"Here is Chris, how are you?" klingt es durch das Telefon. Mit einer Stimme, die man von dem bulligen, bärtigen, bärbeißigen Sänger und Songschreiber nicht erwartet hätte. Sie ist sanft. Und deutlich höher in der Tonlage als seine Gesangsstimme angesiedelt. Vor allem aber klingt sie: sympathisch. Keine schlechte Voraussetzung für ein Telefoninterview, bei dem man sein Gegenüber ja ohne Blickkontakt nur akustisch über den Telefonhörer wahrnimmt.
Chris Stapleton scheint außerdem richtig gut drauf zu sein. Kein Wunder, er hat für ein Stimmungshoch ja auch genügend Gründe parat: Er gilt als einer der besten und profiliertesten Songschreiber Nashvilles; er kann mit 37 Jahren bereits auf einen imposanten Hit-Katalog verweisen; und - ganz aktuell - auch seine kürzlich gestartete Solo-Karriere kam prächtig in die Gänge. Für sein Debüt-Album "Traveller" sprang Platz zwei in den Country-, Platz 40 in den amerikanischen Pop-Charts heraus. Dazu kommt, dass auch hormonell bei dem Country-Raubein alles im Lot sein dürfte. Schließlich spricht er immer wieder von seiner Frau. So war Gattin Morgane Stapleton nicht nur als dekoratives Element bei den Coverfotos zuständig. Sie hatte als Background-Sängerin und - vor allem! - als Quell der Inspiration auch ihren Teil am Erfolg der CD. Mehr noch: Frau Stapleton war offenbar auch eine Art Regulativ; eine kreative Autorität, der Chris beim Entstehungsprozess seines Solo-Werkes voll vertraute: "Morgane machte vor den ersten Sessions eine Liste mit Songs, die sie für das Album auswählen würde", sagt Stapleton mit unverkennbar schwärmerischem Unterton, "die meisten Songs haben wir dann auch genommen. Logo, Morgane hat einfach einen guten Geschmack", sagt er und fügt lachend hinzu: "Nur nicht bei Männern!"
Neben dem Ehepaar Stapleton war am Sound und der generellen musikalischen Ausrichtung von "Traveller" selbstverständlich auch Produzent Dave Cobb maßgeblich beteiligt. Cobb hat es in Nashville nach Arbeiten für Jamey Johnson, HoneyHoney, A Thousand Horses und weiteren längst zu einer Art ruppiger Gegenpol zum aalglatten Hit-Produzenten Dann Huff gebracht. Mit Stapleton schreibt der Klangtüftler jetzt weiter an seiner Legende. "Ich kannte Dave Cobb von seinen Arbeiten mit Sturgill Simpson und Jason Isbell. Auch wenn das musikalisch nicht unbedingt mein Ding ist, begeistern mich die Alben akustisch, vom Sound her, von der Atmosphäre. Ich wollte also keine Platten wie diese Jungs machen, aber ich wollte deren Sound." Und damit wollte er auch Dave Cobb.
Gemeinsam mit dem Experten für naturbelassene Sounds und Retro-Klänge gelang Chris Stapleton ein Werk voller zeitloser Country- und Americana-Songs. Düstere Titel wie "Whiskey And You" und Titel in perfekter Country-Rock-Tradition á la "Parachute" und "When The Stars Come Out". Über die Frage, ob das Album klangtechnisch ein Spross aus den frühen 70er Jahren sein könnte, freut sich Stapleton hörbar. "Das nehme ich als das größte Kompliment, das du mir machen kannst", frohlockt der Bulle mit Trapper-Bart, "schließlich stammen alle meine Lieblings-Country-Platten genau aus dieser Zeit. Sie haben Wärme, sie strahlen Gefühl aus." Wärme und Gefühl auf Band zu bringen sei die Spezialität von Dave Cobb. "Er bekommt genau diese Atmosphäre hin. Darin ist er ein Meister."
Wer ein Album im Retro-Sound aufnehmen will, setzt - versteht sich von selbst - auch Retro-Instrumente bei den Sessions ein. Chris Stapleton schleppte also alle seine alten Lieblingsgitarren (Fender Jazzmaster, Gibson LG-2) und Verstärker (Fender Twin Reverb) aus den 60er Jahren ins Studio, und Cobb, der sei ohnehin, wie Stapleton sagt, ein "Equipment-Verrückter". "Ich liebe das alte Equipment, ich weiß nicht warum, aber es ist so. Vielleicht", meint er, "weil diese alten Gitarren und Verstärker eine Seele haben." Eine Seele schreibt man auch dem Studio zu, in dem die Sessions von "Traveller" größtenteils stattfanden: im weltberühmten, nicht nur durch die Aufnahmen von Elvis, Dolly Parton, Waylon Jennings und Roy Orbison legendär gewordenem RCA Studio A. "Klar, das musste schon sein", sagt Chris Stapleton, "wir sind ja alle ganz schön Old-School." Nach alter Schule fanden auch die Sessions selbst statt: Die komplette Band live. So wenig Overdubs wie möglich. Oder besser: wie nötig. Denn nachdem die Backing-Tracks, das live eingespielte Bandfundament, im Kasten war, habe man einiges ausprobiert: Spuren darüber gelegt, hier eine akustische Verzierung, da ein Effekt. "Das waren dann ganz schön viele Overdubs", berichtet der Sänger und Songschreiber, "zu viele. Deshalb haben wir wieder damit angefangen zu reduzieren, Spur für Spur." Für den Musiker gehört es zu den schwierigsten Dingen im kreativen Prozess, die richtige Dosierung zu finden. "Dave kann das gut, er hat dafür ein Händchen. Meine Frau aber auch. Manchmal kriegt man es hin, manchmal scheitert man kläglich. Es ist ja immer subjektiv. Deshalb sollte man es am besten so machen, wie es sich in dem Moment gerade richtig anfühlt." Um dann zu hoffen, dass es Bestand hat. Dass es den berühmt-berüchtigten Test-of-Time besteht.
Nicht wenige Tracks seiner ersten Solo-Arbeit dürften diese hohe Hürde nehmen. Sie strahlen die dafür nötige Relevanz und Klarheit aus. Und es gelingt ihm in einigen Titeln, mit Noten, Tönen und Worten das Herz des Hörers zu erreichen. Unmittelbar, ohne Umwege. "Es geht dabei um Gefühle", sagt Stapleton, "und nicht um Perfektion. Nimm einfach mal die alten Platten, egal von wem, von mir aus von Ray Charles. Die klingen selbst nach modernen Standards 'live'. Die Magie die in diesen Platten liegt, ist zu einem guten Teil den Fehlern geschuldet, den Momenten, wo eine Note misslingt. Das macht den Zauber aus, das macht sie menschlich." Da stellt sich dann natürlich die Frage, ob heutige, perfekte Produktionen "unmenschlich" klingen? "Es fühlt sich jedenfalls nicht gut für mich an", sagt er, "sie ermüden meine Ohren, sie langweilen mich."
Großzügiger geht Chris Stapleton mit seinen Songs um, die er für einige der größten Mainstream-Stars des Country geschrieben hat: "Love's Gonna Make It Alright" für George Strait oder "Come Back Song" für Darius Rucker. Dass die Granden Nashvilles seine Song-Ideen gut finden, sie aufnehmen und sie schließlich in die Charts singen, halte er für ein "richtig großes Kompliment". Deshalb ist er auch auf jeden einzelnen dieser Titel so stolz wie ein Papi auf sein Baby. Manches Song-Baby hat er zu Giganten wachsen sehen. Zum Beispiel, wenn Kenny Chesney in einer 35.000-Mann-Arena sein von ihm geschriebenes "Never Wanted Nothing More" anstimmt: "Wenn dann noch die Leute den Text mitsingen, den du dir ausgedacht hast, dann bekommst du schon Gänsehaut", sagt er, "es gibt nichts Cooleres."