"Das war kein schwieriger Schritt", gibt Jon Bon Jovi zu. "Aber wir mussten natürlich aufpassen, dass sich die echten Country-Musiker nicht angegriffen fühlen würden. Wir haben einfach gemerkt, dass unser Projekt ein von Nashville beeinflusstes Bon Jovi-Album werden würde."
Dieser Einfluss ist auf dem gesamten Album "Lost Highway" spürbar. Die Hälfte des Albums wurde von Grammy-Gewinner John Shanks produziert, der sich mit seinem eigenen kreativen Stilmix in musikalischen Sessions mit Künstlern von Celine Dion, Melissa Etheridge und Alanis Morissette bis hin zu SHeDAISY und The Wreckers einen Namen gemacht hat. Die andere Hälfte ist das Werk von Dann Huff aus Nashville, der mit dem Vierfachplatin-Album "Me and My Gang" von Rascal Flatts und dem sechsfach mit Platin ausgezeichneten Album "Some Hearts" von Carrie Underwood aufwarten kann.
An dem Material für das Album arbeiteten die Hitgiganten Brett James, Hillary Lindsey und Gordie Sampson aus der Music Row in Nashville zusammen mit Bon Jovi und Hillary Lindsey lieh sogar einem Lied auf dem Album, "Seat Next to You", ihre Stimme. Weitere Gastmusiker auf dem Album sind LeAnn Rimes, die das temperamentvolle Duett "Till We Ain't Strangers Anymore" singt, das auch auf ihrem nächsten Album "Family" erscheinen wird, und Big & Rich, die auf "We Got It Going On" zu hören sind.
Dieser Song, den ESPN übrigens als Erkennungsmelodie für die Ausstrahlungen der Arena Football League verwendet, entstand im Haus von Luke Lewis, Präsident der Universal Music Group Nashville. "Kenny [Big Kenny Alphin von Big & Rich] und ich ließen unseren Gedanken freien Lauf, spielten mit einem Refrain und standen einfach nur mit einem Drink in der Hand im Garten von Luke Lewis", erinnert sich Jon Bon Jovi.
Am nächsten Morgen trafen sie sich wieder und beendeten den Song. "Er rief John Rich an. Ich rief Richie Sambora [Gitarrist bei Bon Jovi] an und wir setzten uns zu viert in einem Zimmer zusammen und schon war das Lied perfekt", sagt Jon Bon Jovi. "So einfach war das und es hat auch noch mächtig viel Spaß gemacht. Wenn man vier fähige Komponisten zusammen in einem Raum hat, ist das eigentlich auch keine Arbeit.""Die Jungs sind echte Profis", fügt Dann Huff hinzu. "Sie erscheinen zur Arbeit und dann arbeiten sie auch. Jon ist wie ein strenger Projektleiter und Richie lässt alles auf sich zukommen. Er sprudelt vor Spontaneität. Die beiden ergänzen sich einfach wunderbar und die anderen Jungs" - Keyboarder David Bryan und Schlagzeuger Tico Torres - "sind genauso professionell."
"Es war mir wirklich eine Ehre, Jon und Richie kennen lernen zu dürfen, zwei der tollsten, bodenständigsten und unkompliziertesten Typen, die ich seit langem getroffen habe", meint Big Kenny dazu. "Es ist unglaublich, wie verschiedene Musikstile immer wieder ihren Weg zurück finden. Jetzt sieht es so aus, als ob unsere Form der Musik genau das ist, was den frischen, neuen Country-Sound in der heutigen Musikszene ausmacht. Es ist einfach populäre Musik in Bestform."
Dann Huff stimmt dem zu. "Es ist sehr mutig, etwas vollkommen anderes auszuprobieren", so der Produzent. "Man erfindet sich an einem Punkt neu, an dem es eigentlich nicht mehr notwendig ist. Dazu braucht man eine Menge Mut und Anstand. Aber man kann Menschen einfach nicht vorschreiben, wie sie Geschichten über ihr Leben und ihre Liebe erzählen und schreiben möchten. Ich kann nicht sagen, dass "Make a Memory" [die erste Single aus dem Album "Lost Highway"] ein Country-Song ist. Ich kann aber auch nicht sagen, dass es ein Popsong ist. Aber ich glaube, dass es ein emotionales Lied ist, in das sich die Menschen hineinversetzen können. Es geht einfach nur um Musik, die Menschen berührt. Deshalb hoffe ich, dass die Grenzen zwischen den Genres verschwimmen."
Die Fans und Programmdirektoren scheinen diese Meinung zu teilen. Als "Who Says You Can't Go Home" die Nummer 1 in den Hot Country Songs Billboard-Charts erreichte, war Bon Jovi die erste Band aus der Rock/Pop-Szene, die in diesen Charts einen Nummer-1-Hit landete, seit Tom Jones 1977 "Say You'll Stay Until Tomorrow" veröffentlicht hatte. Durch diese Akzeptanz fühlte sich die Band darin bestätigt, es noch einmal mit der Country-Musik zu versuchen.
"Eine großartige Geschichte mit einem großartigen Bon Jovi-Refrain, das haben wir schon immer gemacht", macht der Sänger deutlich. "Viele dieser neuen Country-Künstler haben sich wahrscheinlich von diesem Teil unseres Sounds inspirieren lassen, also war es kein großer Schritt."
Jon Bon Jovi war schon lange ein Fan von Nashville, von der musikalische Lebenseinstellung wie auch von der Stadt selbst. Mit Country-Musik kam er sicher schon in seiner Kindheit in Perth Amboy, New Jersey, in Berührung, als seine Eltern zu Hause die Alben von Gene Autry und Patsy Cline spielten. Bei seinem ersten Besuch in der Music City 1991, bei dem er seinen Freund Billy Falcon besuchte, konnte er sich unter die Liedermacher mischen, die immer bei Third Coast herumhingen, einem gemütlichen Treffpunkt in der Nähe der Music Row, und sich da wie zu Hause fühlen.
"Ich erinnere mich noch, wie ich am Anfang immer für eine Woche rüber kam und mir sagte: Oh mein Gott, hier eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten", erzählt er. "Ich bin nicht der Erste, der in diese Stadt kommt, hier herumhängt und einfach nur die Atmosphäre in sich aufnimmt. Darum heißt die Stadt auch "Music City". Ohne Übertreibung kann ich sagen, dass 99 Prozent der Menschen hier so warmherzig und freundlich sind, und das meine ich ehrlich. Es gibt hier einen wirklichen Zusammenhalt, den ich nicht in dieser Intensität spüre, wenn ich Los Angeles oder ähnliche Städte besuche."
Die Gemeinschaft in Nashville schätzt den legendären Rocker gleichermaßen. Hillary Lindsey gab zu, nervös gewesen zu sein, als sie sich zum ersten Mal zum Schreiben mit ihm traf, aber er konnte ihr recht schnell die Nervosität nehmen. "Er war so nett und so bodenständig", erzählt sie. "Er ist einer der nettesten Typen, die ich kenne und dazu offensichtlich noch sehr talentiert. Er weiß, was er will und er weiß auch, worüber er singen möchte. Und er ist einfach ein fantastischer Sänger."Hillary Lindsey ist sich sicher, dass Jon Bon Jovi in der Country-Szene Erfolg haben wird. "Er macht ehrliche Musik, und darum geht es doch bei der Country-Musik", sagt sie. "Natürlich rockt er zwischendurch auch einmal, aber die Country-Musik braucht das. Deshalb finde ich es gut, was er macht."
Dann Huff konnte schon immer Elemente der Country-Musik in den Werken von Bon Jovi hören. ""Blaze of Glory" aus dem Soundtrack zu "Young Guns" und "Wanted Dead or Alive", die erinnerten mich schon stark an Hank Williams Jr.", sagt er.
Als er sich mehr zur Country-Musik hin bewegte, erhielt Jon Bon Jovi uneingeschränkte Unterstützung von seinem langjährigen Plattenlabel.
"Ich ging zur Plattenfirma in New York [Geschäftsführung von Mercury Records] und sagte: Ich möchte nach Nashville gehen. Ich möchte dort ein Album aufnehmen. Ich weiß noch nicht, wie das Album werden wird, aber ich gehe nach Nashville und ziehe das durch", erzählt Jon Bon Jovi. "Und Gott sei Dank! Mein Plattenlabel, bei dem ich seit 1983 unter Vertrag stehe, hat meine Entscheidung nie in Frage gestellt. Was auch immer ich in all den Jahren tun wollte, sie haben immer gesagt: OK, geht klar."Jon Bon Jovi ist sich nicht sicher, wie seine Bemühungen um die Country-Musik ankommen werden, aber er hofft, dass seine Musik wenigstens in dem Geiste aufgenommen wird, den sie vermitteln will.
"Es gibt Leute, die sagen: Das erste Mal war ganz nett - aber jetzt solltest du wieder verschwinden", sagt er über seinen ersten Erfolg in der Country-Szene mit "Who Says You Can't Go Home". "Und dann gibt es die Menschen, die erkennen, dass viele Künstler von unserer Musik beeinflusst wurden und Fans, die schon 25 Jahre lang unsere Alben kaufen. Ich war schon so oft in Nashville. Viele meiner Songs wurden von echten Country-Musikern gecovert, das hat schon Chris LeDoux getan [mit dem Bon Jovi das Gastduett "Bang a Drum" auf dem Album "One Road Man" aus dem Jahr 1998 sang]. Es ist also nicht so, als ob ich einfach mal reingeschneit wäre."