Wer weiß, vielleicht liegt die Antwort in einem denkwürdigen Interview, das er 2013 dem Kult-Journalisten Larry King auf CNN gab. Der kleine Mann mit den Hosenträgern fragte damals Allan, ob er Taylor Swift und Carrie Underwood für Country-Acts halte. Und er? Lederte ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen drauf los und erklärt die beiden Superstars für "Pop-Künstlerinnen", die lediglich ihren Lebensunterhalt im Country-Genre verdienen würden. "Ich habe das Gefühl", ließ er sich dazu noch entlocken, "dass wir unser Genre verloren haben."
Gary Allan meldet sich nach achtjähriger Pause zurück
Hm, sowas hören die Mächtigen an der Music Row nicht so gerne. Auch nicht die Manager in den vielen Country-Radiostationen des Landes. Prompt bekam er die Rechnung serviert: seit dem Interview konnte er, der erfolgsverwöhnte Country-Rocker mit Hit-Abo, keine Single mehr in oberen Charts-Regionen platzieren. So etwas gibt auch einem Superstar zu denken. Wie es heißt, habe Gary Allan mindestens ein Album seit "Set You Free" fertig gestellt, sich aber dann doch nicht getraut, es zu veröffentlichen. Die Single-Vorboten "Hangover Tonight" (2015), "Do You Wish It Was Me?" (2016) und "Mess Me Up" (2017) schafften kaum die Top 50. Das lässt einen schon zweifeln.
Umso erfreulicher ist es, dass er sich nun doch durchgerungen hat, seine - immer noch zahlreichen Fans - mit neuem Stoff zu versorgen. 13 Tracks hält der Longplayer parat, geschrieben von der Crème de la Crème der Nashville-Songwriter: die Warren-Brüder sind genauso dabei wie Hillary Lindsey, Shane McAnally, Sarah Buxton und Busbee. Da auch hinter den Studio-Regler nur die Elite am Werk ist (u.a. Mark Wright, Tony Brown und Jay Joce) dürfte einem Comeback-Hits doch nichts mehr im Wege stehen, oder? Mal sehen, mal hören...
Gary Allan sagte in einem Interview, die 13 Songs von "Ruthless" repräsentierten alles, woran er seit seinem letzten Album gearbeitet habe. So ganz stimmt das freilich nicht. Denn von den vorab-veröffentlichten (und gefloppten) Singles findet sich hier nur das im Sommer 2020 veröffentlichte "Waste of a Whiskey Drink". In der Josh Kear-, Michael Hardy-, Mark Holman-Komposition erinnert Gary Allan an eine etwas ältere und dazu auch etwas verwegenere Version von Thomas Rhett: druckvoller, rhythmisch kerzengerader Country-Pop, aber auch ohne echte Höhen und Tiefen. Ein: Okay-Song. Das gilt leider auch schon für den Opener "Temptation". Auch hier hat man das Gefühl, dass sich Gary Allan an den Mainstream - sorry - heranwanzen, heransingen möchte.
Von einem fulminanten Album-Einstieg kann man deshalb nicht gerade sprechen. Zumal man weiß, der Mann kann mehr. Viel mehr. Zu was der heißblütige Sänger musikalisch in der Lage ist, deutet er - Erleichterung macht sich breit - bereits im dritten Track, in "Till It Felt Like You" an. Kyle Jacobs, Joe Leathers und Matt Warren haben ihm die wuchtige Power-Ballade auf den Leib geschrieben. Geht doch! Auch der nächste Track "Slide" gibt Anlass zur Hoffnung, dass Gary Allan, einer der größtem Country-Stars der frühen Nuller-Jahre, sein Pulver noch längst nicht verschossen hat. Klar, auch hier klingt Pop mit. Doch die Basis des souligen Songs, bei dem ein Chor dezente Gospel-Akzente setzt, ist Country-Rock im Geiste der 1990er Jahre.
Mit "Ruthless" versucht Gary Allan den Spagat
Das gilt auch für das anschließende "Pretty Damn Close", dem ersten echten Highlight der CD. Allan schrieb diese wunderschöne Ballade gemeinsam mit u.a. Matt Warren und Sarah Buxton und er interpretiert die Ode vom "knapp daneben" mit so viel Herzblut und Hingabe, wie es wohl nur ein Künstler kann, dem Scheitern nicht fremd ist. Mit diesem stilistischen Portfolio aus Country-Rock, Country-Pop und Schlenkern in Soul- und Vintage-Gefilde, ist auch der Rest des Albums bestückt. Nicht jeder Track ist ein Volltreffer. Aber eine echte Niete findet sich darauf auch nicht. Titel wie "Unfiltered" und das rhythmisch pulsierende "What I Can't Talk About" bleiben gehobenes, angerocktes Country-Pop-Mittelmaß mit Melodien, die man schon zu oft gehört hat, um noch zu begeistern.
Am besten ist der Rückkehrer immer dann, wenn er - wir mutmaßen mal - sein Ding macht. Seine Musik. Seinen Style. Beispielsweise in "The Hard Way", bei dem er zu reichlich harten Klängen den Leidensmann gibt. Oder in dem melodisch gefälligen, dennoch keinesfalls unbekümmerten "Trouble Knows Trouble", bei dem ihm ein sparsames, angenehm transparentes Arrangement genügt. Hier kommt seine exzellente Stimme sehr gut zur Geltung. Das trifft freilich auch für den Titeltrack zu. Hillary Lindsey, der verstorbene busbee und Ryan Hurd haben sich diese Ballade ausgedacht und dafür süße Soul-Melodien ersonnen - umgesetzt in bester Muscle Shoals-Tradition mit wuchtiger Orgel und Bläsersatz. Starke Performance, keine Frage.
Ein echter Exot des Albums aber ist "Little Glass of Wine". In der betagten Jesse Winchester-Komposition schwelgt Allan in - buchstäblich - weinseliger Nostalgie: ein akustisch arrangierter Vintage-Track mit Fiddle und Pedal Steel aus dem Premium-Fach. Allan singt diese wunderbare Trinker-Ballade so herzergreifend, dass man, tja, dass man sich glatt mehr Songs dieses Jahrgangs wünschen würde. Der Mainstream hätte da aber sicher etwas dagegen.
Fazit: Mainstream-tauglicher Pop, starker Country-Rock und ein paar überraschende Songexoten: mit "Ruthless" gelingt Gary Allan ein gutes Comeback.
Label: EMI Nashville (Universal) | VÖ: 25. Juni 2021 |
01 | Temptation |
02 | Waste of a Whiskey Drink |
03 | Till It Felt Like You |
04 | Slide |
05 | Pretty Damn Close |
06 | High As I've Ever Been |
07 | What I Can't Talk About |
08 | SEX |
09 | Trouble Knows Trouble |
10 | Ruthless |
11 | Unfiltered |
12 | Little Glass of Wine |
13 | The Hard Way |