Steve Wariner zelebriert Chet Atkins

Steve Wariner, Foto: Jim McGuire

"Hör auf!" sagte Steve Wariner zu Chet Atkins, als der legendäre Gitarrist, Produzent und Plattenmanager ihn eines Tages im Jahr 1976 anrief.

"Ich dachte, es wäre mein Bruder Kenny, der ein richtiger Witzbold ist", erinnert sich Wariner. "Der hatte schon oft angerufen und so getan, als wäre er jemand anders."

Aber es war wirklich Atkins. Und mit diesem Telefonat begann eine Freundschaft, die 25 Jahre dauern sollte und in dem Album "My Tribute to Chet Atkins" ihren Höhepunkt fand. Wariner produzierte das Album und veröffentlichte es bei seiner eigenen Plattenfirma, SelecTone Records. Es enthält 11 schöne, gitarrenlastige Titel, die vom Meister der Sechssaitengitarre inspiriert und seinem Repertoire entlehnt sind. Der Innovator Atkins, der ein Mitglied der Country Music Hall of Fame war, starb 2001.

Die Realisierung einer Aufnahme von Atkins gewidmeten Liedern ist selbst für einen Musiker von Wariners Kaliber eine ernste Sache. Atkins bleibt einer der am meisten gewürdigten Gitarristen der Welt. Seine Technik hatte ihre Wurzeln im Fingerpicking der klassischen Country-Musik, wie man es bei Maybelle Carter und Merle Travis findet, und schloss darüber hinaus Einflüsse von Jazz, Klassik, Pop, Funk und Rock sowie der französischen, italienischen und spanischen Volksmusik ein.

Hinzu kamen noch der reine Klang und die außergewöhnlich saubere Artikulation auf dem Griffbrett, die ganz natürlich wirkte. Dazu trugen Atkins' lange, elegante Hände bei, mit denen er Basstöne greifen konnte, indem er mit dem Daumen um den Gitarrenhals herum fasste und auf diese Weise Akkorde griff, die für viele andere Gitarristen aufgrund der Beschaffenheit ihrer Hände nicht greifbar sind.

Steve Wariner: My Tribute To Chet Atkins

Dies alles konnte Wariner jedoch nicht abschrecken. "Seit Chets Tod wollte ich das machen", erklärt er. Er sitzt in einem hellbraunen Ledersessel in seinem Heimstudio bei Nashville, wo er "My Tribute to Chet Atkins" aufgenommen hat. "Er war lustig und väterlich, und ein großartiger Lehrer. Ich denke, dass ich ihm in vieler Hinsicht meine Karriere zu verdanken habe."

Jenes Telefonat öffnete tatsächlich eine wichtige Tür. Atkins war beeindruckt von einer Kassette mit Wariners Demos, die er von Paul Yandell, einem Mitglied von Atkins' Band, erhalten hatte. Yandell, selbst ein hervorragender Gitarrist, zu dessen Alben mit Forever Chet ebenfalls ein Tribute an Atkins zählt, hatte Wariner beim Sänger und Gitarristen Bob Luman, einem Auftraggeber des jüngeren Gitarristen, auf einer von Johnny Cash produzierten Session für Alive and Well getroffen. Atkins nahm Wariner schon bald bei RCA Records unter Vertrag und ernannte ihn zum Bassisten seiner Band.

"Chet schien etwas in mir zu erkennen, glaube ich" sagt Wariner. "Und er wusste, dass ich das Geld brauchte. Also engagierte er mich, gab mir einen Plattenvertrag und nahm mich unter seine Fittiche."

Durch diese beiden Gelegenheiten war sichergestellt, dass Wariner seine Rechnungen bezahlen und gleichzeitig seine eigene Karriere entwickeln konnte. Seine ersten drei Singles, die alle von Atkins produziert wurden, schafften es nicht bis in die Top 40. ("Chet drückte es so aus: sie begannen langsam und ließen dann nach," sagt Wariner und lacht leise.) Und als er mit dem von Charles Quillen und John Schweers geschriebenen "Your Memory" seinen ersten Top-10-Hit landete, fährt er fort, "rief Chet mich in sein Büro und schmiss mich aus seiner Band. Er wusste, dass es mir da so gut gefiel, dass ich sie sonst nie von selbst verlassen hätte."

Seitdem hat Wariner 27 Alben gemacht und drei Grammys gewonnen, zuletzt 2008 für seinen Beitrag zu "Cluster Pluck", einem Wettstreit der Gitarrenlegenden auf Brad Paisleys Album "Play". Mit Brad Paisley zusammen schrieb und spielte er außerdem den Titel "More Than Just This Song" - ein weiteres Atkins-Tribute - auf "Play" ein. Und er wurde mit vier CMA Awards ausgezeichnet: 1991 gewann er in der Rubrik "Vocal Event of the Year" für seinen Auftritt mit Vince Gill und Ricky Skaggs auf Mark O’Connor and the New Nashville Cats, und 1998 gewann er in der Rubrik "Single of the Year" als Interpret und Produzent und in der Rubrik "Song of the Year" mit dem Titel "Holes in the Floor of Heaven".

Dank der mehr als 30 Top-10-Singles, über die Wariner sich freuen konnte, sind die Fans mit seiner auch in hohen Lagen warm klingenden Tenorstimme ebenso vertraut wie mit seiner Fertigkeit auf dem Instrument. Er hat es oft an die Spitze der Charts geschafft, und mit neun Hits gelangte er an die Spitze derBillboard-Charts: "All Roads", "I Got Dreams", "Life's Highway", "Lynda", "Some Fools Never Learn", "Small Town Girl", "The Weekend", "Where Did I Go Wrong" und "You Can Dream of Me". Er schrieb außerdem als Koautor an Nr.-1-Hits für Clint Black ("Nothin' But the Taillights") und Garth Brooks ("Longneck Bottle") sowie an Keith Urbans "Where the Blacktop Ends" (der es bis auf Platz 3 schaffte) mit.

"Steve ist so ein großartiger Sänger und hatte so viele Country-Hits, dass die Leute oft vergessen, was für ein toller Gitarrist er ist", erklärt der Singer/Songwriter Bill Lloyd vom Duo Foster & Lloyd, der zudem der ehemalige Kurator für Saiteninstrumente der Country Music Hall of Fame und des angegliederten Museums ist. "Als Radney (Foster) und ich uns die Rechnungen mit Steve teilten, hat mich seine Spielweise immer beeindruckt. Er hatte einen leichten, wunderbaren Anschlag, und mit der zupfenden Hand konnte er all die feinen und komplizierten Dinge tun, für die Chet bekannt war."

Das trifft jetzt dank Wariners Vorbereitungen für sein neuestes Album sogar noch stärker zu. "Einige dieser Songs erforderten ernsthaftes Üben", gibt er zu. "'Blue Angel'", dessen Wurzeln in der klassischen Musik liegen, war wirklich schwer. Da gibt es diese verrückten Intervalle, und Chet hat es so rein, präzise und schnell gespielt."
Dieses Stück, das vom brasilianischen Gitarrenvirtuosen Natalicio Lima geschrieben wurde, war das erste, das Wariner für das neue Album aufnahm. "Da ich mein eigenes Studio habe, konnte ich mir dafür Zeit nehmen", sagt er. "Also analysierte ich 'Blue Angel', probierte mit drei verschiedenen klassischen Gitarren und experimentierte mit allen möglichen Mikrofonen und Mikrofonaufstellungen, bis ich zufrieden war. Danach fühlte ich mich dazu bereit, mit dem Projekt voranzugehen.

Chet Atkins und Steve Wariner, Foto; Archiv RCA Records Nashville"Ich betrachte Chets Karriere als dreistufig", bemerkt Wariner. "Er war ein großartiger Gitarrist, ein toller Produzent und ein Plattenmanager, der Nashville revolutionierte, indem er das RCA-Studio B bauen ließ und unter Heranziehen seines eigenen Jazz-Hintergrunds den Sound der Country-Musik veränderte und sie einem größeren Publikum zugänglich machte. Chet hatte in den Fünfzigern sogar ein Heimstudio, das wie eine Miniausgabe von Studio B war und wo er mit Künstlern zusammen arbeitete und an seiner eigenen Musik feilte. Außer Les Paul gab es damals keinen, der so etwas hatte. Aber für mich war das Wichtigste immer Chets eigene Musik."

Atkins hatte Wariner bereits lange bevor die beiden sich kennenlernten beeinflusst. "Mein Vater hatte alle Platten von Chet, die er kriegen konnte", sagt Wariner. "Als Kind saß ich stundenlang am Plattenspieler, verlangsamte die Umdrehungen und setzte die Nadel zurück. Ich versuchte, Chets Licks herauszuhören."

"My Tribute to Chet Atkins" begann mit einer abwischbaren Tafel in Wariners Studio, auf der er Songs aus Atkins Repertoire auflistete, die er für das Projekt aufnehmen wollte. Er gewann auch Yandell, der jetzt im Ruhestand ist, für ein Brainstorming über diese Liste und die schwierige Frage, wie Atkins an die Titel, die für die endgültige Aufnahme verwendet wurden, herangegangen wäre.

"Um das Projekt wirklich in den Griff zu bekommen, entschloss ich mich, das Album so zu organisieren, dass die Songs die chronologische Entwicklung Chets als Gitarrist verkörperten", erklärt Wariner.

"My Tribute to Chet Atkins" veranschaulicht die Entwicklung des legendären Gitarristen, die ihn vom traditionellen Country-Picking zu mondänen Jazz-Einflüssen zu den Experimenten mit klassischer Musik zur Zusammenarbeit mit Lenny Breau, Les Paul, Jerry Reed, Doc Watson und vielen anderen zur vollendeten Meisterschaft führte. Einige Titel schließen fast alle diese Elemente ein. Dazu gehört "Chet's Guitar", das Wariner zusammen mit Rick Carnes schrieb und auf einer Gibson Country Gentleman aus der Mitte der Achtziger aufnahm, die er von Atkins erhalten hatte.

"Ich habe diese Gitarre auch für 'Leona' verwendet, das nach Chets Frau benannt ist", fügt Wariner hinzu (Die enge Freundschaft zwischen ihm und Leona Atkins blieb bis zu Ihrem Tod im Oktober bestehen.) Um authentisch zu wirken, ist die sanfte, aber konturreiche Melodie von "Leona", das von Wariner geschrieben wurde, von opulenten Streichern eingefasst, die von Atkins' Mitarbeitern D. Bergen White und Carl Gorodetzky arrangiert und eingespielt wurden. White hatte auch Streicherpartituren auf Warines erstem Album "Wariner" von 1982 übernommen, Gorodetzky leitet das gefeierte Studioensemble The Nashville String Machine.

Die ersten drei Titel des Albums sind ein Hinweis auf Atkins' Wurzeln. Warinersr "Leavin' Luttrell" bringt Atkins' frühe Spielweise zum Vorschein. Die Nebeneinanderstellung von Daumen und Fingern führt zu einer zarten Melodie mit betontem Bass, die von Merle Travis inspiriert ist, und schnelle Läufe, die an den Jazzmusiker George Barnes erinnern. "John Henry" ist ein traditionelles Stück, das Atkins spielte, als er in den späten 1940ern mit der Carter Family auf Tournee war. Und Wariner spielte für gewöhnlich als Bassist in Atkins' Band "(Back Home In) Indiana".

"Ich denke, einer der Gründe, warum Chet eine Verbindung mit mir einging, waren unsere gemeinsamen ländlichen Wurzeln", sagt Wariner. "Chets Bruder wohnte nicht allzu weit von Noblesville, Indiana, wo ich geboren wurde, und meine Familie kam aus dem Herzen Kentuckys, nicht allzu weit von der Gegend entfernt, aus der Chet kam."
Yandell, der bereits im Ruhestand war, kehrte noch einmal zurück, um sich an Wariners "Reeding Out Loud" zu beteiligen, das an Atkins' lockere Duette mit dem verstorbenen Jerry Reed erinnert. "Steve und ich hatten beide wirklich Glück, dass wir mit Chet zusammen arbeiten und seine Freunde sein durften", sagt Yandell. "Chet war eine wunderbare Person und ein musikalisches Genie, und Steve spielt Chets Stücke so gut. Er kann sogar 'Blue Angel' spielen, was sehr schwer ist - und er spielt es großartig. Steve ist wie Chet einer jener Musiker, die alles spielen können.“

Was Wariner angeht, so klingt dessen Verehrung für Atkins und dessen Musik im Schlusstitel nach, dem elegischen "Silent Strings", das er zusammen mit Kent Blazy geschrieben hat. Aber trotz dieser nachdenklichen Darbietung hegt Wariner heiterere Erinnerungen an seinen Freund und Mentor, der ihm den persönlichen Ehrentitel "c.g.p." ("Certified Guitar Player", beglaubigter Gitarrist) verlieh - einen Titel, den Atkins nur auf drei andere Personen ausweitete: Tommy Emmanuel, John Knowles und Reed.

"Als ich diese Songs aufnahm. hörte ich dauernd Chets Stimme in meinem Kopf", sinniert er. Auf seinem Mund zeichnet sich ein Lächeln ab. "'Netter Versuch, mein Sohn', sagte er immer zu mir und verzog keine Miene. 'Ich weiß durch aus zu würdigen, was du zu tun versuchst.'"

vgw
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