Die E-Gitarre bleibt bei "Ghosts of West Virginia" meist im Koffer
Dass er für "Ghosts of West Virginia" bei vielen Tracks die E-Gitarre im Koffer ließ, ist wohl dem Thema der CD geschuldet. Er arbeitet sich bei dem Konzeptalbum an der Explosion in einer Kohlenmine in Virginia im Jahr 2010 ab. Bei der schlimmsten Bergbaukatastrophe Amerikas ließen 29 Männer ihr Leben - und an jeden einzelnen erinnert er in dem Song "It's About Blood". Gegen Ende des über viereinhalbminütigen, archaischen Folk-Songs nennt er die Namen der verstorbenen Kumpel. Das ist rührend. Aber auch typisch Steve Earle.
Denn der bekennende Kommunist rückt seit jeher die Vergessenen, die Looser, die Pechvögel und Ausgegrenzten - und nun auch die Toten - in den Mittelpunkt seiner Songs. Seine Lieder haben deshalb immer auch etwas von einem Pamphlet und gelegentlich auch von einer Anklage. Verständlicherweise hat sich Steve Earle damit nicht nur Freunde gemacht. Eher im Gegenteil. Da ist es umso bemerkenswerter, dass der Mann trotz kräftig pustenden Gegenwinds, konsequent seinen Weg gegangen ist. Nun hat ihn dieser Weg in seinen Heimatstaat Virginia geführt, um an 29 Tote zu erinnern.
Mit "Ghosts of West Virginia" präsentiert Steve Earle ein Konzeptalbum
Gleich bei mehreren Songs lässt sich schon alleine vom Titel her der Bezug zu den "Geistern von West Virginia" ableiten: Der grobschlächtige Alternative-Country-Rocker "Devil Put The Coal in the Ground", das düstere, dabei in großartige Americana-Sound gekleidete "Black Lung" und natürlich das schon fast dylaneske, nur mit Akustikgitarre arrangierte "The Mine" als letzten Song der CD. Doch auch die anderen sieben Tracks der CD sind in diesem Working-Class-Umfeld angesiedelt. Sie handeln vom harten Leben eines (Berg)arbeiters und klingen dabei wie ein Loblied auf das Proletariat. Wenn er dann noch naturbelassene Country-Töne anschlägt, erinnert Earle an den frühen Johnny Cash - beispielsweise in "Union God and Country".
In diesem Umfeld darf natürlich auch eine Ode an John Henry, den legendären amerikanischen Volkshelden nicht fehlen. In "John Henry Was a Steel Drivin' Man" erzählt Earle - wie schon vor ihm Johnny Cash, Pete Seeger und Van Morrison - die Geschichte des Bahnarbeiters, der mit seinem Stahlhammer gegen die damalig moderne Dampfmaschine antrat. Mit Fiddle und Akustikgitarren setzt er dem Helden der Arbeit ein würdiges Denkmal. Neben weiteren ganz im Country und Folk verorteten Tracks wie "Time Is Never On Our Side" und "If I Could See Your Face Again" (ausnahmsweise mit Dukes-Sängerin Eleanor Whitmore vor dem Mikro) geht es gegen Ende der CD noch einmal rockiger zur Sache: "Fastest Man Alive" bietet erstklassigen Country-Rock 'n' Roll mit schon fast gerapptem Text. Für die Einstimmung in das in New York aufgenommenen Album haben sich Steve Earle & The Dukes dagegen etwas so Unübliches wie Mutiges überlegt: den knapp zweiminütigen A-Cappella-Song "Heaven Ain’t Goin' Nowhere". Sofort wird klar: die Message steht im Fokus.
Fazit:Rau, engagiert und ganz an den Roots der Country Music angelehnt: mit "Ghosts of West Virginia" legen Steve Earle & The Dukes ein hervorragendes Konzeptalbum vor. Hörenswert!
Label: New West / PIAS (roughTrade) | VÖ: 22. Mai 2020 |
01 | Heaven Ain't Goin' Nowhere |
02 | Union, God and Country |
03 | Devil Put the Coal in the Ground |
04 | John Henry was a Steel Drivin' Man |
05 | Time is Never on Our Side |
06 | It's About Blood |
07 | If I Could See Your Face Again |
08 | Black Lung |
09 | Fastest Man Alive |
10 | The Mine |