungen angereicherten Texte nicht gerade. Aber der Sänger, der längst in Nashville ansässig ist, hat nach dem Erfolg seines zweiten Albums, das von Dave Cobb produzierte "Metamodern Sounds in Country Music", nicht den Fehler gemacht, sich zu wiederholen. Auf dem Album erkundet er all die Stile, die er schon immer liebte, vom ungestümen Rock der Rolling Stones bis zum Soul eines Marvin Gaye. Es ist sein persönlichstes Werk geworden, von ihm selbst produziert.
Es dauert beinahe eine Viertelstunde, bevor mit "Sea Stories" der erste "richtige" Country-Song auf "A Sailor's Guide to Earth" am Horizont auftaucht. Wer ihn im Januar 2016 auf Solo-Tour erlebt hat, weiß, mit wieviel Leidenschaft und Feeling Sturgill Simpson Stücke wie Otis Reddings "You Don't Miss Your Water" interpretieren kann. Und so ist "A Sailor's Guide to Earth" zu mindestens 50 Prozent eine richtige Soul-Platte geworden.
Zu hören ist das auch auf "In Bloom". Hier vertont der Sänger einen der bekanntesten Songs von Nirvana. Seine bemerkenswerte Version ist deutlich verlangsamt, angereichert mit sanften Akustikgitarren und Streichern, ehe sie sich in ein großes Finale mit den Bläsern der Dap-Kings steigert. Die Seelenqualen eines Kurt Cobain und dessen Probleme mit Alkohol und Drogen sind Sturgill Simpson nicht fremd. Doch Zeilen wie "He's the one who likes all our pretty songs/ And he likes to sing along", die der Nirvana-Sänger noch auf ein ignorantes Publikum münzte, sind keinesfalls eine versteckte Kritik Simpsons an seinen Zuschauern. Sein Cover, dessen "But he knows not what it means" er um die Zeile "to love someone" ergänzt, möchte Sturgill Simpson ganz schlicht als Tribut an einen Helden seiner Teenager-Zeit verstanden wissen. Und natürlich als Liebeserklärung an seinen Sohn.
"A Sailor's Guide to Earth" ist gleichzeitig eine Liebeserklärung an und ein Leitfaden für den Sohn
Schon der Titel deutet an, was der Mann mit dem Album vorhat: ein Songzyklus als Brief eines Seemanns an die Lieben in der Ferne. Es ist ein Leitfaden, verfasst von einem Rastlosen, einem Suchenden, der bis weit über das 30. Lebensjahr brauchte, bevor er seine Bestimmung als Musiker fand. Es ist die Lebenserfahrung, die ein Vater seinem Kind mitgibt.
In "Keep it between the lines" wendet er sich als Ratgeber direkt an seinen im letzten Jahr geborenen Sohn: "Just stay in school/ Stay off the hard stuff/ And keep it between the lines."
Die neun Stücke auf "A Sailor's Guide to Earth" werden von meerestypischen Geräuschen zusammengehalten, es erklingen Wellenrauschen und seemännische Gesänge. Das vorab veröffentlichte "Brace For Impact (Live A Little)" ist ein trockener Blues-Rocker, der am ehesten dem Sound von Simpsons Live-Performances nahekommt. Mit einem ekstatischen "Call to Arms", einem weiteren famosen Uptempo-Song mit Rock'n'-Roll-Piano und Hammond-Orgel, geht das Album zu Ende. Auch dieser Song steigert sich in ein furioses Finale mit funky Horns, die einen Punch haben, den man im Country-Genre kaum jemals gehört hat. Wut hört man auch dem Songwriter an, der hier über Krieg, Terrorismus und Rassismus zürnt.
Fazit: Sturgill Simpson hat sich mit dem vor Soul- und Rock-Einflüssen nur so funkelnden "A Sailor's Guide to Earth" endgültig in die A-Liga der amerikanischen Songwriter gespielt. Brillant.