Das Tüpfelchen auf dem "i" setzt bei dem von Trucks, Tedeschi und Background-Sänger Mike Mattison geschriebenen Titel ein - und das ist für die Band neu - Funken sprühender, an die guten, alten Chicago erinnernder Bläsersatz. Je länger der Song durch die Lautsprecherboxen akustische Endorphine bläst, desto sicherer ist man sich: Die Tedeschi Trucks Band war auch schon auf den beiden Vorgänger-Studio-Alben richtig gut - jetzt aber, mit "Let Me Get By", ist sie auf Top-Act-Kurs.
Auf Let Me Get By für Experimente offen: die Tedeschi Trucks Band
Auch weil die warmkehlige, immer etwas an Bonnie Raitt erinnernde Susan Tedeschi - die vor ihrem Familienprojekt eine beachtliche Solo-Karriere hatte - und Derek Trucks gemeinsam mit ihren zehn (!) exzellenten Mitmusikern einen neuen, alten Ansatz verfolgen. Nicht den einer straff organisierten Band. Sondern den eines lockeren Kollektivs, einer Musikerkommune. So durchweht alle zehn neuen, allesamt aus eigener Feder stammenden Titel eine gewisse Hippie-Aura. Diese riecht aber nie nach miefigen Jutetaschen oder Patschuli-Öl, sondern nach lässiger Experimentierfreudigkeit und überbordende Kreativität.
Viele verschiedene Essenzen fließen in das Soundgebräu bei "Let Me Get By" ein: "Laugh About It" erinnert in den vertrackten Gitarrenmelodien und dem federnd, synkopierten Groove an die Worldmusic- und Swamp-Rock-Arbeiten von Ry Cooder; das knapp sechsminütige "Don't Know What It Means" präsentiert zunächst eine psychedelische Wah-Wah-Gitarre um später mit Orgel, Gebläse und druckvollem Funk an die Veteranen von Tower of Power denken zu lassen - und bietet im Outro mit einem durchgeknallten Sax-Solo Jazz reinsten Wassers. Vielleicht auch der Verdienst des neuen Bassisten, dem auch im Jazz beheimateten Session-Musikers Tim Lefebvre.
"Let Me Get By" - Die abgelegte Meisterprüfung
Immer wieder gelingt der Tedeschi Trucks Band auf dem von Doyle Bramhall II co-produzierten "Let Me Get By" ein überraschendes Moment: Bei "Right On Time" lässt sie mit einer (zunächst) echten Revue-Nummer aufhorchen, "Just As Strange" begeistert durch Country-Rock der Güteklasse Doobie Brothers, das monumentale, über acht Minuten dauernde "Crying Over You / Swamp Raga" ist eine, mit Geigen und Kitsch ausgestattete Soul-Ballade, wie sie auch ein Otis Redding nicht besser hinbekam und das knackige, im tempogeladenen Zwei-Viertel-Takt gehaltene "I Want More" lässt an frühe Motown-Hits denken. Oder an Soulgrößen wie Sly & The Family Stone.
Doch Vorsicht. Kaum glaubt man, das Soundkonzept auf "Let Me Get By" durchschaut zu haben, entgleitet einem das Dutzend hochtalentierter Freidenker schon wieder. Dann nimmt der Song eine unerwartete Wendung, schlagen Rhythmen und Melodien verwirrende Haken. Ob das immer notwendig ist? Schwer zu sagen. Das eben erwähnte "I Want More" wäre jedenfalls auch gut ohne die gemütliche Session ausgekommen, die Tedeschi, Trucks und Co. nach etwa viereinhalb Minuten anschlagen. Doch gilt das nicht auch für das legendäre "Layla", mit dem Eric Clapton mit seiner Band Derek & The Dominos einen Meilenstein setzten?
Fazit: Egal wohin es die Tedeschi Trucks Band bei den zehn Titeln von "Let Me Get By" auch treibt: Die Homebase bleibt der Blues und Bluesrock. Das Vermächtnis der Allman Brothers Band ist bei ihnen in den besten Händen. Mit "Let Me Get By" legt die Tedeschi Trucks Band ihre Meisterprüfung ab.
Label: Swamp Family / Concord (Universal) | VÖ: 5. Februar 2016 |
CD 1 | |
01 | Anyhow |
02 | Laugh About It |
03 | Don't Know What It Means |
04 | Right On Time |
05 | Let Me Get By |
06 | Just As Strange |
07 | Crying Over You / Swamp Raga For Hozapfel, Lefebvre, Flute And Harmonium |
08 | Hear Me |
09 | I Want More |
10 | In Every Heart |
CD 2 | |
01 | Hear Me (Alternate Mix) |
02 | In Every Heart (Alternate Mix) |
03 | Oh! You Pretty Things |
04 | Just As Strange (Alternate Mix) |
05 | Satie Groove |
06 | Laugh About It (Live At The Beacon Theatre) |
07 | I Pity The Fool (Live At The Beacon Theatre) |
08 | Keep On Growing (Live At The Beacon Theatre) |