"Blood" ist für Allison Moorer natürlich auch ein harter Titel, der untrennbar mit ihrer Biografie verknüpft ist. Schließlich musste die 1972 in Alabama geborene Musikerin ein brutales Trauma verkraften: ihr Vater erschoss 1986 - vor den Augen seiner beiden Töchter Allison und Shelby - zunächst seine Frau, dann sich selbst. Wie kann man so eine schreckliche Tat verarbeiten? Wie kommt man jemals darüber hinweg? Vermutlich nie. Doch wenn es einen Weg gibt, das grauenvoll Erlebte so aufzuarbeiten, um weiterleben zu können, dann wohl durch Songs und Musik.
Allison Moorer - der ewige Geheimtipp?
Allison Moorers Karriere ging vor rund 20 Jahren eigentlich raketenmäßig los: Ihr Song "A Soft Place to Fall" landete 1998 auf dem "Der Pferdeflüsterer"-Soundtrack und fuhr gleich mal eine Oscar-Nominierung ein. Leider ging es von da an nicht weiter die Karriereleiter hoch, sondern eher Stufe für Stufe, CD für CD weiter nach unten. Obwohl die hochtalentierte Songwriterin mit der sanftkehligen Stimme für jedes neue Album meist mit Jubelkritiken überhäuft wird, ist sie ein Insider-Tipp geblieben. "Das ist natürlich nicht schön für mich", sagt Moorer, "seit 20 Jahren geht das schon so und ich weiß nicht, woran das liegt."
Für "Blood", das Nachfolgealbum von "Not Dark Yet", das sie 2017 gemeinsam mit ihrer Schwester Shelby Lynne aufgenommen hat, haben sich ihre persönlichen Eckdaten erneut von Grund auf verändert: seit Mai 2019 ist sie mit Americana-Star Hayes Carll verheiratet. Dazu kommt ein hübsches Diplom: "Master of Fine Arts in Writing", erworben 2017 an New York Citys "New School".
Doch auch schon vor ihrer staatlich anerkannten Bescheinigung war klar, dass Allison Moorer eine großartige Textdichterin ist. Elf Solo-Alben belegen dies unmissverständlich. Keine ihrer, mal im traditionellen Country, mal im Rock- und Pop-orientierten Crossover angelegten CDs trägt aber wohl autobiografischere Züge als "Blood". Gleich mehrere Songs nehmen darüber hinaus Bezug zu ihren Eltern, zu ihrer tragischen Beziehung. Heute, 33 Jahre nach der Bluttat, ist sie - endlich - in der Lage, Dinge zu relativieren, nicht eindimensional zu bewerten. Ihr Vater sei nicht nur der Mörder und Selbstmörder gewesen, hat sie erkannt, sondern auch ein Mensch mit vielen Qualitäten. Zum Beispiel sei er ein talentierter Musiker und Songschreiber gewesen.
Nie klang Verzeihen schöner als auf "Blood"
Daran erinnert Allison Moorer in dem Song "I'm The One to Blame", der vielleicht bewegendste Track der zehn Titel starken Sammlung. Bildet die Basis für das Lied doch ein unfertiges Textmanuskript ihres Vaters, das Moorer in seiner Brieftasche gefunden hat. Viele Jahre später hat sie nun für diese, teils bestürzenden Zeilen die perfekt passenden Folk-Harmonien gefunden. Resultat ist ein Song, der kein großes Arrangement braucht: eine gezupfte Akustikgitarre und ihre unverstellte, leicht angeraute, hörbar emotionalisierte Stimme. Das reicht. Selten hat Verzeihen und Vergessen schöner und ehrlicher geklungen, als in diesem Song gewordenen Vermächtnis.
"The Rock And The Hill" ist dagegen ihrer Mutter gewidmet: Ein strammer, begeisternder Swamp-Blues-Rocker und - neben "All I Wanted (Thanks Anyway)" - der härteste und dynamischste Song der CD. Ganz gerne würde man in dem Songreigen noch weitere Country- und Folk-Rocker ausmachen. Doch Allison Moorer geht es bei "Blood" eindeutig mehr um die Lyrics, um die Inhalte, um das Aufarbeiten - und Songtexte entfalten im Akustik-Outfit eben einfach eine größere Wirkung.
Von Monotonie oder gar Langeweile ist "Blood" aber dennoch so weit entfernt, wie ein Abstinenzler von einer Whiskey-Destillerie. Titel wie das sehr traditionelle, mit einer weinenden Fiddle ausgestattete "Cold, Cold Earth", das wunderschöne, mit Trompetenklängen verzierte "Nightlight" oder die mit gefälligen Pop-Melodien versehenen Sehnsuchts-Songs "Set My Soul Free" und "The Tie That Bind" gehören zum Besten und Schönsten im Folk, Country-Folk oder - wenn man will - im Americana der jüngeren Vergangenheit. Für den optimistischen Schlussakkord sorgt das gemeinsam mit Mary Gauthier - ebenfalls eine so geschundene wie wundervolle Seele - komponierte "Heal". Schöner und zuversichtlicher hätte das Album nicht ausklingen können.
Fazit: Vergangenheitsbewältigung und Aufarbeitung eines Traumas - "Blood" von Allison Moorer betört mit geradezu schmerzhafter Aufrichtigkeit. Ruhiger Poesie-Folk vom Feinsten.
Label: Autotelic (Membran) | VÖ: 25. Oktober 2019 |
01 | Bad Weather |
02 | Cold Cold Earth |
03 | Nightlight |
04 | The Rock and the Hill |
05 | I'm the One to Blame |
06 | Set My Soul Free |
07 | The Ties that Bind |
08 | All I Wanted (Thanks Anyway) |
09 | Blood |
10 | Heal |