"I'm ridin' high/on the top of the world" heißt es gleich im ersten Song "Hitch Hikin'". Oder auch: "I'm hitch-hikin'/all day long". Und bereits im nachfolgenden Stück "The Wayfarer" geht es wieder ums Reisen als ewige Aufgabe des Umtriebigen, Rastlosen: "I'm a wayfarer, baby", warnt der Herumstreuner die Süße im Heimathafen - mit ihm als Konstante ist nicht zwingend zu rechnen.
Bruce Springsteen, der Großmeister des klassischen US-Sänger und Songschreibertums, hat mit "Western Stars" eine wundervoll-zeitlose Hommage an das Amerika von einst kreiert, dessen Einwohner gerne mal Hummeln in der Hose haben. Die gerne mal unterwegs sind, quer durch ihre Nation, mit vager Sehnsucht nach Erlösung im Herzen und stetig nach Hause zurückkehren, mit geschärftem Blick, weil Heimat nun mal ein eherner Wert an sich ist, durch nichts zu ersetzen. Aber es geht in der Regel um eine Heimat, die offen ist für jeden Menschen, sofern derjenige gleichermaßen ein offenes Herz in sich trägt.
Ohne dass Springsteen den Namen des aktuellen Präsidenten seines Landes auch nur einmal in den Mund nehmen würde, ist jener Mann mit der eigenwilligen Frisur namens Donald Trump stetig präsent in den 13 Kompositionen von "Western Stars". Dieser Scharfmacher und Spaltpilz, der "America first" und "Make America great again" predigt, aber Gift spritzt in eine Nation, die seit jeher für Offenheit und Neugier anstatt für Abschottung oder Überheblichkeit stand.
Der Boss hält einen inhaltlichen Gegenentwurf bereit und packt diesen musikalisch in ein sämiges orchestrales Gewand, das bei aller Opulenz niemals in schwülstiger Üppigkeit versinkt. Dafür sorgt schon die stetig gezückte akustische Sechssaitige, die angenehme Lagerfeuer-Romantik verbreitet. Dazu die vollreife wunderbare Stimme, irgendwo zwischen Woody Guthrie und Tom Waits. Eingebettet in den wuchtigen Streicher-Klang, der schon mal an die Spaghetti Western-Soundtracks eines Ennio Morricone gemahnt. Emotional äußerst berührend. Aber definitiv in keiner der knapp 60 Minuten Spielzeit kitschig.
Großmeister Bruce Springsteen legt mit "Western Stars" ein unmissverständliches Bekenntnis zu seiner Heimat ab, zu seinen kulturellen Wurzeln. Nicht umsonst finden sich im Booklet Fotos des bald 70jährigen mit Cowboyhut, vor einem Dodge-SUV oder der Schnappschuss von einem umgesattelten Pferd. Allesamt Inbegriffe für den US-Traum von Freiheit und Unabhängigkeit.
Wenn man sich die Platte bei geschlossenen Augen anhört, sieht man eine Prärie vor sich, menschenleere Landschaften von endloser Weite, man hört sie heulen, die Kojoten, schaurig-schön. Es ist eine archaische und kaum wiederherstellbare Atmosphäre, die der Cowboy aus New Jersey hier am geistigen Auge des Hörers vorbeiziehen lässt.
"Western Skies" ist heute schon ein Klassiker
"Western Skies" ist das 19. Studio-Album des ewigen Kämpfers für Humanität und Tradition gleichermaßen. Inhaltlich besinnt die Scheibe sich zurück auf uramerikanische Werte wie Stolz, ökonomische Aufstiegsmöglichkeiten von ganz unten nach ganz oben (und umgekehrt…), Freiheit, Mobilität, Weltoffenheit. Die Platte ist schon heute ein Klassiker, weil ihre Inhalte zeitlos gehalten sind. Kraftvolle Energie und zärtliche Wehmut reichen sich unverbrüchlich die Hand. Das Ganze ist eine Produktion ohne Hänger, kein Lied nimmt dem anderen etwas weg, jeder Song steht für sich, alle Lieder zusammen ergeben ein monolithisches Gesamtkunstwerk.
Bruce Springsteen möchte zu "Western Skies" keine Interviews geben, damit das Album für sich selbst spricht. Zwei findige Journalisten, zum einen von der italienischen Tageszeitung La Reppublica, zum anderen vom amerikanischen Magazin Variety, haben es dennoch geschafft, ein paar druckfähige Zeilen abzutrotzen: So ließ Springsteen verlauten, dass diese Platte bereits vor zwei Jahren nahezu fertig war, er das Gerüst dafür noch um einiges länger mit sich herum getragen hat. In naher Zukunft ist eine neue Platte mit der E Street Band vorgesehen, "ich habe schon jede Menge Material dafür zusammen", verriet der Boss. Laut Springsteen wird es auch eine Tour mit seiner langjährigen Formation geben, wie er Kult-Regisseur - und Freund - Martin Scorsese vor kurzem bei einem "Netflix"-Event in Los Angeles zusteckte.
Aktuell allerdings ist Bruce Springsteen vollkommen in den "Western Skies"-Kosmos eingetaucht. Die Lieder sind laut der Konversation mit Martin Scorsese "nur so aus mir heraus gesprudelt. Wenn ich solche Kreativphasen habe, muss ich die uneingeschränkt nutzen", meine er zur Regisseur-Ikone. "Allzu oft kommen die nämlich nicht bei mir vor."
Da liegen sie nun vor, diese Kleinode, die von Unterwegssein und Ankommen handeln, von Weggehen, Suchen, Fliehen. Vor allem aber vom Entdecken der eigenen Persönlichkeit, um letztlich mit genau dieser zurecht zu kommen. "Western Stars" hilft eminent bei diesem Prozess.
Fazit: "Western Stars" von Bruce Springsteen ist ein weiteres Meisterwerk, das in keiner Sammlung fehlen sollte.
Label: Columbia (Sony) | VÖ: 14. Juni 2019 |
01 | Hitch Hikin' |
02 | The Wayfarer |
03 | Tucson Train |
04 | Western Stars |
05 | Sleepy Joe's Cafe |
06 | Drive Fast (The Stuntman) |
07 | Chasin' Wild Horses |
08 | Sundown |
09 | Somewhere North of Nashville |
10 | Stones |
11 | There Goes My Miracle |
12 | Hello Sunshine |
13 | Moonlight Motel |