Wie gesagt, irgendwie war alles schon mal da... 2003, als ohnehin bereits viele seiner Bürger nicht mehr hinter US-Präsident George W. Bush standen, äußerte sich Natalie Maines in einem Konzert der Dixie Chicks in London dahin gehend, dass sie sich schäme, aus demselben US-Bundesstaat wie er zu kommen und trat damit völlig ungewollt einen riesigen Skandal los, der im Boykott ihrer Songs im Radio und dem Verkauf ihrer CDs und sogar in Morddrohungen gipfelte, was schließlich auch in der Dokumentation "Shut Up & Sing" für die Nachwelt festgehalten wurde.
Das Thema Meinungsfreiheit bleibt offensichtlich weltweit ein Thema, von dem auch die Country-Szene nicht verschont bleibt. Selbst hierzulande ist es scheinbar nicht gewollt, teils beweisbare Fakten auf den Tisch zu bringen, geschweige denn, persönliche Ansichten zu Vorgängen im Musikgeschäft darzulegen. Wagt dennoch jemand diesen Schritt und analysiert hinter dem öffentlichen Geschehen, sollte er ein dickes Fell haben und sich bereits im Vorfeld Bewältigungsstrategien zurecht legen, wie er zur Wahrung seines Eigenschutzes mit dem aufkommenden Widerstand bestmöglich umgeht. Toleranz gegenüber Andersdenkenden scheint zwar in Texten von Country-Songs besungen zu werden, in denen es oft um friedliches Miteinander, um Ehre und den Kampf um Frieden und Gerechtigkeit geht, jedoch, soll sie tatsächlich praktiziert werden, stoßen einige an ihre Grenzen.
Diese Erfahrung macht jetzt Blake Shelton, der in einem Interview im amerikanischen Fernsehsender Great American Country (GAC) eine Äußerung von sich gab, die die neueste Welle der Entrüstung hochschwappen lässt. Sinngemäß lobte er die moderne Entwicklung der Country Music, weil diese von den jungen Leuten auch gekauft werde, während die Musik der "alten Säcke", die immer noch in Nashville herumhängen, kein Mensch mehr hören will. Sehr ungeschickt, zugegeben.
Die stets über allem schwebende Diskussion über traditionelle gegen neue Country Music bot stets aus erfahrungsreichem Wissen und Leben einen Boden für Uneinigkeit. Das ist so alt wie diese Musikform selbst. Dennoch scheint Blake Shelton hier eine Handreichung jenen gegenüber geliefert zu haben, die ihre wesentliche Hauptrolle im Hochhalten der Fahne für "das gute alte Zeug" sehen und sich nun nicht nur auf den Schlips, sondern auch noch woanders hin getreten fühlen. Sofort gibt es in der Fachpresse sowie in den sozialen Netzwerken diverse Gegenanschläge derer, die sich empfindlich beleidigt fühlen und ihre verletzten Gefühle direkt der Öffentlichkeit mitteilen müssen.
Country-Legenden Ray Price schreibt, es sei eine Schande, so über die Musiker zu reden, die den Heutigen den Weg geebnet hätten, womit man ihm faktisch recht geben muss. Er habe schon viele Künstler kommen und gehen sehen und man solle abwarten, ob in weiteren Jahrzehnten noch irgendjemand von diesen sprechen wird oder wo speziell ein Blake Shelton dann stehen wird. Jean Shepard, die große Lady der Grand Old Opry und Country Music Hall of Fame, gibt sich ebenfalls tief enttäuscht.
Natürlich hat auch die "Gegenseite" das Recht, nun ihre Sicht dazulegen und die Reihe der Gekränkten setzte sich fort. Da hilft auch kein Beschwichtigen seitens Blake Sheltons mehr, der neue "böse Bube" ist gefunden. Nun hätte man her gehen können und als geerdeter erwachsener Mensch auf ruhige Weise sein Statement abgeben, mit eben der Grundaussage, dass man mühelos abwarten könne, wer am Ende der sein wird, der noch in den Köpfen der Fans präsent ist.
Doch sogar das so scheinbar mühelose Selbst eines Dale Watson ist derart getroffen, dass er direkt am Folgetag einen "Song for BS" herausbringt. Nun kennt man ihn durchaus als eher provokanten Charakter, der seine zwar deutliche Kritik aber bisher immer würdevoll verpackte. Jedoch dürften nun auch einige seiner Anhänger über das inhaltliche Niveau dieses Textes verwundert sein. (Auf eine Anführung von Zitaten, die zum Beispiel Blake Shelton vulgär als "Scheißhaufen" bezeichnet, möchte die Redaktion an dieser Stelle verzichten.)
Es war abzusehen, dass auch bei Facebook prompt die entsprechenden Gruppen hervor sprießen, die Blake Shelton den Status eines Country-Sängers absprechen, ihn als schändliches Produkt der Nashville-Industrie deklarieren. Gemeinschaften nennen sich beispielsweise zitierend "Old Farts & Jackasses" und propagieren, die alten Traditionen zu pflegen und sich nicht von Nashville sagen zu lassen, was gut ist.
Natürlich springen auch nationale Musiker sofort auf diesen Zug auf. Solche, die ihre Liebe und unbeeinflussbare Beziehung zur ursprünglichen Country Music pflegen und sich von allen heutzutage in den Charts zu findenden Künstlern deutlich distanzieren.
Es fragt sich nur, wo die Gerechtigkeit bleibt, wenn jemand anderen das Recht auf die Äußerung seiner geschmacklichen Möglichkeiten abspricht, selbst jedoch deutlich und öffentlich diese darlegt. Barry P. Foley, im fränkischen Helmbrechts lebender Amerikaner, schreibt in seinem 2009 veröffentlichten Song "Radio On Trial" über seine Bewunderung für Merle Haggard, während er Bon Jovi, Faith Hill, Tim McGraw und den Rascal Flatts ("...you'll even hear Bon Jovi, Mr. and Mrs. Tim McGraw, oh those Rascal Flatts, they gotta be the worst of 'em all...”) nicht gerade Respekt entgegen bringt, ihnen zumindest einen Platz im Country-Zirkel abspricht.
Niemand zweifelt den Status eines Johnny Cashs, eines Waylon Jennings oder auch nur eines der anderen aus dieser Garde voller Einfluss und Intensität an. Für die ehrliche Aufrechterhaltung ihrer Würdigung darf und soll sich deutlich eingesetzt werden. Auch Bernd Wolf, Bandleader von Texas Heat und Redakteur bei einem deutschen Country-Magazin, und weitere deutsche Musiker betonen dieser Tage diese Stellung nochmals deutlich, sprechen davon, dass ein Blake Shelton ohnehin niemals in dieser Liga spielen würde. Jedoch sind es eben nicht immer nur die, deren Wirken mit Langlebigkeit gesegnet ist, die die Menschen begeistern, sondern auch andere, die oft nur durch einen einzigen Hit ihre Markierung setzen.
Es ist bei weitem nicht alles abzulehnen, was da Neues aus Nashville daher kommt. Gerade in den letzten Jahren konnten neben Casting- und Pop-Sternchen auch immer wieder Namen wie Daryle Singletary, Easton Corbin, Joey & Rory oder Craig Campbell ihren Weg gehen, deren Effekt es ist, ganz klar die Haltung einzunehmen, Country Music zu machen und die dies auch glaubhaft verdeutlichen.
Letztlich werden die Bedürfnisse aller erfüllt, die sich in diesem Rahmen des Begriffs Country Music bewegen. Aus welchem Grund also nicht einfach "leben und leben lassen", wie es gerade Dale Watson, zum Thema Line Dancer befragt, in einem zurückliegenden Interview kommentierte. Es steht selbstverständlich jedem offen, für sich den wohltuenden Stoff vom Unverdaulichen zu trennen, jedoch nicht, für andere mit zu entscheiden, was deren spirituelles oder kommerzielles Bewegungsbild betrifft.
Steht es nicht um anhaltende Gemeinsamkeiten und das gesamte Zustandsbild der deutschen Country-Szene ohnehin schon arg schlecht? Einschränkungen greifen um sich, dabei gäbe es genug überflüssiges Material, stattdessen stärken sich Musiker und Fans nicht gegenseitig, nehmen sich vielmehr auch noch die Atemluft und damit die Basis, zur eigentlichen Musik zurück zu finden. Dafür kann man weiß Gott keinen Blake Shelton verantwortlich machen.
Vielleicht mag es gelingen, die Individualdistanz eines jeden zu respektieren, dessen ihm eigenen Musikgeschmack bei seinem Dafürhalten zu belassen und damit zumindest annähernd die Toleranz wieder zu finden? Denn viele, auch der deutschen, Country-Fans sind durchaus flexibel, ziehen ihr Wohlbefinden aus der gebotenen Vielfalt, sowohl in CD-Käufen als auch bei Live-Konzerten. CountryMusicNews.de berichtet über die unterschiedlichsten Nuancen der Country Music und die Leser zeigen hier stets Toleranz, auch wenn ihnen der eine oder andere Künstler persönlich nicht zusagt. Dann gibt es noch die wenigen großen und erfolgreichen Veranstalter, allen voran die Four Corners Music Hall in Untermeitingen, Bayern. Diese tragen durch die präsente Vielgestaltigkeit der Live-Musik dazu bei, die Grundlage eine vielfältige Gestalt zu geben, zum Beispielt durch eher rocklastige Acts, (Lonestar, Cripple Creek, Phil Vassar) Texas Swing (Asleep At The Wheel), New Country der 80er und 90er Jahre (Tracy Lawrence, Mark Chesnutt) oder eben traditionellen Honky Tonk (wie jetzt Dale Watson am 14. Februar 2013, der dort das einzige Deutschland-Konzert seiner aktuellen Tour gibt).