Charley Crockett hat das Country-GEN in den Adern
Doch für prominente Verwandtschaft im Stammbuch kann sich auch Charley Crockett nichts kaufen. Er wuchs in armen Verhältnissen in San Benito, Texas, aus. Und je älter er wurde, desto schlimmer wurde es für ihn. Schon als junger Erwachsener musst er erleben, was es heißt, durchs soziale Netz zu fallen: er war obdachlos, versuchte es in New Orleans, später in New York, wo er in Bushaltestellen nächtigte. Er nahm Drogen (seine Schwester starb an der Sucht) und er kam - das ist unausweichlich - mit dem Gesetz in Konflikt. Das volle Programm.
Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, wurde bei Charley Crockett im letzten Jahr das Wolff-Parkinson-White-Syndrom diagnostiziert - eine seltene Herzkrankheit, die ihn um Haaresbreite das Leben gekostet hätte. Bis hierher könnte man es mit dem legendären Fußballerspruch halten: Erst hatte er kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu. Bis hierher, wohlgemerkt. Denn so wie es aussieht, scheint Charley Crockett gerade deutlich bessere Karten zu haben. Das zeigt sich auch in seiner Produktivität: "Welcome to Hard Times" ist bereits seine zweite Albumveröffentlichung in diesem Jahr und dazu sein vermutlich stärkstes Werk überhaupt. Auch, weil er mit Produzent Mark Neill (The Black Keys) und prominenten Co-Autoren, wie Pat McLaughlin und Dan Auerbach, auf hervorragende Rahmenbedingungen zählen konnte.
Musikalisch ist der Mann mit der Filmbösewicht-Optik eine Wundertüte. Das gilt zumindest für die sieben Vorgänger-CDs von "Welcome to Hard Times", auf denen er auch Songs aus dem R&B- und psychedelischen Folk-Fach kompetent servierte. Nach überstandener Krankheit scheint Crockett heute genauer zu wissen, wofür er musikalisch steht: für traditionellen, ungeschliffenen, nicht selten düsteren Country, Western, Honky Tonk und Americana.
Schon mit dem Opener, dem Titeltrack, legt Crockett die Spur. Sie führt den geneigten Hörer in eine Country-Spelunke irgendwo im Westen der USA: Ein Saloon-Klavier klimpert und malt Bilder von klassischen Wild-West-Filmen und Crockett begrüßt seine Hörer mit dem so weisen wie wahrhaftigen Satz "Live is a Casino" . schon rollt die Kugel.
Auf "Welcome to Hard Times" erinnert Crockett an Kris Kristofferson
Seine Stimme klingt nach alten Country-Helden. Sie hat zwar nicht die bedrohliche Wucht von Johnny Cash und schon gar nicht den sentimentalen Schmelz von Willie Nelson. Mit ihrem leicht brüchigen Timbre erinnert sie am ehesten an Kris Kristofferson - und ähnlich wie die Songschreiber-Legende, erweist sich auch Crockett als genialer Geschichtenerzähler.
Aber auch als echter Schelm. Das belegt er gleich mal in der kurzen aber dafür umso rasanteren Wildwest-Oper "Run Horse Run" - ein augenzwinkernder Ohrenschmaus! Schnelle Songs bilden bei den 15-Tracks von "Welcome to Hard Times" allerdings die Ausnahme. Nur in dem großartigen Country-Blues "Rainin' in my Heart", dem auf nur zwei Akkorden basierenden "Paint It Blue" und in dem wuchtigen Honky Tonk "Oh Jeremiah" zieht er die Zügel an. Ansonsten lässt es Charley Crockett eher langsam angehen - mit herzergreifenden Balladen ("Don't Cry", "Wreck Me", "When Will My Troubles End"), lässigen, an Lee Hazlewood erinnernden Roots-Songs ("Heads You Win", "Fool Somebody Else") und herrlichen Country-Walzern ("Lily My Dear").
Dass Charley Crockett stimmliche Defizite nicht kaschiert, sondern sie clever als Stilmittel einsetzt, macht ihn nur noch sympathischer und glaubwürdiger. Er ist: ein echter Cowboy. Und Cowboys tragen kein Make-Up. Auch nicht im Studio.
Fazit: Auf "Welcome to Hard Times" serviert Charley Crockett 15 authentische Country- und Western-Songs, stilecht arrangiert und interpretiert. Das vermutlich stärkste Album des texanischen Schmerzensmannes.
Label: Son of Davy / Thirty Tigers (Membran) | VÖ: 31. Juli 2020 |
01 | Fool Somebody Else |
02 | Tennessee Special |
03 | Run Horse Run |
04 | Rainin' in my Heart |
05 | Paint It Blue |
06 | Heads You Win |
07 | Don't Cry |
08 | The Man That Time Forgot |
09 | Blackjack County Chain |
10 | The Poplar Tree |
11 | Lilly My Dear |
12 | Welcome to Hard Times |
13 | Wreck Me |