Sechs Mal Country-Rock mit Gütesiegel: "Dive Bars & Broken Hearts"
Michael Ray ist dafür natürlich nicht zu belangen. Er ist bei einem großen Label unter Vertrag, die Spielregeln machen andere. Als Casting-Show-Teilnehmer weiß er über die Gesetze des Musikbusiness ohnehin längst bestens Bescheid. Wie es heißt, hat er sich seit seiner letzten, 2021 erschienenen EP "Higher Education" Gedanken über seine musikalische Ausrichtung gemacht. Wo soll es nach zwei Hit-Alben ("Michael Ray" aus dem Jahr 2015 und "Amos" aus dem Jahr 2018) und ein paar Hit-Singles hingehen? Mehr in Richtung Pop - oder doch in eher traditionellere Gefilde? Schon alleine die Wahl seines neuen Produzenten - Michael Knox - lässt eher auf die zweite Option schließen. Schließlich verantwortete Knox Alben von strammen Country-Rockern wie Jason Aldean, Trace Adkins und Montgomery Gentry. Alles Acts, die für einen wuchtigen, nicht selten aggressiven Sound und eine testosterongeladene Atmosphäre bekannt sind.
Der Opener "Dive Bars & Broken Hearts" schlägt aber dann doch erst mal wesentlich entspanntere Klänge an. Wie es schon der Titel vermuten lässt, geht es in dem im gemütlichen Midtempo angesiedelten Song um das chillige Leben am Meer und Liebesdinge. Ein Inhalt, der nach einer leicht romantischen musikalischen Umsetzung verlangt - und diese auch bietet. Netter Track für einen Nachmittag am Pool!
Romantisch geht es weiter: "Don't Give a Truck" bietet große Gefühle: Melancholie, Sehnsucht, der Wunsch, nach Weite und Freiheit. Ein Truck ist für einen Countryman dafür das perfekte Vehikel, die Metapher für all das. Nicht gerade neu die Idee, ganz im Gegenteil. Der benzinschluckende, überdimensionierte Asphalt-Dino gehört zur Country-Literatur wie die sechs Saiten zur Gitarre. Egal, seine hier leidenschaftlich besungene Truck-Verklärung macht musikalisch einiges her und erinnert nun doch an die bereits erwähnten Herren Aldean oder Adkins.
Starker Sänger mit Gefühlsschwankungen: Michael Ray
Das gilt umso mehr für "Hate This Town". Der gemächlich schiebende Country-Rocker gefällt in der Strophe mit einer erstklassigen Melodie und einer sich langsam, Ton für Ton steigernden Intensität. Ein klasse Song, etwas düster, das Arrangement fährt alles auf, was im Country Druck machen kann und soll und Michael Ray lässt erkennen, warum bei seinen Casting-Show-Auftritten John Rich von Big & Rich so auf ihn abfuhr.
In diesen eher finsteren Gewässern fischt der Sänger auch mit dem nachfolgenden "Get Her Back". Ein Song, der die Verzweiflung eines abgewiesenen Lovers gut einfängt und einen - selbst an einem sonnigen Tag - emotional etwas runterziehen kann. Wie gut, dass er mit "Spirits And Demons" einen eher gefühlvollen, langsamen Song hinterherschickt. Eine Ballade, die in der Strophe gefällt, für die sich die Autoren aber bei einer hinlänglich bekannten, schon fast schlagerhaften Refrain-Melodie bedienen. Duett-Partnerin Meghan Patrick und ein fulminantes Gitarren-Solo machen das halbwegs wieder wett.
Das Beste hat sich Michael Ray für den Schluss aufgehoben: "Workin' On It" hält genau jene typische, leider häufig vermisste Country-Leichtigkeit bereit, die das Genre so unvergleichlich macht. Ein Mutmach-Song: Das Leben ist leicht! Alles nicht so schlimm! Wir schaffen das! Die Musik unterstreicht das mit angenehm traditionellen Klängen.
Fazit: Mal düster, mal romantisch, mal fröhlich: Michael Ray verhandelt in den sechs Songs von "Dive Bars & Broken Hearts" etliche Gefühlszustände. Grundsolider Country-Rock und -Pop, von einem starken Sänger authentisch interpretiert.
Label: Atlantic Nashville (Warner) | VÖ: 23. Juni 2023 |
Disk 1 | |
01 | Dive Bars & Broken Hearts |
02 | Don't Give a Truck |
03 | Hate This Town |
04 | Get Her Back |
05 | Spirits and Demons (mit Meghan Patrick) |
06 | Workin' on it |