Bill Serrat erinnert sich. Sein Vater hatte in Dyess, Arkansas, einen Live-Club, in dem er als kleiner Junge so manches Konzert sah. Darunter auch den Auftritt eines Youngsters, eines gewissen Johnny Cash. "Man kann das nicht so richtig beschreiben", sagt Bill Serrat während er die Augen nach oben richtet, wie um das geistige Bild der Erinnerung besser fokussieren zu können. "Er war damals bestimmt noch nicht perfekt, in dem was er tat, aber: Er hatte eine Aura, eine Ausstrahlung, der man sich nicht verschließen konnte. Man wusste", sagt Serrat schließlich, und nun kommt der suchende Blick offenbar zur Ruhe, "der wird noch einmal richtig Großes leisten."
Was damals der junge Bill Serrat erahnte, hat sich freilich bestätigt. Und wie. Johnny Cash ist im Laufe seiner über 45-jährigen Musik-Karriere zum Weltstar, zur Ikone, zum Hitparadenstürmer, zum TV- und Hollywoodstar, zum Vorbild, Idol und zur wichtigsten Stimme des Country avanciert. Johnny Cash - sein Name ist heute, rund neun Jahre nach seinem Tod, Teil der Legenden-Galerie. In einem Atemzug mit Janis Joplin, Jimi Hendrix, Marilyn Monroe und Elvis zu nennen. Ein Name, auf den sich auch heute noch unzählige Country-Stars und -Newcomer beziehen, und mit dem sich noch richtig gutes Geld verdienen lässt. Wie hoch der als J.R. Cash - so steht sein Name in der Geburtsurkunde, erst während der Armyzeit änderte er ihn in Johnny - bei der digitalen Generation im Kurs steht, beweist sein Facebook-Konto: über acht Millionen Fans. Mehr als Elvis und John Lennon.
Das verwundert. Andererseits auch wieder nicht. Denn während Elvis und der Ex-Beatle eine ganz klar umrissene Hörerschaft hatten, speiste Johnny Cash seine Fanbase genre- und generationsübergreifend: 60jährige Country-Fans finden ihn einfach gigantisch, für Großstadt-Kids ist er cool; seine Musik läuft auf Oldie-Sender, Classic-Rock-Stationen und Independet-Stationen. Johnny Cash ist gleichermaßen ein Mann fürs anspruchsvolle Feuilleton wie für den Musik-Mainstream.
Das liegt zu einem gewissen Teil an dem herausragenden, Oscar-prämierten Biopic "Walk The Line". Zum anderen an Johnny Cashs letzten Karriere-Jahren, in denen er seit Mitte der 90er Jahre mit dem Rock-Produzenten Rick Rubin zusammen arbeitete und die vielfach prämierten "American Recordings"-Reihe veröffentlichte. Cash & Rubin bildeten einfach ein magisches Duo. Der Eine: ein Country-Sänger mit unzähligen Hits und Evergreens ausgestattet und mit einer grandiosen Stimme gesegnet. Aber nach ein paar Flops auch im Karriere-Tief. Der Andere: ein mystischer, undurchschaubarer Sound-Visionär; eine Hitnase. Aber, so dachte man damals, auf HipHop- (Beastie Boys, LL Cool J), Metal- (Black Sabbath, Metallica) und Hard-Rock-Acts (AC/DC, Red Hot Chili Peppers) spezialisiert. Doch der bärtige Tonkutscher mit Waldschrat-Optik fand für Johnny Cash die richtige Sound-Formel: Er reduzierte die Arrangements bis auf die wesentlichen Elemente und rückte so die faszinierend-charismatische Stimme des Country-Stars voll und ganz in den Vordergrund. Ergebnis: Songs von geradezu magischer Ausstrahlung. Mehr noch: Das musikalische Terrain wurde großzügig abgesteckt. Neben etlichen Eigenkompositionen interpretierte Johnny Cash schon bei der ersten Rubin-Kooperation "American Recordings" aus dem Jahre 1994 etliche extrem Country-untypische Titel. Darunter "Thirteen" aus der Feder von Glenn Danzig, "Down There By The Train" von Tom Waits und Leonard Cohens "Bird On The Wire". Spätestens nach diesem Werk ließ sich Johnny Cash nicht mehr nur auf Country reduzieren. Nein, er war urplötzlich hip. Eine Art anderer Rockstar. Und auf dem besten Wege, zum Kult zu werden.
Auch die weiteren, von Rubin produzierten, Werke landeten weltweit in oberen Chartsgefilden und ernteten euphorische Kritiken. "American IV -The Man Comes Around", sein letztes zu Lebzeiten produzierte Album, brachte ihm drei Country Music Awards, einen MTV Video Music Award und einen Grammy für seine Cover-Version des Nine-Inch-Nails Hits "Hurt" ein. Kurz vor der Veröffentlichung der CD-Compilation "Unearthed", starb Cash am 12. September 2003 an den Folgen seines Diabetes. Im Dezember desselben Jahres kam "Unearthed" in den Handel - das erste einer ganzen Reihe posthumer Werke des "Man in Black".
Wer sich den Output des toten Country-Übervater ansieht, möchte glatt glauben: so produktiv war Johnny Cash zu Lebzeiten nicht. Natürlich hat diese Resteverwertung, dieses Alles-Veröffentlichen, was Johnny Cash irgendwann in seinem Leben auf Band gebracht hat, etwas von Leichenfledderei. Knapp 30 Alben wurden seit 2003 bei verschiedenen Labels veröffentlicht. Manches Banales, aber auch so manche Perle, wie zum Beispiel die grandiose Neuauflage von "Johnny Cash at Folsom Prison (Legacy Edition)", die neben dem Konzertmitschnitt auf zwei CDs um eine zweistündige DVD erweitert wurde.
Auch das 2006 erschienene "Personal File" hielt 49 bis dahin unbekannte musikalische Schätze für die Hörer bereit.
Die vielen Veröffentlichungen bestätigen letztlich nur die große Nachfrage am großen Johnny. Und sie sind Teil der Legendenbildung, die in den letzten Jahren sogar noch an Schwung und Dynamik zugelegt hat. Den größten Wirbel hat dabei natürlich der 2006 in die Kinos gekommene Hollywood-Streifen "Walk The Line" verursacht. Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon rührten als Johnny Cash und June Carter weltweit Millionen von Kinobesuchern zu Tränen; und befeuerten den Kultstatus des Country-Heroen in Breitleinwandformat. In diesem Kielwasser steuert in Deutschland auch der Schauspieler und Musiker Bastian Semm mit seiner Show "Cash - A Singer of Songs". Laut Rhein-Neckar-Zeitung hat der Künstler sein Idol exakt studiert; er gebe "einen gelungenen tiefgehenden Eindruck in die Musik und das Leben Johnny Cashs." Semm über Cash: "Obwohl ich einer anderen Generation angehöre, bin ich - Dank meiner Eltern - mit seiner Musik aufgewachsen. Für mich ist er einfach eine faszinierende Persönlichkeit“, so Semm weiter, "er war vielleicht der beste Geschichtenerzähler in der Musik." Trotz oder vielleicht gerade wegen seines "konträren Charakters" sei Johnny Cash auch so einzigartig glaubwürdig. Wie der junge Semm in Deutschland halten viele weitere Musiker sein Andenken in Ehren. Darunter auch Gunter Gabriel und Hellen Schneider in dem Theaterstück "Hello, I'm Johnny Cash", das zurzeit für ausverkaufte Theatersäle in ganz Deutschland sorgt (Tickets online bestellen). Aber auch viele andere große Musikstars. Aus allen möglichen Genres. Wer den Stellenwert des Ausnahmekünstlers ergründen möchte, sollte einen Blick auf Amazon.de werfen: Hier findet sich neben zahlreichen CDs, DVDs, jeder Menge T-Shirts, Poster und Hoodies mit seinem Konterfei, etlichen Biografien (u.a. die Wiederveröffentlichung "Cash - Die Autobiografie von Johnny Cash" aus dem Edel-Verlag) auch eine Live-DVD. Angefangen von Bob Dylan über Sheryl Crow bis hin zu HipHoppern wie Wyclef Jean und den Stadionrockern von U2 verneigen sich alle vor ihm: Dem großen Johnny Cash.
Ähnlich wie bei Elvis brauchen auch die treuen Cash-Fans eine Pilgerstätte. Sie finden sie mit der letzten Ruhestätte von Johnny Cash und June Carter in Hendersonville, Tennessee. Ab Sommer 2012 bekommt die Ikone allerdings eine weitere Gedenkstätte - ein richtig großes Museum. Mitten in Nashville. Auf rund 1.700 Quadratmetern wird das vom Cash-Freund und Sammler Bill Miller initiierte Projekt die weltgrößte und umfassendste Ausstellung rund um Johnny Cash bereit halten. Unterstützt von der Familie des Country-Rebellen sollen private Briefe, Kostüme, Musikinstrumente und viele weitere Memorabilien die Besucher auf "eine dreidimensionale Reise durch Johnny Cashs Leben" mitnehmen. Der Kult lebt weiter...