"Anchors" hat der 44-Jährige wohl zuletzt mehrfach benötigt. Sein privates Leben scheint ihm, davon erzählen gleich einige Titel, hoffnungslos entglitten zu sein. Zum Glück hat Will Hoge, der ursprünglich mal Highschool-Lehrer werden wollte, die Musik. Als Künstler und Songwriter hat er die Möglichkeit der Außenbetrachtung und kann somit seine Gedanken und Gefühle abstrahieren und neu bewerten - und sie schließlich in Harmonien und Worte zu einem Song verpacken. Das muss gut tun und dürfte therapeutischen Wert haben.
Die Lieder auf "Anchors"
Eine dieser Therapie-Sitzungen heißt "This Grand Charade". Ein ruhiger, todtrauriger Song über das Entfremden. Als großartiger Beobachter erzählt er von den Kleinigkeiten im Alltag, die Nebensächlichkeiten - die aber das kommende große Elend ankündigen. Verpackt hat Will Hoge diesen Herz-Schmerz mit viel Klavier in einem ruhigen Country-Folk-Song. Ein langsamer, eindringlicher Track, bei dem seine gewohnt rauchige Stimme ganz im Mittelpunkt des spartanischen Arrangements steht. Was wird sich seine Frau oder seine Ex denken, wenn sie diesen Track hört? Hat sie kein Herz aus Stein, wird sie in Tränen ausbrechen, möchte man meinen.
Dazu hat sie - und wir alle - noch mehrfach Gelegenheit auf "Anchors". Die meisten der elf Titel verströmen eher Moll-Farben als lebensfrohes Dur und auch der Rhythmus bleibt größtenteils in ruhigem, getragenen Tempo. Nicht immer aber stimmt der liebeskranke Künstler Wehklagen an.
Schon der Opener "The Reckoning" verströmt mit knarzigem Country-Blues so etwas wie Optimismus, und das gilt auch für den Swamp-Rocker "Little Bit of Rust", bei dem keine Geringere als Sheryl Crow als Gaststar mitmischt.
Richtig vom Leder zieht Will Hoge - doch, das kann der auch! - bei "(This Ain't) An Original Sin" und bei dem finalen, an John Mellencamp erinnerndem Folk-Rocker "Young As We Will Ever Be", zu dem er sich von seinen Kinds inspirieren ließ.
Richtig fröhlich klingt Hoge dagegen bei dem an die Travelling Wilburys erinnerndem "Baby's Eyes".
Diese raren Energiestöße können natürlich nicht das Gesamtbild von "Anchors" prägen. Dafür ist seine Gangart zu gemächlich, seine Stimmung zu sehr in den Keller gedimmt - wie beispielsweise bei vielsagenden "Cold Night In Santa Fe". Dennoch: So richtig Sorgen muss man sich um Will Hoge aber wohl nicht machen. Er hat seine Anker, seine Zufluchten, seine Erdung. Und er hat die kreativen und künstlerischen Möglichkeiten, so tolle Songs wie den Titeltrack zu schreiben und zu singen. Alleine für diesen hymnischen Leckerbissen lohnt sich der Kauf der CD. Eine Allstar-Band - darunter Darius Rucker-Drummer Jerry Roe und Jack White-Bassist Dominic Davis - unterstützen Hoge bei seinem Solo-Comeback.
Fazit: Der großartige Sänger und Songschreiber breitet sein Seelenleben offen aus - verpackt in wunderbare Folk- und Americana-Klänge. Mit "Anchors" gelingt Will Hoge ein großartiges Album.
Label: Edio (Alive) | VÖ: 18. August 2017 |
01 | The Reckoning |
02 | This Grand Charade |
03 | Little Bit of Rust (mit Sheryl Crow) |
04 | Cold Night in Santa Fe |
05 | Baby's Eyes |
06 | (This Ain't) An Original Sin |
07 | Through Missing You |
08 | Anchors |
09 | Angels Wings |
10 | 17 |
11 | Young as We Will Ever Be |