Vor dem ersten Hördurchgang empfiehlt sich ein kurzer Blick in Carlene Carters Biografie. Die liest sich wie das Drehbuch eines Hollywood-Films: mit 15 erste Heirat, mit 16 erstes Mal Mutter; sie ist noch ein Teenie, als sie zum zweiten Mal das Ja-Wort gibt und ein zweites Kind zur Welt bringt. Es folgen weitere gescheiterte Ehen, Drogenabhängigkeit, Knast, Versuche als Schauspielerin und so weiter und so fort ... Doch wie es sich für einen Hollywoodstreifen gehört, scheint es auch für Carlene Carter ein Happy-End im richtigen Leben zu geben. Das private Glück fand sie vor nicht langer Zeit in dem Schauspieler Joseph "Joe" Breen und künstlerisch gelingt ihr mit "Stronger" ein bärenstarkes Comeback.
Dabei zäumt sie anti-chronologisch das CD-Pferd von hinten auf, mit dem Opener "The Bitter End". Doch genauso wenig, wie es sich dabei um ein Ende handelt, ist dieses bitter. Der Titel überzeugt durch schnörkellosen, unangestrengten, erdigen und durch und durch glaubwürdigen Countryrock. Ein Song, den man gerne im Auto hört, der durch sein solides Fundament gute Laune verbreitet - aber auch noch nicht zu viel von dem kreativen Reichtum der scheinbar geläuterten Carlene Carter vorweg nimmt.
In dem nachfolgenden "Why Be Blue" - was für eine Frage, bei ihrem bewegten Leben? - setzt sie ein erstes eindringliches Signal. Der Titel überzeugt durch subtile Vokal-Arrangements, durch ein sonniges Lebensgefühl und durch Melodien, die entfernt an die Doobie Brothers, Fleetwood Mac oder an Tom Petty erinnern (ach ja, mit Tom Pettys Bassist Howie Epstein war Carlene Carter Ende der 80er Jahre auch mal zusammen, nur so als Randnotiz).
Spätestens nach diesem Titel wird klar, dass es sich bei "Stronger" nicht lediglich um eine weitere CD beziehungsweise ein weiteres Comeback eines Mitglieds aus dem großen, großen Carter/Cash-Clan handelt. Nein, dieses Album ist weit mehr. Die aus einem runden Dutzend Songs bestehende CD ist gleichzeitig Reifezeugnis, künstlerischer Meilenstein und Beweis persönliche Läuterung. Diesen Vorgaben werden tatsächlich auch alle weiteren Titel gerecht.
Sowohl das akustische, Bluegrass-gefärbte "To Change Your Heart", das softe "Bring Love", das flotte, mit ätherischen Beatles-Harmonien ausgestattete und vor Selbstironie triefende "I'm So Cool". Aber auch die stramm rockenden, bluesigen Titel haben es faustdick hinter den Noten: das fast schon zwangsweise an Wynonna erinnernde "On To You" oder das luftig-leichte "Light Of Your Love".
Ein echtes Juwel hat Carlene Carter als achten Song am Start: "Judgement Day". Ein Song mit einer traumhaft schönen Melodie, eingängigen Gitarrenlinien und einer Sängerin, die tatsächlich niemals in ihrem Leben "stronger" war als hier. Klasse!
Fazit: Carlene Carter auf der Achterbahn ihres Lebens - mit "Stronger" ist sie, vielleicht erstmals, richtig weit oben. Ein kleines Meisterwerk des Sorgenkindes des Carter/Cash-Clans.
Label: Yep Rock (Cargo Records) | VÖ: 7. März 2008 |
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