Ironisch und stark: "I Hate Cowboys & All Dogs Go to Hell"
Dass es mit seinem neuen Album persönlich wird, macht überdies das Cover-Foto deutlich. Es zeigt seinen mittlerweile verstorbenen Vater - ein Cowboy wie aus dem Bilderbuch: kariertes Hemd, Stetson, eine Weste und zwei Dosen Bier in den Händen. In den Liner-Notes schreibt Chase Rice, dass sein Dad "sein Held war und ist" und er würde das Foto nicht verwenden, wenn er sich nicht sicher wäre, dass Dad auf diese CD seines Sprösslings stolz wäre.
Er hätte jedenfalls allen Grund dafür. Denn auf "I Hate Cowboys & All Dogs Go to Hell" hat Rice Junior wieder zu sich selbst gefunden. Erstaunlich offen berichtet er sowohl in den Liner-Notes als auch in den Songs, wie seine Karriere und sein Leben in den letzten Jahren verlief. Wie er nach Nashville kam um mit Tyler Hubbard und Brian Kelley, den zwei von Florida Georgia Line, eine WG bildete, wie er gemeinsam mit ihnen in Whiskey-geschwängerter Atmosphäre den FGL-Hit "Cruise" schrieb, wie es langsam mit seiner eigenen Karriere los ging und wie er dabei immer mehr versuchte einem Image gerecht zu werden - und sich dabei selbst verlor. "In meinem täglichen Leben herrschte eine Leere, und ich verbrauchte meine Kreativität für den Versuch, etwas zu sein, was ich nicht bin."
Dann kam COVID-19. Für viele endete die Pandemie schrecklich. Für Chase Rice war es, so sagt er, ein Segen. "Anstatt ängstlich zu leben, lebte ich gläubig. Ich umarmte die Stille. Ich tauchte in die Einsamkeit ein. Und meine Kreativität war authentisch. Sie fühlte sich echt an. Morgens zum Kaffee und abends zum Bier nahm ich die Gitarre in die Hand. Ich beobachtete Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge. Ich folgte, wohin mein Herz mich führte. Und zum ersten Mal in meinem Leben als Erwachsener fühlte ich mich nicht an ein Image gebunden. Das war befreiend."
Diese Vorgeschichte ist für das Album wichtig. Erst so versteht man, warum es so klingt wie es klingt. Man versteht dann auch, warum dieser Chase Rice ein anderer ist als der Typ, der 2014 mit dem Album "Ignite the Night" die Country-Welt eroberte. Ein schlechterer Künstler aber ist diese neue Version seiner selbst ganz sicher nicht. Im Gegenteil. Obwohl der 37-Jährige aus Asheville, North Carolina, auf "I Hate Cowboys & All Dogs Go to Hell" keinen krassen Stilwechsel vollzieht, strahlen die 13 neuen Tracks eine ganz andere Atmosphäre und größeren Tiefgang aus.
Das zeigt sich schon im Opener "Walk That Easy". Ein enorm starker Song. Gleichzeitig traditionell und modern. Ein Track mit einer satten Portion positiver Message und gewürzt mit so mancher Lebensweisheit. Noch vor drei, vier Jahren hätte man bei diesem dezent philosophischen Text vielleicht die Stirn gerunzelt, es ihm einfach nicht ganz abgekauft. Heute ist das anders. Heute glaubt man ihm jedes Wort.
Chase Rice ist erwachsen - und besser geworden
Das heißt aber nicht, dass man alles gleich wörtlich nehmen muss. Siehe Album-Titel und Ironie. Der zweite Track der CD, "All Dogs Go to Hell" - und damit also ein halber Titeltrack - erzählt eine vertraute Geschichte: Er vermisst die Verflossene nicht, er mag auch kein kaltes Bier und keine PickUps, Football interessiert ihn nicht und er hasst Hunde. Schon klar, wir verstehen. Diese nette Selbstbetrugs-Story hat er in hübsche, filigrane Folk-Töne verpackt und - wie alle anderen Tracks der CD - großartig und mit voller Hingabe interpretiert. Das gilt auch und vor allem für "Bench Seat". Ein Song, in dem erneut ein Hund eine Rolle spielt. Dieser habe, so die Geschichte, einem zum Suizid entschlossenen Freund von Chase Rice das Leben gerettet - nur indem er ihn mit treuen Augen angesehen habe. So süß wie tragisch.
Leise und introvertierte Momente prägen das Album. Songs wie das wunderschöne Liebeslied "Life Part of Livin'", das in seiner schonungslosen Melancholie an den großen Gordon Lightfoot erinnernde "I Walk Alone" oder das verhalten rockende, mit Southern-Rock-Elementen gewürzte "Goodnight Nancy" (feat. Boy Named Banjo). Sie weisen Chase Rice als fantastischen Storyteller aus. Bevor er mit der hymnischen Ode an die Cowboys (seine Bewunderung für diese Spezies ist unüberhörbar) "I Hate Cowboys" sein bisher bestes Album beendet, serviert er noch ein paar härtere, im Country-Rock und Americana angesiedelte Tracks: das solide, aber auch etwas durchschnittliche "Bad Day to Be a Cold Beer", der getragen-mystisch rockende Americana-Track "Oklahoma" (feat. Read Southall Band) und das an die frühen Rolling Stones erinnernde und damit ganz im Retro-Rhythm & Blues gehaltene "Sorry Momma".
Fazit: Ein Comeback und neuen Vorzeichen: mit "I Hate Cowboys & All Dogs Go to Hell" zeigt sich Chase Rice als gereifter Sänger und Storyteller. Sein persönlichstes, sein bestes Album.
Label: Dack Janiels / Broken Bow / BMG (Warner) | VÖ: 10. Februar 2023 |
Disk 1 | |
01 | Walk That Easy |
02 | All Dogs Go to Hell |
03 | Way Down Yonder |
04 | Key West & Colorado |
05 | Bench Seat |
06 | Life Part of Livin' |
07 | Bad Day to Be a Cold Beer |
08 | Oklahoma (mit Read Southall Band) |
09 | I Walk Alone |
10 | Sorry Momma |
11 | If I Were Rock & Roll |
12 | Goodnight Nancy (mit Boy Named Banjo) |
13 | I Hate Cowboys |
14 | For a Day (Bonustrack - nicht überall erhältlich) |