Rhiannon Giddens - You're the One

CD Cover: Rhiannon Giddens - You're the One

Auf ihrem neuen Album "You're the One" serviert Rhiannon Giddens ein Song-Dutzend aus eigener Feder

Rhiannon Giddens in einer Stilschublade ablegen? Ein hoffnungsloses Unterfangen - und das hat auch mit ihrer Biografie zu tun. Schließlich ist die 1977 in North Carolina geborene Sängerin Tochter eines (weißen) Rockmusikers und einer (schwarzen) Klassik-Liebhaberin. Multi-Kulti? Aber vom Feinsten! Vor allem, da das einstige Mitglied der umjubelten Carolina Chocolate Drops schon als Kind überdies mit Bluegrass und Opern in Berührung kam.

Auf Grund ihrer außerordentlichen Stimme studierte sie am Oberlin College in Ohio klassischen Gesang und trat in Opern auf. Das hätte es sein können. Doch da waren eben auch noch die anderen musikalischen Verführungen: sie entdeckte den Counter- und Square Dance für sich schloss sich einer keltischen Band an. Mehr Stilmix geht kaum.

Wandlerin zwischen den Musikwelten: Rhiannon Giddens

Durch Zufall lernte sie 2005 ein paar Experten für Old Time Music kennen ¬mit denen sie die bereits erwähnten Carolina Chocolate Drops gründete. Eine Band, die sich schnell den Ruf des "Kritikerlieblings" erspielte und ersang. Für das 2010 erschienene Album "Genuine Negro Jig" erntete die Formation die ultimative Auszeichnung, einen Grammy. Mit diesem Award auf der Visitenkarte standen Giddens & Co. natürlich alle Türen offen. Es folgten Zusammenarbeiten mit Größen wie T-Bone Burnette, Elvis Costello und Bob Dylan, Solo-Alben, weitere Grammy-Nominierungen. Ihren persönlichen Klangkosmos erweiterte Giddens auch auf Grund ihres Privatlebens: 2005 lernte sie in Schottland den irischen Musiker Michael Laffan kennen, den sie zwei Jahre später heiratete. Gemeinsam mit ihren beiden Kindern lebt die Familie abwechselnd in Irland und South Carolina.

Kurzum: Die erwähnte Stilschublade muss bei diesem wendungsreichen Lebenslauf zwangsweise klemmen: Zu viele Einflüsse, zu viele Interessen, zu wenig musikalische Stringenz. Basierend auf ihren vielen Erfolgen, kann sich Rhiannon Giddens für ihr neues Solo-Album, dem ersten seit sechs Jahren, natürlich zurücklehnen. Sie kann es sich erlauben, ihr Ding zu machen - und sie macht es. Vermutlich kompromissloser denn je. Sicher ist, dass "You're The One" das persönlichste Werk der vielschichtigen Ausnahmekünstlerin ist. Denn erstmals verlässt sich die nebenberuflich als "Artistic Director" des von Yo-Yo Ma gegründeten Silkroad Ensembles fungierende Künstlerin ausschließlich auf Songs aus eigener Feder.

"You're the One": die vielen Facetten von Rhiannon Giddens

Ein Song-Dutzend, das vielleicht nicht alle, so aber doch viele ihrer verschiedenen Facetten, ihrer unterschiedlichen Stationen und Interessen widerspiegelt. Nahezu jeder Track zeigt eine andere Klangfarbe. Und in fast allen Songs prallen verschiedene Strömungen aufeinander. Letzteres ist unvermeidlich. Denn wenn sie sich, wie im Opener "Too Little, Too Late, Too Bad" musikalisch ein souliges R&B-Terrain erschließt, macht sie das mit ihrer klassisch geschulten Stimme. Dieses an dem College in Ohio antrainierte Timbre, das gelegentlich opernhaft, nie aber divenhaft klingt, lässt sich nicht mehr abstellen oder ausblenden. Warum auch? Es ist längst zu ihrem gesanglichen Markenzeichen geworden. Raue Americana-Songs à la "Yet to Be" oder der im Shuffle-Rhythmus angelegten Country-Blues "Wrong Kind of Right" erhalten erst durch diese opernhafte Phrasierung eine klanglich neue Dimension.

Das hat seinen eigenen Reiz und besonderen Charme. Man muss das aber nicht unbedingt mögen. Vor allem, wenn sie, wie im Titeltrack, sehr im pathetischen Pop angesiedelte Harmonien kredenzt, erinnert ihr Vortrag glatt an die 80er-Jahre-Hitsängerin Jennifer Rush.

Wie weit das musikalische Feld von Rhiannon Giddens gesteckt ist, zeigt sich auch in den Kompositionen: "Another Wasted Life" erinnert mit dramatischer Akkord-Progressionen an einen James-Bond-Song, in dem souligen "Hen in the Foxhouse" serviert sie mit einer gelungenen Scat-Einlage jazzige Vibes und in "Who Are You Dreaming of" vermählt sie Klassik-Streicher mit Bar-Jazz zu einem soundtrackartigen Gebräu. Eben noch dramatisch, überrascht sie in dem fröhlichen "You Put the Sugar in My Bowl" mit einer astreinen Revue-Nummer inklusive Gospel-Touch.

Noch einmal zu den Schubläden: Americana gilt ja als Sammelbecken für alles, was mit Roots und Handmade Music zu tun hat. Vermutlich wäre das auch die Sektion, in der sie sich am ehesten beheimatet fühlen sollte. "Way Over Yonder", "Yet to Be" und das instrumentale, nur eine Dreiviertelminuten lange Roots-Outro "Good Ol' Cider" lassen das jedenfalls vermuten. Im Americana ist einfach alles erlaubt, was nicht unter Mainstream-Verdacht steht. Und davon ist Rhiannon Giddens auch auf "You're the One" meilenweit entfernt.

Fazit: Auf "You're the One" präsentiert Rhiannon Giddens erneut einen Stilmix, der untrennbar von ihrer Biografie verknüpft ist: Folk, Bluegrass, Klassik, Jazz, Soul, Country. Ein Sound, für den man einst das Crossover-Label "Americana" erfand.

Label: Nonesuch (Warner) VÖ: 18. August 2023
Disk 1
01 Too Little, Too Late, Too Bad
02 You're the One
03 Yet to Be (mit Jason Isbell)
04 Wrong Kind of Right
05 Another Wasted Life
06 Another Wasted Life
07 If You Don't Know How Sweet It Is
08 Hen in the Foxhouse
09 Who Are You Dreaming of
10 You Put the Sugar in My Bowl
11 Way Over Yonder
12 Good Ol' Cider

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