Hartgesottene Country-Fans müssen deshalb gar nicht mehr weiter lesen. Wer aber zwischen Reba und Garth ab und an ein Ohr für Souliges, Jazziges und für Singer/Songwriter-Tugenden hat, sollte sich nicht nur diesen Text zu Gemüte führen, sondern in "Just A Little Lovin'" reinhorchen. Unbedingt! Das lohnt sich!
Schon der Opener, der Titeltrack aus der Feder von Barry Mann und Cynthia Weil, steckt den aktuellen musikalischen Claim der blonden, aus Quantico, Virginia, stammenden, in Jackson, Alabama, aufgewachsenen Sängerin ab. Ein Song, wie gemacht für eine Bar um 3 Uhr morgens in irgendeiner Großstadt. Eine Melodie, die unter die Haut geht, die einen Innehalten lässt, die einen zum Grübeln und zum Träumen einlädt. Und einer Stimme, die einen ganz sanft aber fordernd umgarnt, die einen mit jeder neuen Phrasierung einwickelt, einlullt, betört und einen nicht mehr los lässt. Keine Frage: Shelby Lynne gehört zu den derzeit besten Stimmen in, na ja, in welcher Musikrichtung auch immer ... Sie ist einfach eine Klasse für sich.
Wer ihre Musik hört, sollte auch etwas über ihre schwierige Biografie wissen: Ihr Vater war Musiker, ihre Mutter Gesangslehrerin. Allison Moorer, ihre jüngere Schwester, ist eine erfolgreiche Countrysängerin. So weit so gut. Leider aber war ihr Vater nicht nur ein leidlich talentierter Musiker, er war auch ein gewalttätiger Alkoholiker. Als Shelby 17 war, erschoss er - vor den Augen seiner beiden Töchter - zunächst seine Frau, anschließend sich selbst. Das traumatische Erlebnis versuchte Shelby Lynne mit einer schnellen Heirat, mit Musik und einem Umzug nach Nashville aufzuarbeiten. Dennoch dauerte es sechs Alben, bis sie in 2000 mit dem eher rock-inspirierten Album "I Am Shelby Lynne" den verdienten Erfolg einfuhr - sie bekam den Grammy als "Best New Artist".
Preisverdächtig ist auch das von Altmeister Phil Ramone (Paul Simon, Barbra Streisand u.a.) produzierte "Just A Little Lovin". Auch wenn sie sich im Verlauf der - leider nur - zehn Songs gänzlich unoriginelle Evergreens wie "Anyone Who Had A Heart", "The Look Of Love" (zwei Burt Bacharach-Klassiker), das genauso vertraute "You Don't Have To Say You Love Me" oder das schon fast euphorisch wirkende "I Only Want To Be With You" vornimmt, gelingt ihr Großartiges: Gemeinsam mit einer begnadet einfühlsam spielenden Mini-Begleitband haucht sie diesen, nicht selten über 40 Jahre abgehangenen Kamellen, völlig neue Facetten ein. Sehr jazzig macht sie das. Ganz wie eine Jazz-Diva vom Schlage einer Ella Fitzgerald oder - weil doch modernder - wie eine inspirierte Randy Crawford. Wer Easy Listening mit Tiefgang mag, liegt hier goldrichtig. In den Singer/Songwriter-orientierten Titeln wie "Breakfast In Bed", "Pretend" (eine herrliche Eigenkomposition), dem finalen "How Can I Be Sure" deutet sie mit rauchigem Timbre ihre Country-Vergangenheit an. In dem würzigen "Willie And Laura Mae Jones", geschrieben von Edel-Songschmied Tony Joe White, sowieso.
Fazit: Sehr jazzig - aber auch sehr, sehr schön. Shelby Lynne hat bei diesem Dusty-Springfield-Tribute, wie es scheint, endlich ihre musikalische Heimat gefunden. Ihre Countryroots klingen nicht oft, dafür umso schöner durch.
Label: Lost Highway (Universal) | VÖ: 5. Februar 2008 |
Titelliste
Links
01 | Just a Little Lovin' | 06 | Breakfast in Bed |
02 | Anyone Who Had a Heart | 07 | Willie and Laura Mae Jones |
03 | You Don't Have to Say You Love Me | 08 | I Don't Want to Hear It Anymore |
04 | I Only Want to Be with You | 09 | Pretend |
05 | Look of Love | 10 | How Can I Be Sure |