Neil Young with Crazy Horse - World Record

CD Cover: Neil Young with Crazy Horse - World Record

Auf "World Record" macht Neil Young zum 15. Mal gemeinsame Sache mit seiner Begleitband Crazy Horse

Meine Güte, es ist ja fast nicht zu glauben. Das erste Album, das Neil Young, dieses kanadische, kauzige Songwriter-Genie, gemeinsam mit Crazy Horse aufgenommen hat, war "Everybody Knows This is Nowhere", datiert mit Jahrgang 1969. 53 Jahre ist das also her. Seitdem hat Young immer wieder die Gemeinschaft und die musikalische Sensibilität der Begleitband um Gitarrist Nils Lofgren, Bassist Billy Talbot und Drummer Ralph Molina gesucht. Nicht selten führte das zu Sternstunden des Country-Folk und Folk-Rocks, zu Alben wie "After The Goldrush" (1970), "Zuma" (1975), "Comes a Time" (1978), "Ragged Glory" (1990) oder, in jüngerer Vergangenheit, "Colorado" (2019) und "Barn" (2021).

Neil Young stellt seinen persönlichen Weltrekord auf: "World Record"

Nun also geht die Zusammenarbeit weiter. "World Record" heißt das von Young gemeinsam mit Rick Rubin produzierte und in Rubins Shangri-La-Studio in Malibu aufgenommene Album. Live aufgenommen übrigens. Und - man ist ja konsequent auf Retro-Trip - auf analoge Bänder gebannt. Schon alleine diese Eckdaten lassen den Sound von "World Record" erahnen: Man weiß, dass unsere Ohren hier nicht mit erlesener Klangkosmetik und geschliffenen Klängen verhätschelt werden. Nein, es geht zur Sache. Rau und erdig.

Inhaltlich hat sich Neil Young für sein mittlerweile 42. Studio-Album nicht weniger vorgenommen als die Welt. Mutter Erde, was sie ihm in seinen bisherigen 77 Lebensjahren alles geschenkt hat, aber auch in welchem Zustand sich unser Planet gerade befindet und wie es um seine Zukunft bestellt ist. Eine so persönliche wie umfassende Bestandsaufnahme eines engagierten Erdenbewohners also. Erstaunlicher- und auch erfreulicherweise malen Young und seine getreuen Crazy-Horse-Mitstreiter ein gar nicht mal so düsteres Erden-Bild. Der Ton dieser buchstäblichen "Earth Songs" bleibt - bei aller Kritik und Skepsis - größtenteils vorsichtig optimistisch. Entsprechend dominieren nicht mollgefärbte Balladen das Geschehen von "World Record", sondern ein breit gestecktes Spektrum an dynamischen Folk-, Folk-Rock-, Grunge- und Blues-Songs.

Die Tonlage gibt schon mal der Opener "Love Earth" vor. Eine im Western-Swing gehaltene, mit gemütlichem Klimper-Klavier und hochkarätigem Slide-Gitarren-Solo von Lofgren aufgemöbelte Ode an unseren blauen Planeten. So positiv eingestimmt geht es mit dem rustikal stampfenden Folk-Blues-Shuffle "Overhead" weiter. Ein Song, wie er auch aus frühen Tagen der Protagonisten stammen könnte: Die gleiche Energie, der gleiche Drive, der gleiche wehmütige Klang der Mundharmonika und - das erstaunt - mit der gleichen unverwechselbar-brüchigen, im hohen Register angesiedelten Stimme von Young. Tja, der Mann geht auf die 80 zu, doch stimmlich macht er seinem Namen alle Ehre.

So wie diese gesetzten Herren auf dem Album zu Werke gehen, hat das etwas von echter Begeisterung. Man nehme nur das knapp vierminütige "I Walk With You". Mit dem Track ruft uns Neil Young wieder mal ins Gedächtnis, dass er einer der Gründerväter des Grunge war: mit einer derart verzerrten Gitarre, dass man Schaden an den Lautsprecherboxen befürchten muss. Es röhrt, es dröhnt. Ein Doppel-Wumms der großartigen Art. Dass er mit seinen eher gemächlichen Fingerübungen am Griffbrett ein eher bescheidener, sich immer wieder verhaspelnder Solist ist - geschenkt! Es kommt auf die Haltung an. Und die stimmt bei ihm und seinen Mitstreitern zu mehreren Tausend Prozent. Im Distortion-Modus ist auch der Off-Beat-Blues "Break the Chain" angelegt. Ein rabiater Track mit einem wütenden Young. Er berserkt sich mit brutalen Riffs durch den Song und unterstreicht damit sein Anliegen: dass uns Menschen endlich bewusst wird, dass wir nur diese eine einzige Erde haben.

Stimmlich alterslos, an der Gitarre ein Berserker: Neil Young

Eine Erde allerdings, auf der Neil Young nur zu gerne mit einem aufgemotzen Benzinschlucker durch die Gegend fährt. Dieser Passion widmet er auf "World Record" gleich 15 Minuten - das Sessionhafte, entfernt an die wehmütigen Akkorde seiner frühen Glanzleistung "Cortez the Killer" erinnernde "Chevrolet". In den weiteren Titel der CD lässt er es meist gemütlicher angehen: "This Old Planet" ist ein gediegener, mit Jazz-Besen subtil angetriebener und von einem Akkordeon putzig untermalter Folky, "The World (Is In Trouble Now") ist, dem Titel geschuldet, ein wuchtig-straighter Blues; mit dem im Drei-Viertel-Takt gehaltenen, von einem knarzenden Harmonium untermalten "The Long Day Before" lässt sich träumerisch in Nostalgie schwelgen und bei "Walkin' On the Road (to the Future)" stimmt er zuversichtlich-optimistische Töne an - und erinnert dabei an ein kleines bisschen einen seiner frühen Klassiker, an "Only Love Can Break Your Heart" vom "After The Goldrush"-Album.

Fazit: Neil Young und seine Begleiter von Crazy Horse machen auf "World Record" zum 15. Mal gemeinsame Sache. Von Routine sind die Vollblutmusiker aber so weit entfernt, wie Young von einem Trump-Autoaufkleber. Live eingespielt und ungeglättet von Rick Rubin produziert.

Label: Reprise (Warner) VÖ: 18. November 2022
Disk 1
01 Love Earth
02 Overhead
03 I Walk with You (Earth Ringtone)
04 This Old Planet (Changing Days)
05 The World (Is in Trouble Now)
06 Break the Chain
07 The Long Day Before
08 Walkin' on the Road (To the Future)
09 The Wonder Won't Wait
Disk 2
01 Chevrolet
02 This Old Planet (Reprise)
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