So wie der kernige Kerl aber auf dem Cover seiner neuen CD "Hard Lessons" posiert, muss man unweigerlich an Willie Nelson während seiner Outlaw-Phase denken: T-Shirt, Jeans, schulterlange Haare, Rauschebart und – als krönendes Willie-Reminiszenz-i-Tüpfelchen - Bandana-tragend. Anstatt Willies heißgeliebter Trigger (für Neulinge: so nennt die Ikone seine Akustik-Gitarre) hat er sich eine Strom-Gitarre, eine Fender Telecaster, um den Hals gehängt. Wer das Motiv deuten möchte, könnte folgern: Roots-Country, aber in Rock.
Chris Shiflett gibt auf "Hard Lessons" Outlaw-Willie
Damit liegt er gar nicht so falsch. Aber wirklich richtig auch nicht. Chris Shiflett ist einfach zu clever, um sich auf so plumpe Deutungsversuche einzulassen. Dazu ist er auch ein hervorragender, kreativer Musiker, dem Stilfragen und Genregrenzen höchstwahrscheinlich am Allerwertesten vorbeigehen dürften. Dementsprechend unbekümmert eröffnet er das Album mit einem Country-Stadion-Rocker: "Liar's Word", mit Kettensägen-Gitarren-Riffs, Dampfhammer-Drums und Mitgröhl-Refrain. Ein starker Song, ein Laune machender Song und dazu ein Song, in dem dieser Neo-Outlaw zeigt, was er als Gitarrist drauf hat. Ein Opener wie ein Keulenschlag: zögerndes Kalkulieren? Nicht mit Chris Shifeltt!
Natürlich weiß man nach diesen knapp drei Minuten immer noch nicht so genau über die musikalische Orientierung des Kaliforniers Bescheid. Auch das nachfolgende, Gitarren-Salven-feuernde "This Old World" ist dabei nicht unbedingt hilfreich: Denkt man in einen Moment noch an AC/DC kommt im nächsten Takt schon eine weinende Pedal-Steel-Guitar um die Ecke, gefolgt von einem Fingerpicking-Solo. Hard-Rock und Country finden in dem großartigen Song prächtig zueinander. Eine Meisterleistung.
Top Team: Chris Shiflett und Produzent Dave Cobb
Einen sicher nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu leistete - erneut - Produzent David Cobb. Der Grammy-dekorierte Sound-Tüftler ist gerade Nashvilles Mann der Stunde, kaum jemand kommt an ihm vorbei. Dass die beiden ein starkes Team abgeben, bewiesen sie bereits 2017 mit Shifletts Album "West Coast Town". Mit "Hard Lessons" setzten sie noch einen drauf.
Neben harten Klängen serviert Chris Shiflett mittendrin auch mal richtige Country-Hausmannskost: Das so nostalgische, wie vergnügliche "The One You Go Home To", ein Duett mit Elizabeth Cook; eine rührselige Country-Ballade, die an die großen Genre-Duette denken lässt: an George Jones und Tammy Wynette, an Johnny Cash und June Carter oder an Keith Whitley und Lorrie Morgan. Der Song ist so konsequent im Vintage-Look gehalten, dass er womöglich als Parodie gedacht ist. Doch wenn schon. Der Track unterhält den Hörer prächtig und darum geht es doch im Entertainment-Business, richtig?
Neben Shiflett und Cobb (an der Akustik-Gitarre) ließen unter anderem Pedal-Steel-Ass Paul Franklin, Drummer Chris Powell und Bassist Brian Allen die Wände des ehrwürdigen RCA Studio A in Nashville erzittern.
Fazit: Country trifft auf harten Rock und dazu auf starke Harmonien. Foo-Fighters-Gitarrist Chris Shiflett hat seine Hausaufgaben gemacht, wie "Hard Lessons" eindrucksvoll belegt. Ein Volltreffer!
Label: East Beach / Thirty Tigers (Alive) | VÖ: 14. Juni 2019 |
01 | Liar's Word |
02 | This Ol' World |
03 | Welcome to Your First Heartache |
04 | The Hardest Lessons |
05 | The One You Go Home To (mit Elizabeth Cook) |
06 | Fool's Gold |
07 | I Thought You'd Never Leave |
08 | Weak Heart |
09 | Marfa on My Mind |
10 | Leaving Again |
11 | The Hardest Lessons (Reprise) |