Dieses zugewandte, sich gegenseitig beobachtende ist nicht nur eine freundliche Geste. Es ist auch musikalisch befruchtend. Denn so gelingt der nonverbale Austausch, für den es nur ein ermunterndes Zwinkern, einen Augenaufschlag oder ein zufriedenes Schmunzeln braucht. So funktioniert Bluegrass, so funktioniert emotionale Musik.
Feste Größe in der Roots-Musik-Szene: die Steep Canyon Rangers
Die Steep Canyon Rangers sind seit über 20 Jahren eine feste Größe im traditionellen Segment. Ihre Alben erreichen stets Spitzenplätze in den Genre-Charts. Sicher auch, weil die Band um die beiden hauptverantwortlichen Songschreiber und Sänger - Gitarrist Aaron Burdett und Banjo-Ass Graham Sharp - immer wieder mit prominenten Namen zusammenarbeitet. Neben der Sängerin Edie Brickell (die Gattin von Paul Simon) vor allem mit Hollywood-Star Steve Martin. Gleich mehrere hochgelobte Alben belegen die fruchtvolle Kooperation des Roots-Acts mit dem Leinwand-Komiker.
So ein Namedropping ist unter PR-Aspekten natürlich Gold wert. Musikalisch hat das in North Carolina beheimatete Ensemble aber prominente Unterstützung nicht nötig. Das belegen auch die zwölf Titel ihres neuen Albums "Morning Shift". Produziert hat die CD Darrell Scott, der, das ist nicht ganz unwichtig, auf dem Album auch E-Gitarre spielt. Stromgitarre bei einer Bluegrass-Band? Eigentlich ein Unding. Doch eisenharte Traditionalisten dürfen beruhigt sein, denn Scott geigt sich mit seiner E-Gitarre zu keinem Moment in den Vordergrund, von harschen Riffs mal ganz zu schweigen. Nein, der Sound der elektrifizierten Gitarre fließt eher als zusätzliches Klangelement mit ein. Unaufdringlich und dezent.
Gravierender macht sich da schon bemerkbar, dass Multiinstrumentalist Mike Ashworth auf dem Album immer häufiger als Drummer in Erscheinung tritt. Gleich im flotten Opener "Hominy Valley" und dem nachfolgendem "Deep End" erweist sich der auch an Gitarre und Dobro eine gute Figur abgebende Musiker als grundsolider Fellgärber. Er macht das, was ein Drummer machen sollte: Druck - und pusht damit in den beiden Uptempo-Tracks seine Kollegen Nick Sanders an der Fiddle und Mike Guggini an der Mandoline zu virtuosen Höhenflügen. Wer diesen Mix stilistisch einordnen möchte, landet vielleicht bei einer Wortschöpfung wie "Bluegrass-Rock". Vom braven Roots-Sound sind die sechs Herren hier jedenfalls weit, weit entfernt. Das ist auch dem Energielevel zu verdanken, das die Steep Canyon Rangers in manchen Tracks enorm hochhalten. So hoch, dass man glatt an die irischen Roots-Punk-Rabauken von den Pogues denken möchte.
"Morning Shift": Ohne prominente Hilfe, dafür mit mehr Power
Zumindest phasenweise. Doch natürlich ist dieses Ensemble aus einem anderen Holz geschnitzt. Aus einem filigraneren und auch weitaus komplexeren. Man nehme nur das von Graham Sharp komponierte "Second in Line (Junior)": ein etwas düsterer, durcharrangierter Song, der in seiner kompositorischen Wucht an eine Bluegrass-Oper denken lässt. Noch origineller fällt das anschließende "Old Stone House/Handlebars/Chimney Rock" aus. Schon im Titel wird deutlich, dass es sich hier um eine Suite aus drei verschiedenen Teilen handeln muss. So ist es auch. Mike Guggino und wieder Graham Sharp haben in dem über vierminütigen Titel ihrer Kreativität freien Lauf gelassen. Ergebnis ist ein höchst unkonventioneller Song mit mal swingendem Rhythmus und mal an eine Art-Rock-Band erinnernde Harmonie-Strukturen. Musik, die vom Hörer einiges an Aufmerksamkeit einfordert.
In den nächsten Titeln lässt es die Band dagegen etwas entspannter angehen - ohne aber auf Kosten des hohen Niveaus: "Harvest Queen" besticht als gefühlvolle Country-Blues-Ballade, "Ghost of Glasgow" ist ein ganz im traditionellen Bluegrass gehaltener Drinkin' Song und bei "Birds of Ohio" zeigt das Sextett was es in Punkto Harmony Vocals draufhat. Ein wunderbarer Track, der glatt an die guten, alten Crosby, Stills, Nash & Young erinnert.
Für weitere Highlights sorgen der temperamentvolle Americana-Track "Alabama Calling", der sehnsüchtige Titeltrack und die putzige Ode an die Damenwelt von Carolina: "Fare Thee Well, Carolina Gals".
Fazit: Es geht auch ohne Prominente wie Edie Brickell oder Steve Martin: die Steep Canyon Rangers beweisen auf "Morning Shift" experimentellen Mut - und rockige Dynamik.
Label: Yep Rock (H'art) | VÖ: 8. September 2023 |
Disk 1 | |
01 | Hominy Valley |
02 | Deep End |
03 | Second in Line (Junior) |
04 | Old Stone House/Handlebars/Chimney Rock |
05 | Harvest Queen |
06 | Ghost of Glasgow |
07 | Above My Burdens |
08 | Birds of Ohio |
09 | Alabama Calling |
10 | Morning Shift |
11 | Fare Thee Well, Carolina Gals |
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