Im Fall des 1958 in Tulsa geborenen Sängers und Songschreibers ist das immer wieder gern genutzte Motto "Back To The Roots" kein Werbe-Gag, sondern Realität. Denn bevor der Sänger vor 20 Jahren seinen ersten Plattenvertrag in der Music City U.S.A. unterschreiben durfte, spielte er einige Jahre lang in einer Gruppe mit dem Namen "Special Edition", die sich dem Bluegrass verschrieben hatte.
Genau aus dieser Zeit stammt das putzmuntere Stück "Tennessee Tea", welches sich in einer Neuaufnahme auf der "Homecoming"-Scheibe befindet und durchaus Hitpotential aufweist. Bei der Produktion von "Homecoming: The Bluegrass Album", die Joe Diffie zusammen mit Luke Wooten durchgeführt hat, konnte er im großen, kirchenähnlichen Teil der Ocean Way Studios in Nashville eine illustre Auswahl an in der Szene besonders bekannten Gästen begrüßen. Dazu gehörten neben der Gruppe The Grascals auch Rhonda Vincent, Sonya Isaacs, Bradley Walker oder Alecia Nugent. Neben der prominenten stimmlichen Unterstützung standen Joe Diffie bei den Aufnahmen Bluegrass-Experten wie Mike Compton (Mandoline), Bryan Sutton (Gitarre) oder Rob Ickes (Dobro) zur Verfügung. Spätestens jetzt dürfte das Herz eingefleischter Genre-Anhänger wild pochen...
Genau diese Fans werden bei den zwölf Stücken auf ihre Kosten kommen. Zum Auftakt geht Diffie mit der Auswahl einer klassischen Nummer von Earl Scruggs ("Somehow Tonight") auf Nummer sicher, zeigt darin aber schon, dass er den stimmlichen Anforderungen der Musik locker gewachsen ist.
Dass der ehemalige Vokuhila-Anhänger nicht nur Interpretationen von bekannten Stücken drauf hat, beweist er mit seinem höchstpersönlich verfassten "Till Death" - einer (im wahrsten Sinne des Wortes) "Mörder-Ballade". Lupenreiner Bluegrass, der ins Ohr geht, und da längst nicht Halt macht: "I shot her through the Heart. Remember what that Preacher said, 'til Death do us part".
Joe Diffie fühlt sich in der rein akustischen Welt, die ohne Schlagzeug und elektrische Gitarren auskommt, offensichtlich pudelwohl und das merkt man den Stücken an. Selten hat Diffie lockerer geklungen als beim fixen "Tall Cornstalk" oder dem humorvollen "Rainin' on Her Rubber Dolly".
"Es ist für mich ein Gefühl, als würde man in seine Lieblingsjeans schlüpfen", beschreibt Diffie seine Wiederkehr zum Bluegrass.
Das von Otis Redding geschriebene "Hard to Handle", mit dem die Rocker "The Black Crowes" vor zwei Dekaden einen fetten Hit landeten, fungiert als Rausschmeißer. Hier gehen alle Musiker in Sachen Tempo noch einmal bis an die Grenzen und schießen dabei am Ende ein wenig über das Ziel hinaus.
Schade für Joe Diffie, dass in diesem Jahr bereits Dierks Bentley mit einer Bluegrass-Platte aufgetrumpft hat, sonst würden sich vielleicht mehr Menschen für das Album interessieren. So haben wenige Tage nach Erscheinen des Albums bisher nicht einmal 200 Nutzer die Möglichkeit in Anspruch genommen, auf der Myspace-Präsenz des Musikers die Stücke "Tall Cornstalk" und "Fit For A King" anzuhören. Ist das World Wide Web für Bluegrass-Liebhaber etwa zu modern?
Fazit: Nachdem seine Karriere im Country-Bereich schon bessere Tage gesehen hat, setzt Joe Diffie nun auf sehr traditionellen Bluegrass. Das macht er allerdings so gut, dass "Homecoming: The Bluegrass Album" hoffentlich nicht seine letzte Hommage an die erste (musikalische) Liebe sein wird.