Welch eine Chance, über diesen Boom das Genre Country Music insgesamt schmackhaft zu machen!
Ähnliche Gelegenheiten gab es freilich auch in der Vergangenheit. Meist waren bestimmte Künstler dafür verantwortlich. Künstler aus der Country Music, die in Deutschland eine erstaunliche Popularität erhielten. Man denke nur an Kenny Rogers, Kris Kristofferson, John Denver, Dolly Parton oder Shania Twain. Egal ob durch ihre Musik oder auch Filme standen sie im Blickfeld der öffentlichkeit. Allein, der Country Music allgemein hat es wenig und schon gar nicht dauerhaft auf die Sprünge geholfen. Es blieb dabei, dass zwar der Künstler das Interesse der breiten öffentlichkeit auf sich zog, für die von ihm vertretene Musikrichtung aber kaum etwas abfiel.
Man erinnert sich mit gewisser Wehmut auch an große Country Festivals in den 70er Jahren, mit prominenter internationaler Besetzung. Oder an Fernseh-Shows wie "It´s Country Time" mit Freddy Quinn als Gastgeber, die zur besten Sendezeit liefen.
Fakt ist, die Country Music vegetiert in Deutschland weiterhin als Randgruppenmusik vor sich hin, weiterhin mit den hinlänglich bekannten Vorurteilen bedacht. Vor allem der Country Szene selbst ist es nicht gelungen, die sich bietenden Chancen beim Schopf zu packen und alles dafür zu tun, das einmal geweckte Interesse dafür zu nutzen, der öffentlichkeit nachhaltig zu beweisen, welch große Vielfalt die Country Music zu bieten hat. Man war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, darauf bedacht, das Terrain zu sichern oder sich sogar untereinander zu bekriegen. Man konnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass die ohnehin überschaubare sogenannte "Country-Szene" gar nicht wirklich darauf bedacht war, den entscheidenden Schritt nach vorne zu tun. Für einen Außenstehenden bot die Country Szene das Bild einer in sich uneinigen Welt. Anstatt potentiellen neuen Fans und möglichen Interessenten von außen die Country Music weiter schmackhaft zu machen, vertrieb man sie mit einer unglücklichen Selbstdarstellung. Trucker gegen Cowboys, Traditionalisten gegen Modernisierer und das alles in einer vergleichsweise kleinen, alles andere als heilen Welt. Am heftigsten zutage trat der Twist in manchen Print-Medien. Dort wurde der Leser mit Internas und Animositäten konfrontiert, die ihn reichlich wenig interessierten. Alles zu Lasten einer umfassenden, fundierten Berichterstattung. Worte und Absichtserklärungen gab es in den einschlägigen Kreisen zwar immer - allein die Taten folgten dann nicht.
Das Erstaunliche dabei - dieses Szenario wiederholt sich seit mehreren Jahrzehnten immer wieder. Mit anderen Handelnden (oder Nicht-Handelnden) aber stets dem gleichen Ergebnis. Nur eines ist geblieben: das Jammern darüber, wie ungerecht man der Country Music mitspielt und dass Keiner etwas dagegen unternehme.
Ein Blick über den Tellerrand hinaus zu unseren europäischen Nachbarn, in denen nicht Englisch gesprochen wird, zeigt, dass es auch anders geht. Dort bereitet die lokale Country Szene den Boden für nordamerkanische Künstler vor. Gute einheimische Acts erfreuen sich großer Beliebtheit, auch wenn sie nicht unbedingt in den heimischen Pop Charts Furore machen. Nicht von ungefähr gastieren Stars aus den USA und aus Kanada regelmäßig dort und finden ihr Publikum. Sicher ein Verdienst der Medien, Veranstalter, Promotoren und vor allem der Fans.
Leider Gottes finden sich hierzulande an entscheidenden Stellen in Rundfunk, Fernsehen und Presse außerhalb der Country-Szene immer noch zu viele Entscheidungsträger, die beim Thema Country Music fast schon boshaft die Klischees auspacken und darauf herumreiten. Aber die Szene selbst tut auch des Ihrige, diese Klischees zu bestätigen.
Jetzt wird der Country-Szene also im Sog von Johnny Cash und "Walk The Line" wieder eine Chance auf dem Silbertablett serviert. Es liegt an uns Country Fans und Country-Medienschaffenden sie zu nutzen. Jetzt ist Gelegenheit dazu, nüchtern sachlich daran zu arbeiten, der Mitbürgerschaft zu vermitteln, was die Country Music der Gegenwart für ein höllisch interessantes und weit gefächertes Spektrum zu bieten hat. Es darf nicht länger der Eindruck herrschen "Country" sei ein Schimpfwort. Wenn Deutschland als der drittgrößte Markt für Unterhaltungsmusik nicht weiter als Diaspora in Sachen Country Music gelten soll, muss ein genereller Umdenkungsprozess stattfinden. Wie sagte ein amerikanischer Country Star unlängst: "Wenn wir nach Europa kommen, fliegen wir nicht nach Deutschland sondern über Deutschland hinweg nach England, Skandinavien, Holland…"
Das sollte man ändern können. Vieles hat sich bei den Rahmenbedingungen grundlegend geändert. Die elektronischen Errungenschaften eröffnen dieser Tage ganz andere Möglichkeiten … wenn man sich ihrer bedienen will. Das Ziel sollte ganz einfach sein, dem Publikum neben anderen Arten von Musik auch die Country Music in ihrer ganzen Bandbreite zugänglich zu machen. Es wird dann selbst entscheiden, was ihm gefällt und was nicht. Wenn man allerdings nichts von einem Produkt erfährt, kann man auch nicht darüber befinden. Hier gilt es den Hebel anzusetzen und die Kräfte nicht mit unnützen Diskussionen darüber zu verschwenden, ob etwas "country" ist oder nicht, ob "country" nur in einer Sprache, nämlich in Englisch echt ist oder nicht. Es ist wieder einmal Johnny Cash, der posthum eine Weiche stellt…
Nicht nur für mich bleibt die spannende Frage: Wird die Country Szene diesmal die Chance nutzen und das derzeit bestehende Interesse dauerhaft konservieren können?