Terri Clark übernimmt die Kontrolle auf The Long Way Home

Terri Clark

Härte und Sanftheit sind wie die zwei Seiten einer Medaille. Manch einer begeht den Fehler, nur eine Seite zu betrachten.

Was die Welt von Terri Clark zuerst zu sehen bekam, war ihre harte Seite. Ins US-weite Rampenlicht stürmte sie im Jahr 1995, direkt nach einer aufreibenden Anlaufphase mit zahllosen Konzerten in einem damals noch zwielichtigen Abschnitt des Lower Broadway in Nashville. Zu dieser Zeit war es bereits schwer, sie zu ignorieren, nicht allein wegen des Huts, den sie wie eine Cowgirl-Krone trug, sondern auch durch den Erfolgs ihres Songs "Better Things to Do". Die Single war die erste in einer Reihe von 10 Auskopplungen, die es alle in die Top-10-Charts schafften, darunter zwei, "Girls Lie Too" und "You're Easy on the Eyes", die bis an die Spitze kletterten. Statt auf Nummer sicher zu gehen und ihre Musik in der altbewährten Music Row fertigen zu lassen, bestückte sie ihr selbstbetiteltes Album mit 11 Neuproduktionen, viele davon stilistisch durchaus kantig, mit einem Honky-Tonk-Feeling, das die Kritiker hellhörig werden ließ.

Seitdem hat Clark drei Alben mit Platin-Status veröffentlicht - "Terri Clark", "Just the Same" und "How I Feel". Sie wurde für vier CMA-Awards nominiert und gewann achtmal die Auszeichnung "Fan's Choice Entertainer of the Year" der Canadian Country Music Association. Der Respekt, der ihr innerhalb der Musikszene bezeugt wurde, die Loyalität ihrer Fans und ihre einmalige Bühnenpräsenz, gestützt auf ihr tolles Aussehen, ihr Gitarrenhelden-Charisma und ihre typische Kopfbedeckung, bestärkten das Bild von Clark als Frau, die hart im Nehmen ist.

Terri Clark; Foto: Margaret MalandruccoloDie Umstände sollten dieses Bild jedoch ändern. In den letzten Jahren musste Terri Clark zwei große Herausforderungen meistern. Die erste war beruflicher Natur: Ihr langjähriger Vertrag mit Mercury Nashville wurde beendet, ein nachfolgender Deal mit Sony Music Nashville platzte. Viel schwieriger jedoch war für sie die Nachricht, dass ihre Mutter an Krebs erkrankt war.

"Der Arzt gab meiner Mom ein Verfallsdatum", erinnert sie sich. "Man bekommt gesagt, wann man diese Person verlieren wird. Ich glaube nicht, dass irgendein Teil von jemandem durch so etwas unbeeinflusst bleibt, und es springt auch auf die kreative Arbeitsleistung über. Mich hat es dazu gebracht, stehen zu bleiben und mein gesamtes Leben, die Richtung, die es eingenommen hatte, zu betrachten. Ich merkte, welche Dinge ich in meinem Leben akzeptieren konnte und welche nicht, denn mir wurde klar, dass alles vorübergehend ist."

Terri Clarks Herangehensweise zu "The Long Way Home" könnte sich nicht krasser von der ehrgeizigen Haltung der damals 18-jährigen unterscheiden, die von ihrer Mutter von Medicine Hat, Alberta (Kanada) nach Nashville gefahren wurde. "Einen Vertrag mit einem Major-Label abzuschließen - das war alles, woran ich denken konnte", erzählt sie. "Das war meine Mission. Und hier stand ich nun mit meinem zweiten Major-Deal und versuchte, mich in diese winzige Schachtel zu zwängen und diese Autos zu verfolgen, die man Hit-Singles nennt. Nach einer Weile war ich mir nicht mal mehr sicher, wem ich da hinterherfuhr. Wir nahmen auf und nahmen auf, gaben Geld aus und versuchten, eine Single zu finden, die die Albumverkäufe antreiben würde, damit die Plattenfirma das Album herausbringen konnte."

Mit dem Segen von Joe Galante, Chef von Sony Music Nashville, stieg Clark aus dem Sony-Vertrag aus und fuhr zurück nach Kanada, wo sie für die Dauer der Krebsbehandlung bei ihrer Mutter blieb. Die Erfahrung hat ihr geholfen, die Medaille umzudrehen und ihre andere Seite zu zeigen. Der ursprüngliche Eindruck verschwand dabei nicht völlig, jedoch genug für Clark, um sich auf "The Long Way Home" mit beispielloser Offenheit zu präsentieren.

Terri Clark; Foto: Margaret MalandruccoloDas Album, auf einem unabhängigen Label in Kanada veröffentlicht und in den USA von EMI vertrieben, hat viel Chuzpe, schlägt aber auch nachdenklichere Töne an - eine Haltung, die nur ein Künstler einnehmen kann, der sowohl aus den schwierigen Momenten als auch aus den Freuden des Lebens gelernt hat. "Wenn du einmal mit dem Schlimmsten konfrontiert wurdest, wird sich das auch in deinen Songs widerspiegeln", sagt Terri Clark. "Songs zu singen, zu spielen und zu schreiben war für mich immer ein emotionales Ventil und eine Flucht - und zwar eine gesunde. Es ist also unmöglich, dass sich diese Erfahrung im Songwriting nicht bemerkbar macht. Ich habe wirklich tief gegraben und geschrieben, was ich fühlte, statt zuviel darüber nachzudenken."

Die Früchte dieser Arbeit blühen durch das gesamte Album "The Long Way Home". Auf "A Million Ways to Run" kommt Terri Clarks pure Ehrlichkeit zum Ausdruck. Sie schrieb das Stück selbst, fügt jedoch nachdenklich hinzu: "Ich glaube, es kam von Gott." Die erste Single, "Gypsy Boots", geschrieben von Clark, Jon Randall und Leslie Satcher, kommt mutig und draufgängerisch daher, wobei der Song in zwei Versionen dargeboten wird: mit voller Bandbesetzung und als bodenständige, Swamp-Blues-artige Akustikversion. Auf "Merry Go Round" untermalt ein skurriler Walzer-Takt die nachdenkliche Botschaft des Songtextes: "The trick is to know when to let go".

"Ich schrieb das Stück zusammen mit Bobby Pinson und Tom Shapiro", erzählt Clark. "Wir nahmen eine Arbeitsversion auf, sie geriet aber in Vergessenheit. Etwa sechs Monate hielt Tom eine Demo-Session ab. Er suchte ein viertes Stück und stieß auf unsere Arbeitsaufnahme. Irgendetwas daran hat ihn berührt. Er nahm es in seiner Demo-Session auf und buchte Mallary Hope, um es zu singen, da ich auf Tournee war. Er spielte es verschiedenen Leuten vor - beim Zuhören kamen ihnen die Tränen. Also rief mich Tom an und sagte 'Ich glaube, wir waren uns gar nicht bewusst, was wir da hatten'."

"'Merry Go Round' ist sicher ein persönlicher Song", sagt Shapiro, der Terri Clark für vier weitere Albumtitel als Koautor unterstützte, wie bereits für ihre erste Hit-Single "Better Things to Do". "Es geht darum, wohin du mit deiner Karriere gehen willst: Hörst du auf oder machst du weiter? In all den Jahren war mein Geschmack sehr kommerziell geprägt. Auch Terri mag Songs mit kommerziellem Schema. Als ich älter wurde, wollte ich in meinen Songs auch bestimmte Dinge ausdrücken, also haben wir hier an der richtigen Stelle angesetzt."

Einer der persönlichsten Titel auf "The Long Way Home" ist "The One You Love", auf dem auch Vince Gill zu hören ist. Ihr Co-Autor Gary Burr erinnert sich, wie Clark sich mit der Song-Idee an ihn wendete: "Sie sagte 'Ich weiß, das Stück geht wahrscheinlich tiefer als du magst. Wahrscheinlich wird es deshalb auch niemals im Radio gespielt werden. Aber es wichtig für mich.'", erzählt Burr. "Ich weiß nicht, ob Kunst und Kommerz sich wirklich gegenseitig ausschließen, aber ich versicherte ihr, wenn es wichtig für sie wäre, wäre es auch wichtig für mich. So sind wir an den Song herangegangen - es war ihr anfangs fast peinlich, mich zu bitten, so tief einzutauchen."

Terri Clark; Foto: Margaret MalandruccoloEhrlichkeit traf auf professionelles Handwerk, und so entstand eine herzergreifende Ballade über geliebte Menschen, die sich allmählich aus dem Einflussbereich der Menschen, die ihnen so dringend helfen wollen, zurückziehen. "Wenn ich einen Song schreibe, der wirklich ans Herz geht, gehe ich nach der Philosophie vor, nicht zu deutlich zu werden. Ich will einen Song, in dem es um eine bestimmte Sache geht, möchte ihn aber so schreiben, dass es um alles gehen könnte", erklärt Burr. "Deshalb habe ich mich mehr für die Gefühle als für die Details interessiert. Wir sind so nahe an die Substanz gegangen, wie wir konnten. Wir haben lediglich darauf geachtet, dabei nichts heraufzuholen, das Terri später auf keinen Fall singen könnte."

Wie man es von Clark erwarten kann, kommt auch ihre andere Seite zum Vorschein: die Sensibilität, die "The Long Way Home" auszeichnet, wird durch ihre unerschütterliche geistige Unabhängigkeit ausgeglichen. Clark hat bereits früher co-produziert. Dieses Album ist jedoch ihre erste Arbeit als alleinige Produzentin. Sie veröffentlicht das Album in Kanada auf ihrem eigenen Label Baretrack Records und übernimmt somit größere geschäftliche Verantwortung, genießt dabei aber auch mehr künstlerische Freiheit. "Ich habe ein Album abgeliefert, das nicht durch die A&R-Mühle gegangen ist" erklärt sie stolz. "Ich habe wirklich genau die Musik gemacht, die ich machen wollte."

Auch als Songwriterin hat sie für sich ein wichtiges Kapitel aufgeschlagen. "Wenn man sich Songs von Bob McDill oder Mac McAnally anhört, merkt man, dass die Inhalte unbeschönigt sind", stellt die Country-Sängerin fest. "Lebenserfahrung spielt eine große Rolle. Vieles dreht sich um erwachsene Themen. Das Format verändert sich, das Publikum wird immer jünger. Aber viele Leute wollen etwas hören, das ein bisschen mehr Tiefgang hat, das mehr mit der Wirklichkeit zu tun hat. Für jede Musik gibt es ein Publikum, und wenn man bereit ist, es zu suchen, wird man es auch finden."

Anmelden
Various Artists - Modern Country Music (3er CD Box)
CD Besprechungen
Die Modern Country Music Compilation bietet alles, was moderne Country Musik bieten soll Country-Zusammenstellungen gibt es wie Heu im...
Vince Gill & Paul Franklin - Sweet Memories: The Music of Ray Price & The Cherokee Cowboys
CD Besprechungen
Vince Gill und Steel Gitarrist Paul Franklin verneigen sich mit "Sweet Memories: The Music of Ray Price & The Cherokee Cowboys" vor einem Country-Pionier:...
Dailey & Vincent - Let's Sing Some Country!
CD Besprechungen
Die Bluegrass-Stars Dailey & Vincent präsentieren mit "Let's Sing Some Country!" ihr erstes Country-Album Im Bluegrass ist die vielköpfige Band Dailey &...
Wade Bowen - Somewhere Between the Secret and the Truth
CD Besprechungen
Auf seinem Album "Somewhere Between the Secret and the Truth" beweist sich Wade Bowen als starke Stimme im Neo-Traditional Wade Bowen ist ein gutes Beispiel für...
The Del McCoury Band - ...Almost Proud
CD Besprechungen
Auf dem 2022er Album "…Almost Proud" von The Del McCoury Band ist Vince Gill mit dabei Fast wäre er stolz, dieser Del McCoury mit seiner famosen Band. Fast? Der...
Ronnie Milsap - A Better Word for Love
CD Besprechungen
Ronnie Milsap meldet sich mit einem neuen Album zurück: "A Better World For Love" Die 70er, 80er und 90er Jahre wären ohne die Songs von Ronnie Milsap um einiges...
Die Country-Gewinner für die 63. jährlichen Grammy Awards (2021)
Aktuelle Nachrichten
Die Grammy Gewinner im Country-Genre 2021. Abseits der Kritik, dass die Grammys intransparent sind und es üblichen Aufschreis der Personen, die nicht nominiert waren, wurden am 14. März 2021 im...
Eric Clapton's Crossroads Guitar Festival 2019
DVD Besprechungen
Eric Clapton's Crossroads Guitar Festival 2019 unter anderem mit Vince Gill, Albert Lee und Sheryl Crow. Nach sechsjähriger Pause lud Gitarren-Gott Eric...
Hot Country Knights - The K is Silent
CD Besprechungen
Mit seinem Side-Projekt Hot Country Knights verbreitet Dierks Bentley reichlich Frohsinn und Nostalgie. Es heißt, dass Lachen die beste Medizin sei. Gut zu wissen...
Sheryl Crow - Threads
CD Besprechungen
Ihr elftes Album "Threads" ist womöglich das letzte von Sheryl Crow. Wenn dem so ist, dann gelingt ihr ein CD-Abschied mit Pauken und Trompeten - und einer...