Dabei gilt Brett Eldredge als so etwas wie der Country-Überflieger der 2010er Jahre: seine insgesamt vier Alben erreichten abwechselnd Platz eins und zwei der US-Country Charts. Besser geht's kaum. Vor diesem Hintergrund erscheint ein radikaler Schnitt schon sehr mutig - und nichts weniger als einen radikalen Einschnitt in seinem musikalischen Portfolio stellt sein fünftes Album "Sunday Drive" dar.
Brett Eldredge cruist mit "Sunday Drive" in ein neues musikalisches Kapitel
Was man so hört, ging der neuen musikalischen Ausrichtung eine Zäsur voraus: Eldredge, der Facebook- und Instagram-Liebling, tauschte sein Smartphone gegen ein gutes, altes Klapp-Handy ein und stellte seine Social-Media-Aktivitäten weitgehend ein. Die Abnabelung vom digitalen Puls habe ihm, so sagte er in einem Interview, extrem gutgetan: "Ich war früher ständig am Posten. Jetzt fühle ich mich befreit und ich merke, wie sich das positiv auf meine Kreativität auswirkt." Womit wir bei der Musik wären…
Keine halben Sachen. Deshalb verließ Eldredge für die Aufnahmen von "Sunday Drive" das heimische und vertraute Nashville, um in Chicago neue Impulse zu bekommen. Alle Country-Roots wollte er aber wohl doch nicht kappen, deshalb verpflichtete er Daniel Tashian und Ian Fitchuk als Produzenten. Die beiden Soundtüftler und Songschreiber sind Country-Experten spätestens seit ihrer Arbeit für das letzte Kacey Musgraves-Album "Golden Hour" bestens bekannt - und: sie bürgen für Qualität.
Mit "Sunday Drive" nimmt uns Brett Eldredge mit auf eine entspannte, harmonische, nicht selten nostalgisch anmutende Reise. Schon der Titelsong verströmt dieses Gefühl. Im Gegensatz zu der - nicht minder begeisternden - Originalversion von Don Mescall (auf seinem Album "Lighthouse Keeper" veröffentlicht) übernimmt hier nicht eine Akustik-Gitarre den tragenden instrumentalen Part, sondern getragene, sorgfältig gesetzte Piano-Akkorde. Resultat: weniger Country. Dafür mehr Piano-Man-Sound, à la Elton John oder Billy Joel. Letzterer genießt in der Country-Gemeinde ohnehin hohes Ansehen, dafür sorgte in den 1990er-Jahren kein Geringerer als Garth Brooks mit seiner Interpretation des Joel-Songs "Shameless".
"Sunday Drive" mag der ideale Soundtrack für Cruisen mit dem Cabrio sein. Doch der Track ist noch mehr: Nach dem Corona-Wahnsinn mit Lockdown und Quarantäne bringt die Don Mescall-Komposition das schmerzlich vermisste Lebensgefühl von Freiheit, Unbeschwertheit und Bewegung voll und dazu betörend schön auf den Punkt.
"Sunday Drive" bietet Klavier-Pop mit Country-Touch
Dass sein neues Album von den singenden Pianisten der Pop-Geschichte inspiriert ist, zeigt sich auch in weiteren Tracks. Zum Beispiel in "Gabrielle". In der Ballade um eine unglückliche Liebe erinnert der, wie immer , großartig singende Eldredge an den mittlerweile in Vergessenheit geratenen Joshua Kadison ("Jessie"). Andere werden vielleicht Ähnlichkeiten mit Marc Cohn ("Walking in Memphis") ausmachen, wieder andere eine Nähe zu Bruce Hornsby. Kurz: Es lassen die großen Storyteller am Klavier grüßen. Das ist vielleicht nicht gerade der bevorzugte Stoff von Country-Fans - doch es sind Songs von hoher Qualität und Wärme.
Das gilt auch für "Good Day". Ein Song, gestrickt nach alter Schule, und durchaus mit Country-Elementen gewürzt. Wer sich Elton John bei einer Session in Nashville vorstellen kann, bekommt von dem Titel eine Ahnung. Dazu kommt dieses wunderbar positive Lebensgefühl, das in dem Song aus jeder Note, aus jeder Textzeile quillt. Ein Track, den man immer und immer wieder hören kann.
Wie hervorragend die etwas rauere Stimme von Country-Boy Brett Eldridge zu weichen Klavier-Akkorden passt, beweist auch das soulige, im Sechs-Achtel-Takt angelegte "Crowd My Mind". Neben dem Klavier sorgen im Hintergrund eine gemütlich wummernde Orgel und eine Slide-Gitarre für zusätzliche Akzente im Arrangement.
Dass Eldredge immer noch weiß, worauf es bei einem Country- und Folk-Song ankommt, belegt er bei "Where The Heart Is". Hier gibt eine Akustik-Gitarre die Tonlage vor. Ein zunächst sparsames Arrangement, zu dem sich ein Geigensatz gesellt, später kommen ein Chor und ein druckvoller Groove dazu. Ein Song gewordener Entwicklungsroman, bei dem es – erneut – um die wichtigen Dinge des Lebens geht. Und: Ein weiteres Highlight eines extrem starken Albums.
Fazit: Mehr Klavier, weniger Gitarre. Mehr anspruchsvoller Pop, weniger Country. Aber auch: unglaublich viel positive Energie - mit "Sunday Drive" fährt Brett Eldridge einen neuen Kurs, der ihn direkt in die Herzen seiner Fans führen sollte.
Label: Atlantic Nashville (Warner) | VÖ: 10. Juli 2020 |
01 | Where the Heart Is |
02 | The One You Need |
03 | Magnolia |
04 | Crowd My Mind |
05 | Good Day |
06 | Fall For Me |
07 | Sunday Drive |
08 | When I Die |
09 | Gabrielle |
10 | Fix A Heart |
11 | Then You Do |
12 | Paris, Illinois |