Die Geschichte der im Jahr 2008 in die Country Music Hall of Fame aufgenommenen Künstlerin reicht weiter zurück als diese musikalischen Andenken, noch weiter als diese ersten Aufnahmen, die sie mit dem verstorbenen Gram Parsons machte, dessen Einfluss auf die Country-Musik erst allmählich verstanden wird. Die 1947 geborene Harris folgte dem Weg, der ihr durch andere politische Künstler ihrer Generation eröffnet wurde, von einem bequemen Zuhause in North Carolina und Virginia in die Café-Szene von Greenwich Village, die durch Bob Dylan unsterblich gemacht und romantisiert wurde und die dank der Musik seiner Nachfolger immer noch sehr lebendig war, als sie Ende der 60er dort ankam.
Als Emmylou Harris 1968 ihr erstes Album "Gliding Bird" aufnahm, führte die Country-Musik in ihrer Vorstellungskraft nur ein Schattendasein. "Ich war eine Folksängerin", erklärte die Musikerin, die von der Country Music Association 1980 als beste Sängerin gekürt wurde. "Ich war stark von Joan Baez, Judy Collins, Ian and Sylvia, Buffy Sainte-Marie, Pete Seeger und natürlich Bob Dylan beeinflusst. Insbesondere wie er neben der Musik die Sprache und alles betrachtete. Ich habe den Folk-Blues geliebt: Mance Lipscomb, Bukka White. Ich hatte ein ziemlich abwechslungsreiches Repertoire. Aber auf die Country-Musik habe ich vollkommen verächtlich heruntergeschaut. Ich habe einfach nicht geglaubt, dass da mehr dran sein könnte. Ich schreibe das heute meiner jugendlichen Unwissenheit zu."Die Erleuchtung kam während eines kurzen Wohnsitzwechsels nach Nashville, Tennessee, und beschleunigte sich, als eine Reihe von zufälligen Begegnungen sie zu einem Treffen mit Parsons in Washington, D.C. führten. Es klickte sofort zwischen den beiden, und nachdem sie mit ihm gemeinsam nach Los Angeles, Kalifornien, gereist war, leistete Harris wichtige Beiträge zu seinen ersten beiden Alben, G.P. und Grievous Angel, die beide richtungsweisend für Fusionen von Country und Rock waren, die beide Stilrichtungen bis heute verändert und belebt haben.
"Gram war ein wunderbarer Country-Sänger", so Emmylou Harris, "aber er hatte ein richtig gutes Verständnis sowohl von Rock- als auch von Country-Musik und war in beidem richtig gut. Außerdem war er ein Dichter, der sein eigenes Material schrieb und bei Songs wie "Sin City´ apokalyptische Rocksongtexte mit Melodien nach Art der Louvin Brothers verband. Er erschloss mir unheimlich viel wunderschöne Country-Musik, während ich mit ihm arbeitete. Ich habe mich in den Gesang von George Jones und Merle Haggard verliebt, aber da war etwas an den Louvin Brothers, das mir ins Blut überging. Gram hat mich restlos überzeugt und ich wurde zu einer richtigen Schülerin bekehrt."Emmylou Harris erkannte schnell den Unterschied zwischen der Interpretation von Folktexten mit ihrer manchmal unausgefeilten Lyrik und von Worten eines großartigen Country-Songs. Kurz gesagt, es lief darauf hinaus, mit weniger mehr zu sagen. "Ich sage nur: "I Can't Help It If I'm Still in Love with You"", lachte sie.
""It's Not Love but It's Not Bad." Es ist sehr schwierig, gute Country-Texte zu schreiben - und sie zu singen erfordert eine gewisse Zurückhaltung, so dass man im Grunde den Song für sich selbst sprechen lässt."
Parsons Tod nach einer Überdosis Drogen sorgte dafür, dass Emmylou Harris ihren eigenen Weg bestimmte, der zu diesem Zeitpunkt direkt ins Herz der Country-Musik führte. Ihr Album "Pieces of the Sky" aus dem Jahr 1975 brachte einen Louvin Brothers-Song, "If I Could Only Win Your Love", in die Top 5 der Pop-Charts. Bis zum Ende des Jahres hatte sie Dolly Parton sowie Linda Ronstadt und Neil Young angeworben, um sie auf der Weihnachtssingle "Light of the Stable" zu begleiten.
In den folgenden Jahren gründete sie die Hot Band (zu deren Mitgliedern der feurige junge Ricky Skaggs gehörte), coverte eine Vielzahl von Country-Songs, darunter sogar eine Gesangsversion von Floyd Cramers romantischem Instrumentalstück "Last Date", und verdiente sich ihren Platz in der Country-Musik durch Alben wie "At the Ryman", "Blue Kentucky Girl", "Cowgirl's Prayer", "Elite Hotel", "Luxury Liner", "Pieces of the Sky", "Roses in the Snow", "Quarter Moon in a Ten Cent Town" und die maßgebende Daniel Lanois-Produktion "Wrecking Ball".
Ob es sich nun um Country handelt oder darüber hinausgeht, von ihren frühesten Sessions bis hin zu ihrem kommenden Album bei Nonesuch Records - bei all ihren Werken geht Harris von der Annahme aus, dass das Traditionelle und das Risikofreudige, was scheinbar im Widerspruch zueinander steht, sich gegenseitig ergänzt beziehungsweise sogar untrennbar zueinander gehört. "Ich habe die Reinheit von Grand Ole Opry begrüßt, weil Gram George Jones und Charley Pride liebte", erklärte sie. "Er brachte mir den Duettgesang von George und Melba [Montgomery] und George und Tammy [Wynette] nahe, nicht mit der Einstellung "Das müssen wir anders machen", sondern nach dem Motto "Lass uns lernen, dies auf die gleiche Art zu machen wie sie. Und wenn wir dann aus den Regeln ausbrechen wollen, schauen wir mal.""
Dieser rote Faden spinnt sich auf "Songbird" von zwei Duetten mit Parsons zu Solo- und Gemeinschaftsprojekten jüngeren Datums, einschließlich einer Interpretation von "Wildwood Flower" mit Iris DeMent, deren trällernde Harmonien sowohl den Titel als auch den Geist dieser Sammlung wiederzuspiegeln scheinen.
Auf verschiedene Arten ist jeder Titel eine Überraschung. Sei es nun, weil es zu lange her ist, seit wir ihn zuletzt gehört haben, oder weil wir bislang noch nicht das Vergnügen hatten, weil es sich um bisher unveröffentlichte Aufnahmen handelt, zu denen Duette mit Guy Clark bei "Immigrant Eyes" und Patty Griffin bei "Beyond the Blue" gehören.
Vieles davon ist dem Plan zu verdanken, den sie und James Austin, Vizepräsident für A&R bei Rhino Records, schmiedeten, als sie vor vier Jahren an der Arbeit für "Songbird" begannen, der vier CDs, eine DVD und ein Booklet voller Fotos und Texte umfasst.Die Zusammenarbeiten mit unter anderem Beck, Elvis Costello, Sheryl Crow, Rodney Crowell, Steve Earle, Vince Gill, Mark Knopfler und den Pretenders sind in dieser Sammlung ebenfalls gut vertreten.
"Ich habe eine Idee aufgebracht", so Austin, "die in der Frage bestand: Wenn Emmy ihre Auswahl treffen würde, was hätte sie gerne darin enthalten? Was wäre ihr Traum-Boxset? Wir hatten diese Idee, zwei CDs zu machen, die - in Ermangelung einer besseren Formulierung - "Stiefkinder" ihrer Zeit bei Warner Bros. und Reprise enthielten, die vielleicht nicht viel Aufmerksamkeit erhielten, obwohl es sich um Songs handelte, die sie liebte. Sie sagte dann: "Lass uns für die dritte und vierte CD Songs nehmen, die ich auf Tribute-Alben oder in Duetten oder als Gastmusikerin bei anderen Labels gemacht habe. Vielleicht gibt es ein paar unveröffentlichte Songs." Sie hat die Führung bei der Auswahl der Musik übernommen, und ich habe einen Blick in die Schatzkammer geworfen und versucht, das zu finden, was sie wollte."
Das Ergebnis bietet Einsichten dazu, was Harris als Sängerin und kreative Kraft erreicht hat, aber auch dazu, wie ihre Muse sie weg vom Mainstream und hin zum Country geführt hat. Sie lebt zwar in Nashville, dennoch unterscheidet sich die Welt, die sie mit Songbird heraufbeschwört, mindestens ebenso sehr von der Musik, wie sie heute aus der Country-Hochburg hervorgeht, wie sie ihr ähnelt.
"Die Musik wird sich immer wandeln", so Harris. "Es wird immer den Kommerz geben, was meines Erachtens kein schlechtes Wort ist. Alison Krauss, beispielsweise, ist eine erstaunliche Musikerin, die andere großartige Musiker versammelt hat, um die Tradition am Leben zu halten. Aber zugleich ist sie zeitgemäß und kommerziell, weil sie nicht einfach versucht, die Vergangenheit zu wiederholen. Sie weiß, dass das ein Fehler wäre. So muss sich jede Generation selbst neu erfinden, in lyrischer, musikalischer und jeder anderen Hinsicht. Man wird einige Ergebnisse erhalten, die man schnell wieder vergisst, aber man wird auch einiges an fantastischem Material erhalten. Ich glaube, dass die gute Musik immer überdauern wird."