Gospel mit persönlicher Note: "And Now, Let's Turn to Page..."
So manch einer wird bei dem Wort "Gospel" womöglich die Nase rümpfen? Dabei hat das Genre erstens weit mehr als Song-Kamellen wie "Amazing Grace" zu bieten und zweitens gehört der religiös inspirierte Lieder-Kanon zur Country Music wie die Saiten zu einer Gitarre. Gospel ist, darüber gibt es keine zwei Meinungen, Teil der DNA des Nashville-Sounds. So gesehen bietet Brent Cobb mit "And Now, Let's Turn to Page…" nicht nur religiöse Einkehr, er betreibt mit dem Album auch so etwas wie musikalische Wurzelpflege.
Religiöse Betulichkeit? Spirituelles Pathos? Na klar! Das muss schon auch sein. Man darf bei einem Musiker vom Kaliber eines Brent Cobb aber selbst in dieser Umgebung musikalische Überraschungen erwarten. Die löst der 35-Jährige aus Americus, Georgia, auch prompt ein. Schon mit dem Opener "Just a Closer Walk with Thee". Der größtenteils akustisch gehaltene Country-Gospel verströmt bereits in den ersten Takten eine dermaßen entspannte Countryhaftigkeit, dass einem glatt Willie Nelson in den Sinn kommt. Ganz wie der betagten Ikone gelingt es auch dem jungen Sänger, die Tradition mit einer individuellen, dazu aktuellen Note zu versehen und - fast noch wichtiger - den Song mit 100 Prozent Herzblut zu interpretieren. Betulichkeit und Pathos rücken bei diesem Vortrag sofort in den Hintergrund.
Gleiches gilt für nahezu alle Gospel-Cover-Interpretationen von "And Now, Let's Turn to Page...". Wenn er beispielsweise in seinem kirchlichen Liederbuch die im Dreivierteltakt gehaltenen Country-Gospels "When It's My Time" und "In the Garden" aufschlägt, wenn er das sehr nostalgische und soulige "Old Country Church" gemeinsam mit einem wuchtigen Chor und einem swingenden Fender-Piano anstimmt oder wenn er - ein Glanzlicht dieser Country-Gospel-Messe - das von einer Orgel und einem Chor getragene "Old Rugged Cross" vom altehrwürdigen Staub befreit.
Starkes Team: Brent und Dave Cobb
Zwischendrin geht es auch beherzt und rockig zur Sache. So erinnert er in dem fulminanten "Are You Washed in the Blood" mit bluesigen Southern-Rock-Klängen an die guten, alten Little Feat. Oder: An den wunderbaren Clapton-Klassiker "Mainline Florida" aus den 70er Jahren. Hier und in dem ebenfalls stramm rockenden "We Shall Rise" zeigen Brent Cobb und seine Mitstreiter Brian Allen (Bass), Mike Harris (Gitarre) Chris Powell (Drums) und Philip Towns (Keyboards) was sie an ihren Instrumenten draufhaben - natürlich großartig inszeniert von Brents Cousin, dem Grammy-Gewinner Dave Cobb. Richtig familiär wird es aber im letzten Titel von "And Now, Let's Turn to Page...": In dem leider nur knapp einminütigen Acapella-Song "Blessed Be the Tie That Binds" bilden Brent Cobb, seine Frau, seine Schwester, sowie sein Vater, seine Mutter und natürlich Dave Cobb einen wunderbaren Familien-Chor. Ein emotionaler Schlusspunkt eines sehr persönlichen Albums.
Fazit: Getragene Klänge, aber auch rockige Ausflüge: Brent Cobb betreibt auf "And Now, Let's Turn to Page..." spirituelle Wurzelforschung. Sehr glaubwürdig und sehr persönlich.
Label: Ol' Buddy Records / Thirty Tigers (Membran) | VÖ: 28. Januar 2022 |
01 | Just a Closer Walk with Thee |
02 | When It's My Time |
03 | In the Garden |
04 | Are You Washed in the Blood? |
05 | Softly and Tenderly |
06 | Old Rugged Cross |
07 | We Shall Rise |
08 | Old Country Church |
09 | Blessed Be the Tie That Binds |