Unterschiede zwischen Live- und Mehrspuraufnahmen - aus Sicht der Produzenten

Mark Wright und Norro Wilson

Als Mehrspuraufnahmen in den 60ern in Mode kamen, hatte dies starke und unmittelbare Auswirkungen auf die Aufnahmepraxis in der Popmusik.

Es gibt viele Gründe, warum das Verfahren, Tonspuren einzeln aufzunehmen, die Überhand gewann. Nicht zuletzt war es der Glaube daran, dass eine genauere Kontrolle der Musik zu einem saubereren Produkt führt.

Die Mehrspurtechnik hielt auch in Nashville Einzug, obwohl die dortige Tradition, Studiomusiker zu versammeln und sie gemeinsam aufzunehmen, eine komplexere und teilweise widersprüchliche Verwendung dieser Technik bewirkte. Um sich an die neuen Zeiten anzupassen und dennoch nicht das großartige Feeling einer Live-Rhythmusgruppe zu verlieren, entwickelten die Produzenten der "Music City" einen Instinkt dafür, wann welche Technik angebracht war und wann es Sinn machte, Live- und Einzelaufnahmen vorsichtig zu kombinieren.

"Ich habe beides gemacht", sagt Mark Wright, Geschäftsführer von Universal Records South und Produzent von Künstlern wie Clint Black, Brooks & Dunn, Montgomery Gentry, Joe Nichols, Gretchen Wilson, Lee Ann Womack, Trisha Yearwood und vielen anderen. "Jedes Projekt und jeder Künstler ist anders. Es kommt einfach darauf an, woran ich arbeite. Wenn ich an eher Pop-orientiertem Material arbeite, nehmen wir eine Basisspur auf und nehmen den Rest als einzelne Overdubs auf, wenn ich aber Musik produziere, die eher zum traditionellen Country tendiert oder einen Soul-Groove hat, nehme ich gerne die ganze Band auf einmal auf.

Bassist Dave Pomeroy spielt für Sue Cowan im Studio 19. Foto mit freundlicher Genehmigung von Sue CowanIch habe Gary Allan komplett live aufgenommen, aber jetzt planen wir Studiotage, um die ganzen Geigenstücke aufzunehmen. Andererseits, wenn wir wirklich abrocken, dann nehmen wir nur zwei E-Gitarren, Schlagzeug und vielleicht eine Orgel auf und nehmen alles, was dazukommen soll, später als Overdub auf."

Laut Wright lassen sich mit Mehrspurtechnik gewisse Terminprobleme vermeiden, besonders bei Künstlern, die sehr beschäftigt sind. Teilweise nehmen diese ihre Parts ganz woanders auf und schicken sie als Audiodateien ein. Es kann allerdings schwierig werden, gibt er zu, mit dieser Methode das "spontane Feuer" zu reproduzieren, das bei Live-Aufnahmen in Erscheinung treten kann.

"Manchmal hört jemand etwas auf dem Kopfhörer, das ein anderer Musiker spielt, und das inspiriert ihn zu einer Art musikalischer Antwort, die nicht zustande käme, wenn die Leute nicht im selben Raum spielen würden", sagt Wright. "Und den Unterschied kann man hören. Man kann eine Platte, die dieses "Feuerelement" hat, klar von einer mit Mehrspurtechnik aufgenommenen unterscheiden. Manche Künstler wollen dieses Band-Feeling, und für mich ist es schwer, es aus Mehrspuraufnahmen herauszukitzeln. In einer Live-Session sehen sich die Leute an und versuchen, sich gegenseitig zu beeindrucken. Sie grinsen von einem Ohr zum anderen, wenn jemand ein Killer-Lick spielt. Man kann mit Mehrspurtechnik eine perfekte Platte aufnehmen, aber perfekt heißt nicht immer besser, wenn Sie wissen, was ich meine."

Bassist Steve Francis und Drummer Steve Holland nehmen Live auf im OMNIsound Studio.Norro Wilson weiß es und stimmt zu. Als erprobter Autor vieler Hits, darunter "A Very Special Love Song", "The Grand Tour" und "The Most Beautiful Girl in the World", hat er jahrzehntelang auch als Produzent seine Spuren hinterlassen, unter anderem für John Anderson, Kenny Chesney, Sara Evans, Janie Fricke, George Jones, Reba McEntire, Buck Owens, Charley Pride und Tammy Wynette.

"Populärmusik entstand dadurch, dass Leute auf der Veranda oder sonst wo saßen und zusammen Musik spielten", bemerkt er. "Sie spielten füreinander. Dann begann man, Platten aufzunehmen, und die Leute saßen im Studio und spielten miteinander. Diese natürliche Kameradschaft erzeugt ein besonderes Gefühl, das man nur auf solchen Platten hört."

"Ich hatte das Glück, mit Chet Atkins und Owen Bradley zu arbeiten, die beide großartige Musiker wie auch A&R-Männer waren", fährt Wilson fort. "Damals saßen alle im Studio, es wurde gelacht, geredet und zusammen gespielt. Wenn man wirklich aufmerksam diese Songs anhört und weiß, wie sie aufgenommen wurden, kann man die Emotionen fühlen und hören."

Wie alle Produzenten hat auch Wilson Studioaufnahmen mit Overdubs gemacht. "Wir haben immer ein paar Overdubs gemacht. Bei den Basisspuren waren immer sechs oder sieben Leute dabei: ein Bass, Leadgitarre, Rhythmusgitarre. In frühen Jahren hatte ich die Angewohnheit, eine Bassspur mit einer "Tic-Tac"-Spur zu ergänzen" - er meint hiermit die Technik, eine Basslinie durch zusätzliches Aufspielen einer zweiten abgedämpften Bass- oder Bariton-Gitarre zu doppeln.

"Zu Zeiten, als wir den Bass noch nicht so gut mischen konnten wie heutzutage, benützten wir den etwas dünneren Tic-Tac-Sound, um die Bassqualität etwas aufzuwerten. Danach wollten wir manchmal die Geige, die Gitarre oder ein anderes Instrument doppeln. Während dieser Phase hieß es, manchmal würden wir auch den Klavierstuhl doppeln."

Obwohl Wilson zugibt, dass der Reiz einer grundsätzlich gedoppelten Aufnahmemethode für ihn eher flüchtig ist, weiß er aber auch, dass diese Methode einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

"Ich sage das nicht, weil irgendein junger Produzent etwas zusammengestückelt hat, dass keinen Erfolg haben wird. Manche sind sehr erfolgreich. "Ich kenne keinen, der komplizierter arbeitet als Mutt Lange", sagt er, leise lachend. "Wir beide haben Alben für Shania [Twain] produziert. Er frickelt an jedem kleinen Signal herum, bis es perfekt ist. Er verfolgt völlig stur den Weg, den er gehen will. Er doppelt und doppelt und doppelt, und er braucht ewig, um ein Projekt aufzunehmen. Ich verstehe das nicht. Natürlich habe ich nie die entsprechenden Erfahrungen gemacht, um das verstehen zu können - aber hey, wenn man damit 10 Millionen Platten verkauft, bin ich der letzte, der es kritisieren will! Wollen wir schließlich nicht alle Platten verkaufen?"

Bassist Edaghogho Eferakeya, Sänger Ambyr McSwain und Drummer Chance bei Aufnahmen im Tracking Room. Foto: Nora CanfieldSechs wichtige Schritte für erfolgreiche Aufnahmen. Die Produktion ist eine komplexe Kunstform, aber einige einfache Vorbereitungsschritte können den Unterschied zwischen guten und großartigen Ergebnissen ausmachen. Jeder Produzent hat eine eigene Checkliste - Norro Wilson und Mark Wright sind hier keine Ausnahmen.

Wright: "Ich beginne die Aufnahmen gerne mit einem Song, für den es bereits ein gutes Demo gibt, auf dem das Arrangement bereits feststeht. Wenn man sich bei Beginn der Aufnahme nicht um das Arrangement kümmern muss und weiß, mit welchen Instrumenten man anfängt, kann man sich besser auf den Klang und den Kopfhörermix konzentrieren."

Wilson: "Wenn man sich für Live-Aufnahmen entscheidet, sollte man das ganze möglichst frisch halten. Dass teilweise 15 bis 20 Aufnahme-Takes für einen Song eingespielt werden, habe ich nie verstanden. Spielt ein Musiker einen Song zu oft, beginnt er, ihn zu hassen - und das ist dann auch auf dem Band zu hören."

Wright: "Beim Overdubben muss man die Signale vernünftig "schichten". Auf "I Hope You Dance" [Lee Ann Womack] wusste ich beispielsweise, dass ich in der zweiten Strophe Michael Omartian auf dem Akkordeon hereinbringen würde. Ich wollte nicht, dass die Gitarren und das Akkordeon dieselben vollen Akkorde spielen, also haben wir den Gitarren-Part in ein Arpeggio-artiges Ding verwandelt. Das ließ Michael genügend Raum, um seinen Part einzuspielen, ohne anderen Spuren in die Quere zu kommen."

Wilson: "Man muss dem Künstler helfen, das beste Material auszusuchen. Wenn man das tut, hat man schon die halbe Miete, noch bevor man ins Studio geht Wenn der Song gut genug ist, nimmt sich das verdammte Ding von selber auf."

Wright: "Mir ist der Sichtkontakt sehr wichtig. Wenn es sein muss, stelle ich mich mit einem Notenständer dort ins Studio, wo ich alle Musiker sehen kann, und ich dirigiere die Musik während der Aufnahme. Wenn also ein Ritardando einsetzt, können mich alle ansehen, und wir spielen es zusammen."

Wilson: "Das wichtigste, was ein Produzent nicht vergessen sollte ist, dass es im Prinzip darum geht, dem Sänger oder der Band zu helfen, eine tolle Platte zu machen. Es geht nicht um uns oder unsere Egos. Es geht darum, tolle Musik zu machen."

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