Midland. Kaum ein Act hat in den letzten fünf, sechs Jahren in Nashville für so viel Gesprächsstoff gesorgt, wie das aus Sänger Mark Wystrach, Bassist Cameron Duddy und Songschreiber und Gitarrist Jess Carson bestehende Band. Ihre Outfits. Ihre Inszenierungen. Aber auch ihr gelegentlich nach parodistischer Überzeichnung klingender Retro-Sound haben die Band in die Schlagzeilen und Charts gebracht. Zwei Grammy-Nominierung inklusive.
Argwöhnische Zeitgenossen haben in der Band aber immer auch ein Retorten-Produkt gesehen: Von einem Music-Row-Manager gecastet und geschickt vermarktet. Genau mit diesem Verdacht räumt das Album "The Sonic Ranch" und - vielleicht sogar noch mehr - das begleitende Video auf. Wer sich diesen 45 Minuten dauernden Film ansieht, lernt so einiges über die Band und deren Charaktere. Und auch: Dass kein vernunftbegabter Mensch diese drei so unterschiedlichen Typen unter einem (Cowboy)Hut bringen würde. Nie und nimmer!
Midland: The Sonic Ranch Documentary 🤠 CMT
"The Sonic Ranch" - der Geburtsort von Midland
Man lernt in dem Film auch, wie es intern in einer Band abläuft. Wie schwierig Gruppendynamik sein kann, mit welchen Problemen und Egos man es als Bandmitglied zu tun hat. Duddy meint, dass man es als Solo-Act schon weitaus leichter habe. Und er gibt zu, dass sich die drei langjährigen Freunde zuletzt immer wieder gezofft hätten. Doch: "Es war nicht so, dass wir kurz vor der Trennung standen", verrät er, "aber wer weiß was passiert wäre, wenn wir jetzt nicht die Zeit gehabt hätten, uns wieder anzunähern und wieder Freunde zu werden."
Die Songs von "The Sonic Ranch" entstanden 2014. Also zwei Jahre bevor sie Scott Borchetta (er ist auch ausführender Produzent des Films) für Big Machine unter Vertrag nahm. 2013 haben sich die drei bekanntermaßen auf Duddys Hochzeitsfeier in Wyoming kennengelernt. Sie haben, so die Legende, gemeinsam gejammt und beschlossen, sich für eine kleine Weile in einem Studio einzunisten, um zu sehen, ob der Funke überspringt. Dieses Studio war: die Sonic Ranch in Tornillo, Texas. Duddy, ein erfolgreicher Filmemacher, kam mit und wollte die Sessions mit seiner Kamera begleiten. Aber es kam anders: "Nach einer Stunde hatte ich einen Bass und kaum mehr die Kamera in den Händen." Es war: die Geburtsstunde von Midland.
Die Sessions leitete David Garza (Fiona Apple). Er beließ den Sound der drei (plus ein paar Studiomusikern) naturbelassen und nur mit minimalistischen Arrangements ausgestattet. Manch ein Act würde in dieser nüchternen Klangumgebung an Reiz verlieren. Nicht jedoch Midland. Vielleicht sogar: ganz im Gegenteil. In diesen, als Demos gedachten Aufnahmen, belegt der hippe Dreier, dass ihn ihnen echte Country-Überzeugungstäter stecken. Alle zwölf "The Sonic Ranch"- Songs verströmen deshalb auch dieses schwer zu beschreibende Gefühl von Weite und Freiheit und unterschwelliger Melancholie - Musik also, die man wohl nur in dieser Umgebung so überzeugend hinbekommt.
Nur ein Song dieser Midland-Frühphase hat es letztlich auf eines ihrer beiden erfolgreichen Studio-Alben geschafft: der Opener "Fourteen Gears". In der jetzt veröffentlichten "Adobe House Version" klingt der von Wystrach gesungene Track nach Country-Folk in bester Eagles-Tradition: fast nur akustische Instrumente, Pedal-Steel, Kontrabass, eine weibliche Stimme setzt Akzente. Kurz: Roots-Musik, aber mit hitverdächtiger Melodie. Ob die mit Drums und großem Besteck aufgemotzte "Fourteen Gears"-Version ihres 2019 erschienenen "Let It Roll"-Albums besser ist? Reine Geschmackssache. Beide Versionen haben jedenfalls ihren Reiz und ihre Berechtigung.
Die Aufnahmen von The Sonic Ranch zeigen Midland in ihrer frühesten Phase
Diese Gegenüberstellung zeigt, wie ein Song wachsen kann. Wie die gleichen Harmonien, Akkorde und Textzeilen in unterschiedlicher Bearbeitung eine neue Stimmung bekommen. Diese Art von Song-Evolution lässt sich auch bei "Champagne For The Pain" bestaunen: Im Video trägt Wystrach seine Komposition ganz alleine nur mit einer Akustik-Gitarre vor. Mehr braucht es auch nicht. Zumindest nicht, wenn ein Sänger von der Qualität eines Mark Wystrach am Werk ist. In der "The Sonic Ranch"-Version ist der Track mit Pedal-Steel, Klavier, ein paar Gitarren-Overdubs und Steel-Drums nun als traditioneller Tex-Mex-Country-Song angelegt. So oder so – der Song macht Laune.
Für weitere Glanzlichter der Sonic-Ranch-Sessions sorgt die wunderbare Akustik-Ballade "Fool's Luck", das mit "Peaceful Easy Feeling"-Vibes aufgeladene "Whiskey", die Vintage-Hillbilly-Ballade "She's A Cowgirl" und das im flotten Texas-Swing gehaltene "Texas Is The Last Stop". Bevor die CD mit dem wunderbar melancholischen "This Town" ausklingt, darf bei einer zweiten Version von "Cowgirl Blues" mal Jess Carson die Lead-Vocals beisteuern. Er macht das gut. Er ist ein überzeugender Sänger, das schon. Doch er bringt nicht die Tiefe und das Charisma von Wystrach mit. So gesehen, passend die drei Midland-Typen dann doch irgendwie perfekt zusammen.
Fazit: Nicht poliert, nichts geglättet, sondern authentisch und voller Herzenswärme: "The Sonic Ranch" zeigt in zwölf Tracks die ersten Gehversuche von Midland als Band. Das Album belegt, wie sehr der Country-Dreier mit den Roots des Genres verbunden ist.
Label: Big Machine (Universal) | VÖ: 16. April 2021 |
01 | Fourteen Gears (Adobe House Version) |
02 | Cowgirl Blues |
03 | Worn Out Boots |
04 | Champagne for the Pain |
05 | Will This Life Be As Grand |
06 | Fool's Luck |
07 | Whiskey |
08 | She's A Cowgirl |
09 | Runnin' Wild |
10 | Texas is the Last Stop |
11 | Cowgirl Blues (Jess Carson Vocal) |
12 | This Town |